Jetzt kommt die Besprechung von Evelyn Grills „Wilma“, bin ich ja schon beinahe eine Evelyn Grill Expertin, die ich manchmal bei GAV oder anderen Veranstaltungen sehe und habe auch schon einiges von ihr gelesen, konnte man ihre Bücher ja bei den Buchlandungsabverkäufen bzw. im Bücherschrank finden, eines hat mir Elfriede Haslehner geschenkt. Das „Antwerpener Testament“ war ein Rezensionsexemplar, hat Residenz, die erst bei Suhrkamp erschienen Bändchen ja neu aufgelegt, so auch „Wilma“, das von mir gelesene ist aber ein sogenanntes Mängelexemplar, aus der Auflage von 1994 und das erste Buch was bei Suhrkamp erschienen ist, die „Rahmenhandlungen“ erschienen ja im Wiener Frauenverlag, dem ersten echten sozusagen, und „Winterquartier“, das ich auch gelesen habe, wurde zuerst in der Bibliothek der Provinz verlegt.
Ja, so passieren die literarischen Auf- bzw. Abstiege, aber die 1942 in OÖ Geborene beherrscht ja auch den gnadenlosen Tonfall der österreichischen Provinz und ist damit fast Thomas Bernhard ebenbürtig, sarkastisch, bissig scharf, sich über die Dummheit und die Rohheit der Menschen lustig machend, bei der Erzählung „Wilma“ bleibt es bei der gnadenlosen Aufdeckung des Lebens in einem österreichischen Provinzdörfchen, das darüber Lustigmachen fällt Gott sei Dank weg, ist aber ohnehin schon beklemmend genug und erinnert an die Fünfzigerjahre, obwohl es 1994 erschienen ist. Ich fürchte aber fast, es ist vielleicht immer noch so in den österreichischen oder anderen Dörfern. Felix Mitterer hat sein „Kein Platz für Idioten“ ja auch nicht sehr viel früher geschrieben und noch in den Siebzigerjahren durften die Bewohner von Gallneukirchen nicht in die örtlichen Wirtshäuser und als der kleine Sohn Edith Thabets, das war wahrscheinlich Ende Achtzig, die Anna ungestüm umarmen hat, habe ich Worte gehört, die ich lieber nicht hören wollte und so perplex war, daß ich nicht gleich was antworten konnte, später wurde es dann nicht mehr verstanden.
Es geht bei Evelyn Grill also um Wilma, das ist ein behindertes Mädchen, sehr dick und unförmig, das sich durch das Dörfchen walzt, weil es unzählige Röcke, Westen, Blusen trägt, sich zur Blasmusik dann aber doch sehr rhythmisch mitbewegt und dabei fast in Ekstase gerät. Das sehe ich manchmal am Rathausplatz, in Salzburg habe ich es auch gesehen, das Menschen mit Downsyndrom sich von der Musik sehr angezogen fühlen und offenbar so selbstbewußt sind, daß sie gleich mittanzen. Die Dorfbewohner in dem Provinzdörfchen halten das aber nicht aus und fahren Agnes, die sich um Wilma kümmert, an, ob das denn nun sein muß, die sagt manchmal „Die Straße ist breit für jedermann“, hat aber große Angst, daß man ihr das Mädchen wegnehmen und in die Psychiatrie stecken könnte. Sie ist aber das Einzige was die Witwe hat, die in einem Hotel als Tellerwäscherin arbeitet. So geht Wilma anfangs spazieren und betreut das Grab ihrer Großeltern, das klappt aber nicht sehr lang, denn der Bäcker Lötsch, weiß sich nicht zu beherrschen und vergewaltigt Wilma.
Dann kommt noch der Totengräber Kilian ins Spiel, ein verhinderter Künstler und als die verängstigte Agnes, die Vergewaltigte in sein Totengräberhäuschen bringt, will er an ihr sein Meisterwerk erschaffen und wird dabei von Ev, der anderen Außenseiterin, weisen Frau, Engelmacherin und Hebamme des Dorfes überrascht.
Hier ist das Buch auch ein wenig unlogisch, weil warum Wilma bei Kilian schlafen muß und Agnes sie in der Nacht verläßt, ist nur dramaturgisch einsichtbar. Aber natürlich Literatur lebt von Erhöhung und so realistisch Evelyn Grill die Bewegungen des behinderten Mädchens auch schildert, eine Handlung will sie schon. Am besten in Thomas Bernhardscher Manier, ist sie ja eine Meisterin des Provinzgeschehens. Also gibt es unerklärliche Todesfälle, Männer bringen sich um oder kommen sonstwie zu Tode. Im Dorf wird auch gesprengt, weil man will ja den Fremdenverkehr und der Abtreibungsversuch mißlingt. So kommt der Sohn Wilmas zwei Monate früher zur Welt, die Mutter verblutet dabei, am Schluß wird doch ein Arzt gerufen und der holt die Polizei, die Agnes zur Vernehmung mitnimmt und eine Obduktion wird auch angeordnet, während der Totengräber Kilian auf Evs Verlangen, die Schachtel mit dem toten Kind zu seinem Vater ins Grab legt und dann verschwindet.
„Dem Totengräber verdank ich viel“, meint Agnes.
„Ja!“, sagt die Ev, wir werden es ihm schon heimzahlen!“
Ein eindrucksvolles Buch, das für mich von allen Grill Büchern, die ich gelesen habe, natürlich das berührendste ist. Ein zeigt die menschliche Grobheit und Brutalität des Lebens in der Provinz und sicher auch anderswo, sehr eindringlich und zeichnet das Bild der Behinderten auch sehr realistisch. Ob es uns damit zu mehr Verständnis für Menschen mit Behinderungen bringt, weiß ich nicht. Ich fürchte, der unförmige durch die Gegend wallendene Körper verstärkt die Unsicherheit noch und denke, am besten ist viel Kontakt mit den sogenannten Außenseitern und da wird zumindestens einiges versucht. Gibt es ja den „Ohrenschmaus“ und die Behindertenvereine gehen jetzt mit ihren Klienten hinaus auf die Straße und die Mütter lassen ihre Töchter auch am Rathausplatz tanzen, manchmal gibts sogar Applaus dafür. Ludwig Laher hat ein sehr berührendes Buch geschrieben, ich habe es mit der „Mimi“ versucht, aus der ich am Samstag in der Grundsteingasse lesen werde und ein anderes älteres Buch, den Erfahrungsbericht einer betroffenen Mutter, habe ich im Bücherschrank auch einmal gefunden und darin sind noch die Zustände beschrieben, wie sie Agnes mit Wilma in ihrem Dörfchen wohl erlebte.
Jetzt würde ich noch gern den „Sammler“ lesen und warte schon darauf das Buch einmal zu finden.
2012-06-11
Wilma
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