„Maja Haderlap gelingt etwas, das man gemeinhin heutzutage für gar nicht mehr möglich hält: Sie erzählt die Geschichte eines Mädchens, einer Familie und zugleich die Geschichte eines Volkes“, beginnt der Klappentext von „Engel des Vergessens“, dem Buch mit dessen Ausschnitt, die 1961 in Eisenkappel Geborene, den letzten Bachmannpreis gewonnen hat und den Rauriser Literaturpreis bekommen wird. Vor allem aber ist eine Geschichte von Krieg, Terror und Traumatisierungen und zeigt wahrhaft beklemmend auf, was man in den Sechzigerjahren in einem kleinen Dorf als Kärtner Slowenin erleben konnte, wo der Tod und das Entsetzen bei dem Kind, das die Ich-Erzählerin, am Anfang ist, allgegenwärtig ist. Von der Großmutter wird erzählt, die die Mutter aus der Küche verdrängt, das Kind trotz Protest der Verwandten immer noch mit der Flasche füttert und diesem, das Schuldgefühle hat, am Ertrinken einer Epileptikerin schuld zu sein, rät, mit der Zunge seltsame Verrenkungen zu machen, um die Polizei abzuwehren.
Denn die Großmutter fromm und gläubig, wie Bäuerinnen so sind, ist in Ravensbrück gewesen und der Vater, der Ich-Erzählerin, der die Todessehnsucht in sich trägt und die Familie damit erschreckt, daß er sich mit einem Gewehr in die Scheune einsperrt oder dem Kind, den Kälberstrick zeigt, an dem er sich erhängen will, wurde von der Gestapo gefoltert, indem sein Erhängen mehrmals simuliert wurde. In diesem Klima wächst das Mädchen auf, geht zum Onkel Fernsehen und erlebt auch den Wohlstand mit, den die Familie langsam macht. Das Haus wird zum Entsetzen der Großmutter neu gebaut, die in das Ausgedingehaus ziehen muß und das Mädchen bekommt ein eigenes Zimmer, allerdings ohne Heizung, weil der sparsame Vater gegen die neumodischen Zentralheizung ist.
Die Ehe des traumatisierten Vaters ist denkbar schlecht, er weiß sich auch nur in den Alkohol zu flüchten, nimmt aber das Kind auf die Motorradfahrt durch die Wälder mit, erklärt ihm dabei, wie es damals mit den Partisanen war und auch auf die Jagd, weil das Kind gut gehen kann.
Dann müssen sie nächtens durch den Wald, der betrunkene Vater verliert die Kontrolle, rollt über einen Hang hinab, das Kind verliert die Taschenlampe und so gehen sie Partisanenlieder singend durch die Dunkelheit, denn das vertreibt die Angst. Später, als das Mädchen schon in Klagenfurt im slowenischen Gymnasium war, der Vater war übrigens dagegen, da wurde das Studium durch die energische Mutter durchgesetzt, die zwar keine Partisanenvergangenheit hat, aber solche Lieder und Gedichte schreibt und nach Wien zum Studium der Theaterwissenschaft gegangen ist, wird sie in der Nacht mit dem Vater am Traktor nach Hause in den Lepenener Graben fahren und als der betrunkene Vater, da einen seiner Anfälle bekommt und im Wald einfach liegen bleiben will, weiß sie sich nur durch den Soldatengruß und durch Militärkommando zu helfen.
Schaurig und stark beeindruckend, was da erzählt wird, da beginnt man auf einmal diesen so unsinnig scheinenden Ortstafelstreit besser zu verstehen und erfährt, wie es damlas mit den Kärtner Slowenen und den Partisanen war.
Zuerst stribt die Großmutter, wird im Haus aufgebahrt, alle Verwandten kommen und halten die Totenwache, später der Vater, die Lagerbücher und die Lagerlöffel werden gefunden und Geschichten erzählt, wie es damals war, als gemordet und gefoltert wurde und das tut Maja Haderlap, die ihr Romandebut auf Deutsch, während sie ihre Gedichte in Slowenisch geschrieben hat, einerseits in einer sehr einfachen kindlichen Art, dann wieder erhöht und abgehoben, so daß ich in den Kritiken lesen konnte, daß das Buch, natürlich eine Erzählung ist, was ich, wenn ich die Biografie der Autorin lese, etwas bezweifle, aber natürlich ist es Literatur, was da entstanden ist, ergreifend zu lesen, eindrucksvoll und interessant.
„Eine Geschichte voller Kraft mit großen poetischen Anspruch“, wie Peter Turrini am Buchrücken schreibt und Peter Handke meint „Maja Haderlap hat eine gewaltige Geschichte geschrieben…Die Großmutter wie noch keine, der arme bittere Vater wie noch keiner, die Toten wie noch nie, ein Kind wie noch keinens.“
Interessant dazu ist nur noch, daß diese Woche in den Tonspuren ein Portrait von Andreas Altmann war, der mit seinem Buch „Das Scheißleben meines Vaters, das Scheißleben meiner Mutter und meine eigene Scheißjugend“ von einer ähnlichen kriegsbedingten Traumatisierung seines Vaters, der danach seine Frau und seine Kinder mißbraucht und gewalttätig behandelt hat, erzählt.
Gewalt und Traumatisierungen scheinen überall zu sein und man kann darüber diskutieren, ob man sich einen Engel, der das Vergessen bringt, wünschen soll. Daß das Kriegsgeschehen in den Sechzigerjahren noch so stark in Kärtnen zu erleben war, hat mich sehr beeindruckt und ich habe mich sehr darüber gefreut, daß endlich einmal eine Österreichin den Bachmannpreis gewonnen hat, war auch bei der Lesung in der Alten Schmiede und habe den Namen Maja Haderlap durch die GAV gekannt, von der Autorin vorher aber nicht sehr viel gelesen.
2012-02-25
Engel des Vergessens
2 Kommentare »
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Irgendwie kann ich schon verstehen, dass man sich manchmal, zum Schutz – um nicht durchzudrehen, einen Engel des Vergessens wünscht. Es ist schon erschreckend, über wie viele Jahrzehnte die Menschen an derartigen Folgen zu leiden haben!
Kommentar von Beatrix Petrikowski — 2014-06-19 @ 14:16 |
Ja leider gehen die Traumen weiter und werden auch regelmäßig immer wiederholt. Ich habe Maja Haderjap vor kurzem aus ihren Gedichten in der „Alten Schmiede“ gehört. Sie wird auch die Eröffnungsrede beim heurigen Bachmannpreis halten.
Kommentar von Eva Jancak — 2014-06-19 @ 15:22 |