Literaturgefluester

2011-11-23

Heute heiratet mein Mann

Filed under: Uncategorized — jancak @ 15:13

Weiter mit den alten Chick-lits aus dem offenen Bücherschrank, diesmal geht es um Annemarie Selinkos „Heute heiratet mein man Mann“, 1940 bei Albert Lange erschienen und wahrscheinlich in Kopenhagen geschrieben, jedenfalls spielt der Roman dort. Er ist politischer als die Gürt-Romane und spritzig frech, wie die heutigen Chick-lits ist er auch. Beginnt es doch beim Zahnarzt, wo Dr. Aaagard in Thesis Mund herumbohrt und damit sie ihm nicht vor Schmerzen in die Hand beißt, erzählt, daß die interessante Verlobung eines seiner Patieten bevorsteht. Architekt Poulsen soll Karen Nielson heiraten, um erst nach der Behandlung zu erfahren, daß Thesi, die geschiedene Frau Poulsen ist. Thesi, eigentlich Maria-Theresia, stammt aus Wien und ist eine Offizierstochter, in Kopenhagen verdingt sie sich als Modezeichnerin und geht auch mit den dicken Chefs der Modeabteilungen essen, damit sie von ihnen Aufträge bekommt, um die Miete und die Zahnarztrechnungen bezahlen zu können. Sven Poulsen hat sie in Kitzbühl kennengelernt und ihn dort geheiratet. Daß sie, wie Annemarie Selinko vor den Nazis nach Dänemark geflüchtet ist, kommt aus dem Buch nicht heraus. Wohl aber wird erwähnt, daß während die Geschichte sich entwickelt, in Wien am Stephansdom die Hakenkreuzfahne weht und der Höhepunkt der Handlung spielt auch am 31. August. Wahrscheinlich 1939, denn am nächsten Tag wird der neue Weltkrieg beginnen.
Vorerst hat Thesi aber von der Verlobung ihres geschiedenen Gatten erfahren und ruft an, um ihn zu gratulieren. Er lädt sie freundlich ein, sie in seiner neuen Villa zu besuchen und sich das Haus anzusehen. Thesi läßt sich indessen von Direktor Andersen in das teuerste Restaurant der Stadt ausführen und trifft dort ganz zufällig Sven mit seiner Braut, deren Mutter und Tante.
Am nächsten Tag borgt sich Thesi ein „unanständiges Kleid“ von einem Mannequin aus, das wiederum ganz zufällig, die Geliebte von Karens Vater ist und lernt zwei interessante Männer kennen, einen englischen Adeligen, der gerade vom Franco-Krieg zurückgekommen ist und einen Kriegsberichterstatter, mit dem sie sich kurz darauf verloben wird. Vorher geht sie mit dem unanständigen Kleid und den beiden Männern in Svens Villa, wo der gerade mit Braut, Tante und künftigen Schwiegereltern, die Verlobung feiern will. Sven ist wieder freundlich und Thesi erzählt der Schwiegermutter, daß Sven gerne Familienanschluß hat und gerne in die Oper geht, obwohl das gar nicht stimmt und der künftige Schwiegervater verbündet sich mit Thesi bei seiner Freundin Ulla und sagt ihr, daß er auch nicht will, daß Karen, neunzehn Jahre jung, Sven heiratet.
Warum Thesis Ehe auseinandergegangen ist, ist auch nicht so klar, aber offenbar hatte sie keine so rechte Vorstellung von einer Ehe, so daß sie auf einmal geschieden war und die Anwälte an Sven verdienten. Jetzt ist sie aber mit John verlobt und soll ihn sogar am selben Tag, wie Sven Karen heiraten, dabei fühlt sie sich hundselend. Es ist aber keine psychosomatische Vermeidungsreaktion, um nicht heiraten zu müssen, sondern der Scharlach. So kommt Thesi ins Krankenhaus, wird von einer Nonne aus Tirol, die ihr das Beten beibringen will, versorgt, ertappt die Herren Ärzte vor dem Radioapparat, als sie die Nachricht vom Ausbruch des Weltkriegs hören und läßt sich von Sven auch das Einzelzimmer und die Spitalsbehandlung bezahlen. Sie hat zwar eine Krankenḱasse, aber die Beiträge nicht bezahlt und unter sonstigen Verwandten nur die Großmama in Wien, aber die kann mit schlechten Nachrichten nicht behelligen.
