Von Florenz geht es gleich nach Venedig, denn Bettina Balakas bei Haymon erschienener Roman „Kassiopeia spielt, nicht nur dort, geht der Roman ja weit in die Vergangenheit der Protagonisten und der sie umgebenden Personen zurück. Er beginnt und endet aber da und im Klappentext kann man lesen, daß „Judit Kalmann und Markus Bachgrabn ein Traumpaar sind, das einen romantischen Abend verbringt, der ein unerwartetetes Ende findet – und daß Bettina Balaka in ihrem neuen Roman von der Tragikkomödie zwischenmenschlicher Beziehungen, vom Wunsch, sein Schicksal selbst in die Hand zu nehmen und vom langen Schatten einer Familiengeschichte, der man nicht so leicht entkommt“, erzählt.
Am Anfang habe ich das gar nicht so empfunden und eher an die Gesellschaftsromane einer Elisabeth Gürt gedacht, denn so scheint es zu beginnen.
Judit Kalmann, eine Frau Mitte Vierzig, aus guter Salzburger Familie, kinder- und beruflos, aber von ihren vermögenden Eltern mit großer Brieftasche ausgestattet und, wie Frauen um die vierzig, die in der Gesellschaft mitspielen, offenbar so sind, leicht eßgestört, sie erlaubt sich im Sommer nur einmal eine Kugel Eis und im Winter drei Pralinen und läßt sich von der Haushälterin, der Freundin, in dessen Palais sie leben wird, Obst, Gemüse, Mineralwasser, Wein und Sekt, aber kein Brot und keine Butter besorgen, reist nach Vededig, um dort einen schönen Abend mit dem Schriftsteller Markus Bachgraben zu verbringen, der vor zwei Jahren den berühmten Roman „Kassiopeia“ geschrieben hat und ein Monat lang ein Aufenthaltsstipendium in einer Schriftstellerwohnung hat.
Das wird weitschweifend unter Einbeziehung des Lokalkolorits geschildert. Judit scheint auch ein wenig zwanghaft zu sein, denn das Buch ist voll von Listen, die an die schöne Haushälterin Gianna Vescovo mit den Einkaufswünschen, aber auch die von Dingen, die es früher einmal gegeben hat „Vierteltelefone“ zum Beispiel und die, die es nicht gab „Handies“ und dann wird gleich einmal in die Familiengeschichte eingetaucht und die der Salzburger Hausärztin erzählt, die einmal Kleidergröße sechsundvierzig hatte, sich dann auf vierunddreißig hinunterhungerte, als sie ihren Mann, einen Lehrer, mit einer seiner Schülerinnen, in der Salzburger Getreidegasse sah, darauf, ging sie in die Psychiatrie, verliebte sich in den Psychiater und als sie wieder ordinierte, erklärte sie Judits Mutter, daß sie ihr nur eine Schnitte Milchbrot zum Frühstück geben soll.
Judit ist die Tochter des erfolgreichen Salzburger Unternehmers Franz Kalmanns, in Ungarn geboren und als er er Kommerzialrat wird, erzählt er den Festgästen lang und breit die Geschichte, wie er nach dem Krieg Trümmer wegräumen mußte und dabei auf ein kleines totes jüdisches Mädchen stieß und seiner Frau Johanna, die aus Südtirol kommt und nicht weiß, wer ihr Vater ist. Dann gibt es noch die Schwester Katalin, zu der die Protagonistin ein sehr gestörtes Verhältnis zu haben scheint. Jedenfalls ruft sie ständig an, sagt, sie hätte etwas Wichtiges mitzuteilen und Judit hebt nicht ab, sondern phantasiert von einer Adoption und meint, daß Katalin das angenommenene Kind der Bauunternehmerfamilie ist. Ansonsten gab es eine schöne Kindheit, mit vielen Kindermädchen und einer Mutter, die schon in den Sechzigerjahren der Laissez faire Erziehung huldigte.
„Alles wächst sich aus!“
So ist Judit jetzt eine Grand Dame geworden, die sich mit ihren Freundinnen durchs Leben hungert, eine hat die Wohnung in Venedig und teilt, an die anderen den Schlüßel aus, so ist Judit nicht allein in dem Palais, sondern bekommt Besuch von der Galeristin Erika und ihrem Hund. Auch darüber gibt es Geschichten, wie die kleine Erika von ihren Eltern nach Purkersdorf gefahren wurde und der Großvater, dem Vater die schönen Jugendstilreste aus dem schönen Sanatorium abtransportieren läßt, die damals niemand haben wollte oder die, wie sie zu einem einsamen Künstler nach Göteborg fährt und dabei einen Elch überfährt.
