„Die verlorene Geliebte“, Johannes Urzidils, 1956 erschienene Erinnerungen an Prag, irgendwo habe ich auch die Bezeichnung Roman gefunden, jetzt würde man es wahrscheinlich Memoir bezeichnen, sind zehn Erzählungen, in der Goldmann Taschenbuchausgabe, die ich mir irgendwann vor Jahrzehnten, gekauft habe, sind nur neun enthalten.
Das letzte Kapitel „Die Fremde“ fehlt in dem Buch, das, wie ich kürzlich auch bei einer anderen Goldmann Taschenbuchausgabe aus Fünfziger oder Sechzigerjahren, fand, auf Seite vier oben stehen hat „Dieses Buch wird nur unter der Bedingung verkauft, daß es ohne Zustimmung des Verlags gewerbsmäßig weder verkauft noch vermietet oder auf ähnliche Weise genützt wird.“
In dem anderen Buch, das ich vor kurzem im offenen Bücherschrank gefunden habe, es war ein Moravia, stand noch etwas von einer „Leihbibliothek“ in der es nicht ausgestellt werden darf und es hat mich gewundert, daß in den Sechzigerjahren so etwas in den Büchern stand.
In den neueren Goldmannausgaben, ich habe bei der Christine Grän, die ich unlängst gelesen habe, nachgeschaut, steht nichts mehr davon. Es hätte mich angesichts der Urheberdebatte auch gewundert. Ich habe mir in den Siebzigerjahren wahrscheinlich als Studentin das gelbe TB gekauft und wie man an den Unterstreichungen sieht, auch gelesen, obwohl ich mich nicht mehr daran erinnern konnte.
Von Johannes Urzidil habe ich mir, glaube ich, in der legendären Buchhandlung Herzog auf der Mariahilferstraße „Goethe in Böhmen“ gekauft und dann noch bei irgendeinem Abverkauf ein Heftchen zu „Goethes Amerikabild“.
Viel habe ich damals von Urzidil nicht gewußt und ihn auch vergessen, bis mir Judith Gruber- Rizy im Jänner, die Einladung zu der Johannes Urzidil Buchpräsentation im tschechischen Zentrum schickte, die eine wirklich eindrucksvolle Veranstaltung war. Ich bin nach Hause gegangen, habe nachgeschaut, was ich von Urzidil auf der Bücherliste habe, die Bücher in Harland gesucht und die „Verlorene Geliebte“ auf meine Sommerleseliste gesetzt.
Die neun Geschichten des 1896 in Prag geborenen und 1970 in Rom gestorbenen Urzidil, der 1939 nach England emigrierte und 1941 nach New York kam, wo er auch lebte, sind auch sehr beeindruckend. Weil einerseits sehr schlichte Lebenserinnerung und dann prägen sich manche fein erzählte Geschichten wieder auf eine sehr starke Weise ein.
Die erste Geschichte heißt „Spiele und Tränen“ da wird noch von „dem Knaben“ erzählt, der später dann zum „Ich“ wechselt.
„Der Leser weiß ja bereits, daß ich selbst es bin!“
Eigentlich beginnt es mit einem Garten oder einem Hinterhof eines Prager Hauses, der für das Mädchen Adele gemietet wurde. Der Knabe durfte darin spielen und grüßt das Mädchen immer ehrfurchtsvoll , wenn er ihn betritt und bewunderte sie sehr. Das Mädchen hat auch einen Onkel, der sie besucht und der sie nach Wien führen soll, um ihr den Kaiser zu zeigen. Der Onkel nimmt dem Knaben in eine Zirkusvorstellung mit, wo die Liebe des Knaben Adele verläßt und sich der Trapezkünstlerin Isabella zuneigt. Das Kapitel endet mit dem Tod Adeles, alle tragen schwarze Kleider und sind bestürzt. Ja, damals ist man noch an Scharlach, Diphterie oder anderen Kinderkrankheiten gestorben.
Das zweite Kapitel berichtet vom Leben des Knaben, Urzidil hat seine Mutter früh verloren. Dann kommt eine „Stief“ ins Haus, eine Tschechin mit der der Knabe sich nicht versteht und als der Vater stirbt, wird er Unterlagen finden, daß er ein uneheliches Kind hatte. Es wird auch das Leben des Knaben in Prag genau beschrieben.Die Bedienerin kocht für ihn. Nach der Schule holt er den Vater von seinem Amt ab, er war Eisenbahnbeamter und hat nicht viel verdient, ist mit ihm in ein Wirtshaus gegangen, wo er mit nach dem König Boris, genannt wurde, obwohl ergar nicht so gehießen hat.