Die gute Thesi ist überhaupt genauso naiv, wie die heutigen Chick-lit Heldinnen unter denen Leselustfrust früher stöhnte und schreibt auf diese Art und Weise dem Herrn Primararzt vor, ihr nicht zu nahe zu kommen, weil sie ja Scharlach hat und als sie nach sechs Wochen gesund entlassen wird und in ihrer Wohnung keine Möbel mehr vorfindet, weil Sven, der sie, weil er jetzt Luftschutzkeller bauen muß, nur selten besuchte, ihr aber trotzdem mitteilte, daß seine Hochzeit auch nicht stattgefunden hat, in die sich Thesi schon hineinfantasierte, bzw. mit Schwester Theophania eifrig darum betete, daß Karen auf der Fahrt ins Rathaus einen ganz harmlosen Unfall haben soll, die in seine Villa transportieren ließ, sich zwar dagegen auflehnt, dann aber doch bereitwillig wieder zu ihm zieht und noch ein ganzes Jahr in einer „schlampigen“ Beziehung mit dem Geschiedenen lebt und ihn erst wieder heiraten will, als die deutsche Geheimpolizei eine Hausdurchsuchung macht und Sven ernstlich bedroht wird, da drängt sie auf Wiederverheiratung und beendet den vor einem Jahr begonnnen Brief an die Wiener Großmama „Ich bin wahnsinnig glücklich, man sollte jede Ehe zweimal beginnen und beide Male mit demselben Mann!“
Dazwischen wird Thesis erstes Weltkriegtraum thematisiert, sie hat ihren Vater im Krieg verloren und erlebt, wie es ist, „wenn die Kinder hungern und die Männer zu Krüppel geschoßen werden.“
Das Buch ist flott und frisch erzählt und hat im Gegensatz zu „Morgen ist alles besser“ auch keine unnötigen Längen und es ist sehr spannend zu lesen, wie der Kriegsausbruch im Dänemark 1939 zwischen Modeschauen und Lippenstift erlebt wurde.
Schaut man in Annemarie Selinkos Biografie nach, die es bei Wikipedia gibt, findet man einige Parallelen, ist sie ja auch nach Dänemark emigriert und als dort die Nazis kamen, nach Schweden geflüchtet. 1986 ist sie in Kopenhagen gestorben und ihr 1951 erschienener Napoleon-Roman „Desiree“ ist ein Welterfolg geworden. Den habe ich, weil ich mich ja immer schon für Geschichte interessierte und eine Zeitlang auch für „Napoleon“ schwärmte, als Hauptschülerin oder in der Straßegasse gelesen. Den in Wien spielenden Roman „Morgen ist alles besser“, den ich ebenfalls im Bücherschrank gefunden habe, vor einem Jahr gelesen und dann noch das Kapitel über Annemarie Selinko in dem Buch von Evelyne Polt-Heinzl. Heute ist Annemarie Selinko abgesehen vielleicht von dem Napoleonroman ziemlich vergessen und so finde ich es besonders spannend, daß es die offenen Bücherschränke, von denen inzwischen ein neuer von der „5-CitY“ gespendet, am Margaretenplatz existiert, gibt. Denn da findet man die Bücher, die die Leute, die jetzt sterben, wahrscheinlich in ihren Bücherschränken hinterlassen und so habe ich die Chance ein bißchen in die Vergangenheit zu lesen und das dritte Reich aus erster Hand zu erfahren, ist sehr interessant, genauso wie die Erfahrung, wie frisch und aktuell ein 1940 geschriebener Roman sein kann, auch wenn die Heldin einerseits sehr naiv, dann aber wieder erstaunlich modern und aufgeschlossen dargestellt wird.

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