Was nimmt man mit auf eine sechs Länderreise, wenn man durch die baltischen Staaten, Estland, Lettland, Litauen reisen will und eigentlich nur von der litauischen Literatur einen kleinen Eindruck hat?
Ernst Wiecherts „Kleine Passion“ natürlich, weil es ja durch Polen geht.
Auf die „Hunde von Riga“ habe ich vergessen oder nicht daran gedacht, daß das ein passender Literaturtip wäre, aber da gibt es ja die Geschenkbücher, die der Hauptverband des Buchhandels, immer um den 23. April anzubieten hat und die ich mir so getreulich hole und dann meistens ungelesen in die Regale stelle, denn Bücherproben, interessieren mich nicht so sehr, lautete das Vorurteil, also haben sich da zwei passende Anthologien angesammelt.
„Erlesene Reisen“ von 2010. 2012 gab es fünfzehn Geschichten zum „Erlesenen Europa“, von Mercedes Echerer zusammengestellt und ganz im blauen im Eu-Design gestaltet, also habe ich mir, als die „Kleine Passion“ und die litauischen Literaturstreifzüge nicht mehr passten, zuerst dieses Büchlein herausgeholt, das obwohl wir ja nicht in den Süden kamen, passend schien, denn sechs Länder in sechzehn Tagen sind ja auch ein schöner Europastreifzug.
Zuerst gibt es ein Vorwort von Mercedes Echerer und die zeigt die Situation sofort schön auf.
„Der Reichtum Europas ist die kulturelle Vielfalt“, tönt es vom Rednerpult. Ich sitze in diesem uniformierten Konferenzsaal und frage mich, wer von den Anwesenden wohl Anhänger der baltischen Kunstszene oder Schwärmer der slawischen Hip-Hop-Kultur, oder Kenner der zeitgenossischen Literatur der Benelux-Länder sein mag.“
Als ich das gelesen habe, sind wir von Riga nach Tallinn gefahren und ich dachte, ich habe auch nicht viel Ahnung von der baltischen Literatur und war verärgert, weil ich beim Vorbereiten nicht daran dachte, daß ein Hennig Mankell Krimi passen könnte.
„Ich sitze vor einem Turm aus Büchern und stöbere in Erinnerungen, suche Verdrängtes, recherchiere Beobachtungen und Berichte, forsche nach Kritik und Visionen, durchforste Alltagsgeschichten und Träume. – Gemeinsam mit Gerald Schantin entscheiden wir uns für 15 sehr persönliche Blickwinkel als betörende Zeugen der Vielfalt und faszinierende Mittler der Welten.- Viel Freude bei der Lektüre“, wünscht Mercedes Echerer noch und die habe ich gehabt und den Streifzug in Estland und in Finnland, wo ich mich hauptsächlich damit beschäftigte, auch sehr genoßen.
Beginnen tut es mit Ursula Albrecht und Ines Sommer mit der Erinnerung an die DDR, wo eine Tochter aus einem fortschrittlichen Hause aus der Schule flog, weil sie bei der Jugendweihe, nicht den „Kampf um die sozialistische Weltrevolution geloben wollte“, sondern stattdessen aus Goethes „Faust“ zitierte.
Ds war schon einmal passend, denn das erste Mal sind wir 1990 in Finnland gewesen und dann mit einer Fähre in die noch existierende DDR nach Berlin gefahren, wo die Mauer schon geöffnet war, so daß man locker von Ost nach West und zurück fahren konnte. 1985 brauchten wir noch ein Visum, hatten den Zwangsumtausch und die scheelen Blicke der Parteimitglieder. Mit der Fähre sind wir damals, glaube ich, von Sassnitz nach Stockholm gefahren.
Auch die Geschichte von Nelly Bakus war sehr interessant. Denn sie schildert das Europa von der anderen Seite. Da gibt es Stipendiaten, die aus Weißrußland oder anderen nicht EU-Ländern nach Amsterdam etc kommen wollen, weil sie eine Einladung einer Universität oder etwas Derartiges haben und an der Borniertheit der Beamten scheitern, die ihre Einladungen nicht anerkennen, so daß die Autorin einmal nicht nach Österreich fahren konnte, weil die Tschechei den Transit verweigerten…
Sylvia Treudl hatte bei der letzten GV der IG Autoren etwas Ähnliches von einer Stipendiatin, die sie betreute, zu berichten, während wir es von der anderen Seite, ja viel einfacher haben und problemlos von Harland bis nach Finnland fahren konnten und den Paß nur für die Schiffspassage oder die Campingplätze brauchten.
Achim Bennig hatte etwas über sein „Bißchen Tschechien“ zu berichten, denn das Reinhardt Seminar, das er einmal besuchte, befindet sich offenbar in der Nähe der tschechischen Botschaft und da lernte er Jiri Grusa kennen, der zuerst Dissident und Verfolgter, später Botschafter war und inzwischen verstoben ist, der Text stammt aber aus dem Juli 2008, so daß er davon nichts berichtet.
Auch Gyorgi Budas „Drei Brücken über meine Donau“ war sehr eindrucksvoll. Denn ich war ja schon einmal in Passau und bin mit dem Schiff an der Stelle gefahren, wo die drei Flüße zusammenfließen und in Budapest war ich auch schon ein paar Mal.
Dann gibt es eine Stelle aus Michail Bulgakows „Der Meister und Margarita“, da habe ich den Europa-Bezug nicht ganz verstanden, das Buch aber, glaube ich, an den Tag gefunden, als der Bücherschrank in der Zieglergasse, neu eröffnet wurde und wartet, wie die „Hunde aus Riga“ auf das Lesen. Mit Romanauszügen tue ich mir immer etwas schwer, aber das Buch soll ja zum Lesen des Ganzen anregen und das werde ich demnächst auch tun.