Manche Geschichten muten heute gar nicht mehr verständlich an, zum Beispiel die, wo der Vater zu Silvester mit der „Stief“ Biertrinken war, dann sein Portemonnaie mit dreihundert Kronen, seinen ganzen Monatslohn verliert und der Knabe geht in der Nacht das Börsel suchen und meldet auch bei der Polizei den Diebstahl an. Von einem Beamten mit dem hohen Tschako will er dann nicht nach Hause begleitet werden, so läuft er ihm davon.
Es wird auch das Leben der Dienstmänner geschildert, die es damals noch gegeben hat, bevor sie von den Radlern abgelöst wurden, die meistens Briefe an Damen vom Theater von Offizieren abzugeben hatten und weil ein solcher im Hause wohnte, bekommt der Knabe manche Aufträge durchzuführen, die ihn dann in seelische Bedrängnis versetzen.
Sehr beklemmend auch die Geschichte, die im ersten Weltkrieg spielt. Da war Urzidil schon Soldat und mußte abends um neun zu Hause sein. Er sieht aber im Kaffeehaus Franz Kafka sitzen, trinkt einen Schwarzen und wird vom Kellner vor der Militärpolizei gewarnt, so versteckt er sich in der Wohnung seines Schulfreundes. Das Dienstmädchen läßt ihn hinein. Der Schulfreund tut Dienst im Lazarett, Mutter und Schwester schlafen, so sitzen die beiden im Salon, es hat sich noch ein Deutschmeister angeschloßen und die Polizei verläßt die ganze Nacht nicht das Haus, weil sie einen Mörder sucht, von dem sich später herausstellt, daß das der ist mit dem Urzidil im Zimmer sitzt.
Die Geschichte vom „Repitenten Bäumel“ habe ich schon im Tschechischen Zentrum gehört. Da geht der Knabe schon ins Gymnasium und da wird eines schönen Tages ein Mädchen aufgenommen. Die Burschen gründen erst den Klub der Weiberhasser, bis Urzidil sich in das Mädchen verliebt und als die Knaben später auf Klassenreise nach Weimar fahren, führt Bäumel sie in ein Bordell.
Einige Geschichten spielen am Land. Urzidil hat die Ferien offenbar bei einem Vetter verbracht, der dort Schulmeister ist, wirft einen Ball über die Mauer eines Schloßes und wird von der „Schloßliesl“, einer seltsamen Frau, eingeladen über die Mauer zu klettern und sich von ihr am Klavier vorspielen zu lassen. Als er schon Redakteur ist, verbringt er die Sommer bei einem Herrn Stifter, der nicht mit dem Adalbert verwandt ist und auch dessen Namen nicht kennt, der hat eine seltsame Tochter, die mit Tieren spricht, in der Schule aber nicht für lernfähig gilt und als sie ins Kloster soll, ins Wasser geht, heute würde man sie Autistin nennen.
Urzidil versteht etwas sehr geheimnisvolles aus der Begegnung mit diesem armen Mädchen zu machen und auch die letzte in dem Buch enthaltenen Geschichte, habe ich schon im tschechischen Zentrum gehört. Hitler hat Prag besetzt und Urzidil muß hinaus, da erinnert er sich an einen Schulfreund aus der Volksschule, einem anderen armen Kind, mit Holzbein, das später auch im Gefängnis war, der läßt ihn bei sich schlafen und gibt ihm einen Zettel aus der Schule, wo er hat schreiben müßen „Du sollst nicht schwätzen und einsagen“. Im Zug, als er Prag dann verläßt, hat er ein ungutes Gefühl, weil die Papiere gefälscht sind. Er gibt dem Schaffner irrtümlich den Zettel, der lacht und stempelt die falschen Paiere ab.
Schade, daß das letzte Kapitel fehlt und das mit dem gewerbsmäßigen Weiterverkaufen, bzw. Verleihen des inzwischen schon sehr vergilbten Büchleins, wäre auch sehr schwierig, sind mir die Seiten beim zweiten Lesen ja geradezu aus dem Buch gefallen, was sehr schade ist, weil ich nicht sicher bin, ob die „Verlorene Geliebte“ inzwischen nicht vergriffen ist.
Es gibt aber eine Johannes Urzidil Gesellschaft, die sehr rührig ist und mit dem im Jänner in Wien vorgestellten Neuausgaben durch Österreich und Deutschland tourt und auch meinen Literaturgeflüsterartikel auf ihrer Website verlinkte.
2012-07-14
Die verlorene Geliebte
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