Weiter geht es mit dem Herbstprogramm aus dem Haymon-Verlag. Zwei Erzählungen von Joseph Zoderer, die das Sterben und das Älterwerden zum Thema haben. In der Titelgeschichte geht geht es um zwei Brüder und die Verschiedenheit bzw. die Distanz, die sie in ihrer Beziehung haben oder auch um einen Monolog eines Fünfundsiebzigjährigen. Joseph Zoderer, um die Autobiografie zu bemühen, wurde 1935 in Meran geboren und der namenlose Ich-Erzähler monologisiert auf über sechzig Seiten über seinen älteren Bruder. Über fünfundachtzig ist er und hat in der Ukraine, nicht in Stalingrad, ein Stück Lunge verloren, als er als MG-Schütze dort einen Sturmangriff wagte und verwundet wurde. Das ist ein großes Thema der Erzählung, die Frage der Schuld, die der jüngere, der, als das passierte, wahrscheinlich gerade in der Volksschule lesen lernte und dort auch mit Hitlers oder Mussolinis Heldentaten vollgeschwafelt wurde, nicht verstehen kann. Hätte das tausendjährige Reich länger gedauert, wäre er vielleicht auch eingezogen worden, hat es aber nicht und so ist auch der Bruder zurückgekommen, hat, weil mittellos seine Minna geheiratet, die sich zur ersten Verkäuferin eines Schreibwarengeschäftes hinaufgearbeitet hat, bis sie in Pension ging. Der Bruder war, weil aus einer armen Familie stammend, angelernter Buchbinder und jetzt schon lang verwitwet, hört schlecht, schleppt sich mit Stock oder Krücken durch seine Zweizimmerwohnung oder wenn es hoch kommt, zum Spaziergang auf den Friedhof und hat zwei polnische oder ukrainische Zugehfrauen, die später auch Heim- oder Pflegehilfen genannt werden, denn er hat noch ein Problem, für das er sich sehr schämt. Er ist inkontinent, das heißt, er trägt Windeln, da er diese aber in der Unterhose hat, werden es wohl Einlagen sein und kämpft auch mit der Angst um den Erinnerungsverlust. Das Problem des Älterwerdens und das des Sterbenmüssen, das uns alle wohl erwartet und das wir meistens sehr verdrängen. Die Schriftsteller, die hier etwas privilegierter sind, beschäftigten sich damit und das ist gut so, denn so haben wir, wenn wir nicht zu den leichten lockeren Bestsellern ausweichen, die Chance uns damit auseinanderzusetzen und mir hat dieser vorsichtig distanzierte Zugang, da ich mich im Augenblick ja sehr mit der Frage beschäftige, wie die Betreuung meines Schwiegervaters klappt, der seinen Kampf mit dem Ich-Verlust schon fast verloren hat und dem man einmal auch mit sechzehn, siebzehn oder achtzehn Jahren von der Schulbank weg an die Front trieb, gut gefallen. Und meine persönliche Meinung zu diesem Thema, die einen viel älteren Vater hatte, der zu Hause sehr freimütig erzählte, daß er damals in die Luft geschossen hat, obwohl er, wenn ich das, was ich weiß, rekonstruiere, gar nicht so viel an der Front, sondern Fernschreiber war, ist, daß die jungen Burschen, denen man damals die Matura und einen Teil der Lunge stahl, gar nicht so viel an Schuld haben können. Was hätten sie denn sonst machen sollen? War ja damals ein sehr autoritäres Regime und die Propagandatrommel mit der HJ-Jugend wurde auch sehr eifrig gerührt.
Die beiden Brüder sind sich also fremd, denn der jüngere war in den New Yorker Jazzkneipen und ist durch Amerika getrampt, während der andere in Südtirol oder wo immer Volkstanzlehrer wurde, trommelte, etc. Unpolitisch war er aber auch, denn das wird man, steht irgendwo, wenn man so früh in einem Krieg getrieben wird und jetzt schiebt er sein Sterben auf, was eine eine sehr poetische Formulierung ist. Ich habe zwar nicht so ganz verstanden wieso, denn mit Fünfundachtzig stirbt man heute ja noch nicht unbedingt und dieser Bruder ist noch ganz gut beisammen. Der Zerfall und das Verlieren der Erinnerung wird vielleicht später kommen und das erlebt man oder erlebt es nicht. Ich finde es gut, sich damit zu beschäftigen und so habe ich diese vorsichtige Annäherung des über Fünfundsiebzigjährigen an das Sterben und den Tod sehr genossen und auch sehr dicht beschrieben gefunden. Nicht alle werden wir Windelhosen tragen und was ich so an meinen Vätern-und Schwiegervätern erlebe, wenn es so weit ist, macht es einem nichts mehr aus. Man kann die Gnade des früher Sterbens erleben, wie auch die Gnade der späteren Geburt und was die Sturmangriffe in der Ukraine, in Stalingrad, etc auf der anderen Seite bedeutet haben, habe ich erst vor ein paar Tagen gelesen und im Wochenend-Standard gibt es einen Artikel von Martin Pollak über den Handel mit alten Soldatenfotos. Ich habe ein Fotoalbum, wo mein Vater in der Uniform zu sehen ist. Man ist damals um diese Erfahrung wahrscheinlich nicht herumgekommen und bald werden die gestorben sein, die mit der Notmatura an die Front geschickt wurden und es ist sehr schön, daß wir in Österreich solange keinen Krieg erlebten, überall anders gab es das sehr wohl, das sinnlose Sterben die Aggression und die Gewalt…
Dann ist da noch die zweite Erzählung „Konrad“, die am Beginn des Buches steht, wo der namenlose Ich-Erzähler über den Freund sinniert, der gestorben ist und der er vielleicht gar nicht so gut kannte, obwohl sie doch jahrelang die Spaghetti miteinander teilten, sich in Wien am Stephansplatz kennenlernten und der eine dann den anderen in Rom, wo er lebte, besuchte.
Auch eine sprachlich sehr schön erzählte Geschichte. Joseph Zoderer, von dem ich vor einem Jahr die „Farben der Grausamkeiten“ gelesen habe und auch bei einer Lesung in der Alten Schmiede war, ist ja ein großer Sprachkünstler. Eine schöne Erzählung über einen Freund, mit dem man lange lebte und ihn doch nicht kannte, steht glaube ich, in der Beschreibung. Klappentexte gibt es ja bei E-Bücher nicht. Die andere Erzählung ist für mich dichter und berührender, wahrscheinlich, da ich mich immer schon mit dem Älterwerden und dem Sterben auseinandersetzte und da ich einmal fast ertrunken wäre, auch keine besondere Angst vor dem Tod habe.
„Und für einen Moment schließe ich meine Augen und kann so uns beide fallen sehen. Und da weiß ich, daß ich meinen Bruder schon immer geliebt habe.“, lautet der letzte Satz der Titel-Erzählung und der ist sehr tröstlich und schön.
2012-08-05
Mein Bruder schiebt sein Ende auf
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