Jetzt kommt ein wahres Gustostückerl aus dem offenen Bücherschrank, in dem man ja, ich schreibe es immer wieder, wahre Raritäten finden kann, nämlich Egon Erwin Kischs „China geheim, erst erschienen 1933 und gleich auf den Scheiterhaufen der Nazis verbrannt, die Aufbau Ausgabe von 1950 mit einem Vorwort des Lektors oder Verlagsleiters Bodo Uhse, habe ich gelesen. Da war der rasende Reporter schon gestorben und Uhse schreibt, daß er sich lebhaft vorstellen kann, wie sehr die Leser auf die Lektüre warten. Dennoch will mit ein paar Worten erklären, daß, die Leser wissen es, kurz nach der Ersterscheinung Anfang 1933 im Erich Reiß Verlag, die braune Wende kam, Kisch wanderte ins Moabiter Unteruchungsgefängnis „China geheim“ wurde eingestampft und nun können die DDR oder andere Leser Kisch Reportagen wieder lesen. Die Früchte jener Chinareise, die Kisch 1932 von Moskau aus unternahm und das Land hat sich seit dem Vorabend des Faschismus auch sehr verändert, „hat doch der Sieg der chinesischen Volksarmee über die Heere Tschiankaischeks und der Sieg Mao-Tse-Tungs über die Dollarmillionen des Marschallplans inzwischen stattgefunden.“
Wieso das Buch „China geheim“ heißt, ist mir trotz der Vorgeschichte nicht ganz klar geworden, ist ja Kisch mit der Transib 1932 mit einem ganz offiziellen Visum nach China, in dem damals der Bürgerkrieg herrschte, eingereist, obwohl er, als er von den Chinesen kontrolliert wurde, seine Russischkenntnisse verschweigen mußte, denn Kommunisten wurden damals in China mit dem Tod bedroht, zumindest hat man sich solche Geschichten in den Speisewägen der Eisenbahnzüge erzählt. Es beginnt mit der Fahrt in der Transib, die sibirische Kälte wird geschildert, ohne Handschuhe darf man nichts anfassen und die Mitreisenden sind allesamt Kriegsberichterstatter, die sich nach den Rubelkursen erkundigen.
Dann kommt Kisch, der, für mich auch nicht ganz verständlich, in der „Wir“ Form schreibt, hatte er einen Begleiter mit sich oder tat man das damals so wenn man berichterstattete, in dem für mich so fremden Land an, das vor fast achtzig Jahren, noch sehr viel anders war, als wir es heute kennen und er gibt in sehr scharfen Worten auch gleich einen sehr lebendigen Bericht von seinen Eindrücken, so daß man sich das geheime China gut vorstellen kann und es wirklich zu empfehlen ist, 2012 einen Blick zu machen, wie es vor dem Sieg der großen Revolution, die heute schon Geschichte ist, in China ausgesehen haben mag.
Die Füße der alten Frauen waren noch verkrüppelt, Pearl S. Buck, die Nobelpreisträgerin von 1938, hat diese Greueltaten der Frauenunterdrückung auch sehr anschaulich beschrieben und Kischs scharfer Blick deckt auch noch sehr vieles anderes auf, das uns gar nicht so fremd erscheint. Die Kinderarbeit zum Beispiel. Er kommt in zum Teil noch von Engländern betriebenen Seidenspinnereien, wo die Frauen ihre Säuglinge auf den Boden liegen haben, um sie besser stellen zu können und beschreibt solcherart die Karriere eines chinesischen Kindes, obwohl das Mitbringen der Säuglinge verboten war, aber die englischen Kolonialherren haben sich nicht darum gekümmert.
„Der Begriff der Lebenslänglichkeit ist hier wörtlicher gefaßt als in Strafgesetzbüchern: das Neugeborene liegt unter dem Webstuhl, Schwesterchen steht an der Spinnmaschine, Mutter arbeitet am Scherbaum, Großmutter näht die Ballen zusammen. so soll dein Leben ablaufen, Baby, nach dem Gesetz, nach dem du angetreten.“
Man sieht Kischs Ton ist ganz schön sarkastisch, er prangert manches an und wundert sich auch über einiges, so zum Beispiel, daß die zum Tod Verurteilten, erst hingerichtet werden, wenn sie von einem Missionar besucht wurden und zum katholischen Glauben übergetreten sind. Er glaubte erst an einen Spaß, den der Sergeant mit ihm machte, dann kam der „faßdicke Priester im Kleinauto“ aber wirklich an und waltete seines Amtes.
