Literaturgefluester

2012-07-11

Sie sprechen mit Jean Amery, was kann ich für Sie tun?

Filed under: Uncategorized — jancak @ 01:31

„Die Wiener Ausgabe des Frank Lehmann ist Frank Smutny. Sie ist zwar weniger trinkfreudig, dafür aber recht politsch!“, steht auf der Rückseite des 2011 bei Milena erschienenen Romans mit dem langen Titel, des 1965 in Neufelden OÖ geborenen Kurto Wendt, der mit El Awadalla die Wiederstandslesungen am Ballhausplatz organisierte.
Alfred hat das Buch am letzten Volksstimmefest gekauft, zuerst wollte ich es nicht lesen, dann habe ich aber die Lesung bei der KritLit gehört, war begeistert, denn es ist ein so realistisches Buch, wie es mir immer vorschwebt, wenn auch, wenn man den Rückschlagtext weiterliest, ein wenig reisserisch angehaucht. Es enthält aber sehr realistische Stellen und um bei Milena erscheinen zu können, wird es auch genügend abgehoben, bis zum Kitsch, politisch korrekt und ein bißchen widersprüchig ist es auch.
Es beginnt mit einem Brief an eine Magda. Frank schickt ihr seine Papiere und bittet sie, ihn seine Schulden zu zahlen, denn er ist ausgestiegen. Der nächste Brief geht an den Bundespräsidenten, wo er sich von diesem Staat abmeldet und im nächsten Kapitel finden wir ihn beim Frühstück in der Türkei.
Dann geht es los mit der Geschichte des zweiunddreißigjährigen Frankie Boys, des ewigen Arbeitslosen, seit er nach seiner Buchhändlerlehre gekündigt hat.
Seine AMS-Betreuerin vermittelt ihn an ein Callcenter, einige Wochen soll er vom Arbeitsamt bezahlt, dort arbeiten und hat die Chance übernommen zu werden. Einen diesbezüglichen Alptraum gibt es auch im Buch. So fährt Frank schwarz mit der U3 von Ottakring, wo er eine Gemeindewohnung hat, zur Arbeit und ritzt immer einen Buchstaben seines Namens in den Wagon. Das Callcenter wird ganz, wie man es in den Medien immer findet, beschrieben, bis hin zu den Schulungen, wo der Guru vortanzt und alle müssen „Ich bin der Größte!“, schreien.
Man kann auch einen falschen Namen wählen. So nennt sich Frank „Jean Amery“, ohne wirklich viel von dem 1978 durch Freitod verstorbenen Schriftsteller zu wissen und bekommt seltsame Anrufe von einer Calla, die mit ihm diskutiert und ihn zu politischen Aktivitäten verführen will. Sie gibt ihn auch einen Kriminalfall aufzuklären. In Favoriten brannte es in einem Asylantenheim und ein Neo-Nazi wird tot aufgefunden. Frank klärt, umzirzt seine Vorgesetzte Magda, lernt den Schwulen Bo kennen, verliebt sich in ihn, feiert Geburtstag, besucht seine Tante und macht seine ungeliebte Arbeit so gut, daß er in den „Platin Sektor“ aufsteigen darf. Soll er annehmen oder nicht? Er tut es nicht und bekommt dann noch einen Koffer Geld, eine Kellneruniform und den Auftrag einem Minister eine vergiftete Suppe zu servieren. Obwohl politisch auf der anderen Seite, bleibt Frank korrekt, schüttet dem Minister die Suppe vor die Füße und haut mit dem Geld in die Türkei ab.
So weit die Mischung zwischen Arbeitsamtsatire und Politthriller, die ich, da ich mich ja schon lange mit dem Schreiben von realistischen Romanen beschäftige, als noch nicht ganz ausgereift bezeichnen würde. Oder am Schluß ist der Stift mit dem Autor, der, wie ich seinem Blog entnahm, schon am zweiten Buch schreibt, durchgegangen.
Die realistischen Szenen gefallen mir aber und manches ist mir zuwenig politisch korrekt, so bin ich zum Beispiel gegen das Schwarzfahren, das Sachbeschädigen und gegen die Langzeitarbeitslosigkeit. Trotzdem war es sehr spannend einmal einen sehr aktuell politischen Roman zu lesen und einen Nachsatz habe ich noch, den sich meine Stammleser schon denken können, obwohl Kurto Wendt ja so politisch korrekt ist, daß er immer „FreundInnen“ etc, schreibt, also mit großen I für eine geschlechtsneutrale Welt und sein Vorgehen im Nachwort begründet und dem Verlag dafür dankt, daß ers ihm erlaubte. Also es war eine vergnügliche Lektüre, ich bin aber immer noch der Meinung, daß der Wiener Frauenverlag keine Männer verlegen sollte!

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