Die Novelle oder Kurzroman „Ein Mann im Haus“ der 1946 geborenen, als Lyrikerin bekannt gewordenen Ulla Hahn, hat es in sich und geht es in ihren hundertachtundvierzig Seiten scharf an. Denn die Protagonistin Maria, eine Goldschmiedin, in einer deutschen Kleinstadt lebend, „liebte es Todesarten, Motive, Opfer und Täter durchzuprobieren“ und stellt sich auch vor, wie sie Giftpilze sammelt, ihre Freunde zu einem opulenten Pilzdinner einlädt und einem Auserwählten die Giftpilzsauce serviert, Maria hat aber auch einen Liebhaber. Den Küster und Chorleiter des Städtchens Egon Hansegon, verheiratet mit der Tochter eines Wurstfabrikaten und von der läßt er sich nicht scheiden, obwohl er es Maria schon oft genug versprach.
„Warte, bis die Kinder groß sind!“, dann will er auch noch auf Reisen gehen und so lädt ihn Maria zu einem Abschiedsessen ein, spielt die Linzer von Mozart, mischt Schlaftabletten in den Champagner oder Sherry und Hansegon kann sich nach dem Liebesakt nicht mehr fortbewegen. So schleppt sie ihn ins Bett, verklebt ihm den Mund mit einem Pflaster und fesselt ihn mit selbstgefertigten Handschellen an die Pfosten.
Das ganze passiert kurz vor Weihnachten und während Maria Rachephantasien schmiedet, vom Kopf und Penisabhacken träumt, füttert sie ihren Liebsten mit einem goldenen Röhrchen, durch das er das Kalbsragou und die Kraftnahrung trinken muß. Sie hält ihm die Urinflasche an und als er sich schließlich anscheißt, reinigt sie ihn liebevoll und bringt auch noch den Fußpilz von den Füßen. Dazwischen geht sie in die Werkstatt zum Weihnachtsgeschäft, besorgt in der Nachbarstadt Gips, um ihm die Totenmaske anzulegen, liest ihm Goethes „Reineke Fuchs“ vor, denkt sich ein bißchen durch ihr Leben, das immer ein sehr religiöses war. So hat sie brav im Kirchenchor gesungen, auch einmal mit einem früheren Mann in Hamburg am Wasser gelebt, die dortigen Kirchen aber als sozialen Wohnbau empfunden, so daß sie wieder in die Nähe Kölns zurückgekommen ist.
Eine Woche geht das so, währenddessen geht Küstermann seiner Küsterfrau ab und die Frauen des Städtchens treffen sich in der Bäckerei, um Phantasien über die Gründe Abwesenheit auszuspinnen. Ist er jetzt mit seiner Geliebten durchgegangen oder ein Opfer des Terrorismus geworden? Ein kleines Mädchen namens Bärbel, das Maria mit ihrem Teddy in der Werkstatt besucht, bringt die Nachrichten von der Tante und Maria erfährt auch davon, wenn sie in die Bäckerin geht, um sich ihren Spekulatus zu holen.
Die Totenmaske mit dem offenen Mund wird zwischendurch mit Karotten gefüttert und Küstermann bekommt seine Weihnachtsnaschereien in der Bettpfanne serviert, nur nascht sie Maria ihm dann weg und als die Woche sich zur Wiederholung neigt, bekommt Egon nochmals Schlafmittel, darf sich dann anziehen und wird in ein Auto gesetzt, denn Maria hat nun genug von ihm. In der Nähe von Köln darf er aussteigen und will das nicht einmal und die Zeitung meldet Montagmorgen „Der Küster sei verwahrlost, unterkühlt, durchnäßt aufgegriffen worden. Trotz seines geschwächten Zustands habe er sich mit letzter Kraft gegen die Entfernung des Pflasters von seinem Mund zur Wehr gesetzt und als es ihm seine in Eile herangeschaffte Frau vom Mund riß, sei er in ein schmerzhaftes Wiehern ausgebrochen. Seither schweige er.“
Zum Glück für Maria, deren“gehämmerte Masken mit weit aufgerissenen Mündern aus Gold und Silber zum Fest die großen Renner wurden.
„Dieses intime Panorama der Grausamkeit wird mit größtmöglicher sachlicher Finesse vor uns ausgebreitet. Eine unbarmherzigere Geschichte gab es lange nicht zu lesen“, schreibt Hubert Winkels auf der Rückseite und ich habe mich naturgemäß ein wenig schwer getan, mit dem Racheakt einer Betrogenen, die den grausamen Unterwerfungsprozeß der Geschlechter umdreht und dachte mir obwohl es flott mit manchmal ein wenig kitschig wirkender Sprachevielfalt geschrieben wurde, die mich ein wenig an Evelyn Grills Rachefeldzüge erinnerte, wieder einmal, warum die große Literatur so negativ sein muß und warum wir das gern lesen wollen?
Obwohl ich bei Wikipedia erfahren konnte, daß der erste, 1994 erschienene Roman der Lyrikerin, große Kontroversen auslöste und sie deshalb auch angegriffen wurde.
Es ist mein erstes Buch von Ulla Hahn, die ich oft als als große Lyrikerin rühmen und in Leipzig oder Frankfurt einmal auf dem blauen Sofa lesen hörte. Im Bücherschrank habe ich es gefunden, den Gedichtband „Herz über Kopf“ und den dritten Roman „Unscharfe Bilder“ habe ich noch ungelesen in meinen Regalen stehen.
2012-05-10
Ein Mann im Haus
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