„Was hat das mit der Tragikkommödie und dem Traumpaar zu tun?“, könnte man denken.
Geduld, Geduld, man kommt schon darauf, denn Bettina Balaka läßt ihre Protagonistin immer wieder nach Venedig zurückkehren und mit dem Vaporettos durch die Stadt fahren. Sie trifft auch gleich auf Markus, verabredet sich mit ihm zu einer Liebesnacht, er entwischt ihr aber und nach und nach, etwa in der Mitte erfährt man auch etwas über die Beziehung der beiden. Judit hat das Buch in einer Buchhandlung gesehen, dann herausgefunden, daß es am selben Abend eine Lesung gibt, sie läßt es sich signieren, geht mit ins Restaurant, dann in ein paar Bars und landet schließlich in Markus Bett, der einige Jahre jünger ist, findet in den Mails eines, das sich auf sie bezieht. Ein Freund will wissen, ob er die Nacht bei der kühlen Blonden verbringen wird?
„Nein, wirklich nicht!“, schreibt er darauf.
Zu diesem Zeitpunkt erscheint der Dichter, der ein wenig an Thomas Bernhard erinnert und über alles schimpft, kocht Eierspeise ohne Brot, läßt sich die Visitenkarte geben, gibt aber keine Telefonnummer her und ruft auch nicht an. So daß Judit selber initiativ werden muß, das Haus besucht, Markus Post überwacht und auch verschwinden läßt. In Venedig löst sie dann auch noch sein Konto auf und nimmt ihm, als sie sich am nächsten Morgen doch wieder treffen, den Schlüßel zu der Künstlerwohnung aus der Jackentasche und geht dorthin, während er die Biennale besucht. Dort findet sie in seinem Computer sofort „Experiment Judit Kalmann“ und kann feststellen, daß der Dichter mit ihr gespielt, bzw. sie als Romanfigur agieren ließ.
„Game over“ schreibt sie darunter, nimmt den Parmesan aus dem Eiskasten und wartet ab, bis die Ameisen eine schwarze Straße bilden, dann läßt sie den Schlüßel stecken und geht aus der Wohnung. Ihre Freundin Erika hat inzwischen eine Vision, daß sie von einem chinesischen Bettpfosten besucht wurde und Judit sieht ihre Eltern, Katalin und deren vierten Ehemann auftauchen, die ihr erzählen, daß ihre Mutter gestorben ist, denn in Wahrheit war Judit das Adoptivkind und Markus trifft sie auch wieder und, daß sie von ihrer Mutter in Rom geboren wurde und daher eine Italienerin ist, erfährt man am Schluß ebenfalls.
„Wer von Marlene Streeruwitz, Daniel Kehlmann, Robert Menasse… spricht, darf von Bettina Balaka nicht schweigen!“, schreibt Günter Kaindlsdorfer noch am Buchumschlag.
Nun dann tue ich es nicht und erzähle oder flüsterte, daß ich auf den Namen, der 1966 in Salzburg geborenenen und in Wien als freie Schriftstellerin lebenden, das erste Mal 1992 stieß, als ich in der Jury für das Nachwuchsstipendium war. 1993 hat sie den Alfred-Geßwein-Literaturpreis bekommen, einen Podium Gedichtband herausgebracht und bei Droschl ein paar Bücher verlegt. 2002 hat Ruth Aspöck sie und mich zu der Diskussion „Poesie und Brotberuf“ in Poldis Galeriecafe eingeladen, da kann ich mich erinnern, daß sie sagte, daß sie nie umsonst lesen würde und das auch nicht braucht, weil es ihr ja gelungen ist, Eingang in den Literaturbetrieb zu finden, aber auch die Werke anderer dramatisiert.
Mehrere Preise und Erzählbände folgten, 2006 ist der Roman „Eisflüstern“ erschienen, der von einem Soldat aus dem ersten Weltkrieg handelt und jetzt der Gesellschaftsroman „Kassiopeia“, der eine, wie ich den Buchtexten weiter entnehme „doppelbödig, überraschend und mit einer gehörigen Portion Witz erzählt.“
Was ich davon mitnehme ist, daß man einen Roman durchaus bedächtig und weitschweifig beginnen kann. Das überraschende ist, daß am Schluß alles zusammenkommt, die Fragen beantwortet werden, wenn man auch lange glaubte, nette Geschichterln zu hören, die eigentlich mit der Beziehungsgeschichte des Traumpaars und der versprochenen Tragikkommödie nichts zu tun zu haben scheinen.
2012-03-15
Kassiopeia
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