Tibor Dery geht wieder in die Vergangenheit zurück, wo man in Budapest sieben Jahre in der Todeszelle sitzen und dann mit einem Schlag entlassen und nach Hause geschickt werden konnte. Der Taxifahrer nimmt in dieser Situation kein Trinkgeld und führt einen extra zum Zigarettenladen, die Hausbesorgerin sperrt die Wohnung auf, in der inzwischen eine Untermietfamilie einquartiert wurde, die Frau hat auf einen gewartet und das Leben ist schön…
Dann kommt Karl Markus Gauß und der ist ein Kenner Osteuropas, erwähnt die baltischen Staaten und hat 2005 alle Länder bereist, die damals in die EU aufgenommen wurden. Lettland und Estland zum ersten Mal. Ich war ein bißchen später daran und er erwähnt bei den Literaturhinweisen auch den serbischen Juden Danilo Kis und von dem habe ich auch ein Buch in meinen Regalen, das ich noch lesen sollte.
Dann kommt ein Text über Luxenburg „Einfach nur der Nase nach?“, mit dem fängt man in den baltischen Staaten naturgemäß weniger an, ich kann nur sagen, in Luxenburg war ich noch nie und sollte vielleicht einmal dorthin fahren oder ein paar Bücher darüber lesen.
Veit Heinichen habe ich schon gelesen. Sein Text geht über Triest und dort war ich auch schon ein Osterwochenende mit der Anna und dem Alfred und habe mich, als ich „Den verrückten Traum der Thea Leitner“ geschrieben habe, auch darauf bezogen.
Markus Jakob schreib über Barcelona und dort sind wir, als wir 2005, in Andalusien waren, nur durchgefahren, die Hotelburgen und die Billigarbeiter aus Afrika haben wir aber auch gesehen und ein bißchen scharfe Europakritik tut sehr gut, auch wenn der Text die Welt nicht ändern wird. Mich beeindruckten damals die vielen marokkanischen oder algerischen Gastarbeiterfamilien, die mit ihren vollgepackten Autos in die Heimat fuhren und das Rasthaus total dominierten, so daß ich mitten in Spanien, die einzige Frau ohne Kopftuch war, die laut und fröhlich waren und dann die ganzen Baguettes, die sie sich zum Essen holten, einfach liegen ließen.
Paul Nizon, den ich ja auch kenne, beziehungsweise einmal in der Alten Schmiede versäumte, hatte einen Exkurs über die französische Frau und schwärmt dabei von seiner Concierge. Nn ja die Einblicke der älteren Herren auf das weibliche Geschlecht sind manchmal schwierig, die Feministinnen machen es ihnen aber wahrscheinlich auch nicht leicht.
Danach tritt Pier Paulo Pasolinie „aufs Gaspedal“ und erzählt, wie er mit Alberto Moravia in Rom spazierengeht, von dem habe ich auch noch ein paar Bücher zu lesen und ein paar Tage in Rom waren wir auch einmal. Um ein Stipendium in einer dieser berühmt berüchtigten Wohnungen, habe ich aber nie angesucht. Erika Pendretti geht in „Engste Heimat“ nach Böhmen zurück, während Tom Sharpe von einem englischen oder irischen Großvater schreibt, der den unehelichen Sohn seiner Tochter ziemlich weltfremd aufwachsen läßt und dann mit ihm auf Anraten seines Arztes, doch auf Kreuzfahrt geht, wo er sich gleich in die schöne Jessica verliebt. Am Schluß geht es noch mit Risten Sokki in einem Sonett nach Norwegen, wo er den Austand der Samen am 8. November 1852 gegen die norwegische Obrigkeit beschreibt, da hatten wir Skandinavien aber schon verlassen und jetzt bin ich von sowohl von meiner litarischen als auch meiner tatsächlichen Europüpareise zurückgekommen.
Über den Unterschied zwischen dem Schreiben und dem Lesen wird noch in den „Erlesenen Reisen“ zu berichten sein. Jetzt bleibt mir nur zu schreiben, daß ich die Lektüre der fünfzehn Europageschichten empfehlen kann. Manchmal stehen die Geschenkbücher im offenen Bücherschrank zur freien Entnahme. Man muß aber natürlich weiterlesen, den ganzen Bulgarkov, die Heinichen Krimis, die Gaußschen Tagebücher,u.u.u. aber das ist ja, wie erwähnt, der Sinn des Ganzens und wenn man das macht und auch noch eine Sammlerin ist, hat man bald die Regale voller Bücher, so daß es vorkommen kann, daß man Thomas Bernhards „Holz fällen“ nicht mehr findet. Man sucht und sucht, beschuldigt die Tochter es genommen zu haben und setzt sich dann in den Weihnachtsfeiertagen in dem Jahr, wo der große Tsunami wütete hin und schreibt einen Bücherkatalog und da findet man ein altes Buch aus der Bibliothek seiner Eltern, das auch Europareisen schildert und das man dann begierig las und die Schnappschüße bewunderte, die aus einer Zeit stammten, als die EU noch ein Traum der Menschen war.
„Europasommer“ – „Als Funkreporter 24.000 Kilometer durch 24 Staaten unseres Kontinents“, von Josef Maderner geschrieben, heißt es. 1956 ist es in der Büchergilde Gutenberg erschienen. Jetzt habe ich trotz Buchkatalogs auch eine Weile gesucht, bis ich es gefunden habe und sollte es natürlich noch einmal lesen oder hätte es auf meine Reise mitnehmen können…
2012-08-14
Erlesenes Europa
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