Ein Kapitel ist den Rikscha-Kulis gewidmet, die sich vor einen Stuhl spannen und die reichen Ausländer durch Shanghai tragen, sie verdienen nicht sehr viel damit, sterben früh und werden auch noch den Polizisten und den Kindern verprügelt und wenn einer der Ausländer einmal in Not kam, spannte er sich selber davor und konnte hoffen, so das Geld für die Schiffspassage zu bekommen, weil das seine Landsmänner nicht sehen konnten. Aber Ausländer ist nicht Ausländer, die „russischen Mädchen“ oder „Poluski gels“, wie sie von Chinesenjungen ausgerufen werden, müßen sich als Prostituierte verdingen und in dem Land herrscht noch das kolonialisiertes Pidgin-Englisch. Kisch gibt uns gleich sehr anschauliche Proben und erzählt von einem Herrn, der seinem neuen Boy befahl, das Fenster zu öffnen „Aufi,Fenster, versteh?“
„Jawohl, mein Herr“,antwortete der Chinese, und fügte in vollendetem Englisch hinzu: „Es wäre wirklich schade, die schöne Frühlingslust nicht zu genießen.“ Daraufhin entließ der Kaufmann den Diener. Man wünscht nicht, mit einem Kuli in der gleichen Sprache zu verkehren, in der man mit Gentlemen verkehrt.“
Soetwas habe ich schon bei Elias Canetti gelesen, als sich das Kinderfräulein plötzlich in die französische Konversation einmischte.
Pidgin, bedeutet die Verstümmelung des Businessenglisch. „Kumscha“ heißt Trinkgeld, „Savy“ verstehen und dann wird die Lorelei zitiert:
„Oh my belong too muchy sorry
And then my no savy what kind
Have got one olo piecy story
No wantchy go outsinde my mind
Savy? Wenn nicht, kannst du dir in jeder Buchhandlung die deutsche Übersetzung dieses Pidgin-Liedes kaufen, sie stammt von Heinrich Heine.“
Ein Brief kommt vor, den ein Vater an seinem Sohn schreibt und der ihn, nachdem er einen Tempel besuchte vor allen Sünden warnt, werden in diesem doch sehr ausführlich an Holzfiguren die Folterungen dargestellt, die einen Sünder erwarten.
Der Vater war offenbar Souvenierhändler und die sind damals in China herumgereist und haben den Chiesen die alten Kunstgegenstände abgekauft, so daß die Schattenspieler ausgestorben sind, weil sie keine Kostüme mehr hatten.
Der Kampf gegen die Kommunisten, der damals geherrscht hat, bis es ein paar Jahre später zum Sieg der Rotarmisten kam, wird am Beispiel der Stadt Nanking, die Kisch gar nicht langweilig findet, beschrieben und besonders interessant, Wien wird mit Peking verglichen und das soll Marx gesagt haben.
„Ein Wort von Karl Marx, das Wort, daß Österreich das deutsche China sei, will uns nicht aus dem Sinn, sooft wir uns im Gewirr der chinesischen Gassen verlieren. Da fühlen wir uns wahrhaftig, als wären wir im asiatischen Österreich, in einem chinesischen Wien. Gaudium und Elend, ewiges Teehaus und Geschäftsgeist, Servilität und Strenge, Fremdenhaß und Fremdenindustrie wohnen hart an hart. Volk der Phäaken. Immer ist Sonntag, auch wochentags. Immer ist Tag, auch bei Nacht.“
Enden tun die Reportagen bei dem sprachgewaltigen Kisch natürlich in einem Kasperlstück. Da wird in einem Dachgarten eines Grand Hotel ein Kasperltheater aufgeführt und der Bühnenmeister führt dem Kasperl sämtliche Prominente vor, die sich im Publikum befinden, das hauptsächlich aus der Völkerbundkommission besteht, die „nichts als Spesen“ macht. Dann kommen die Soldaten und schreien „Die Feinde müssen sterben, wir müssen leben. China höre mich! Feinde über dir, China Fremde über dir. China.“
„Ich wollte gar nicht, daß das Stück so ernst endet, ich kann nichts dafür!“, sagt der Bühnenmeister. „Ist es schon aus?“, fragt der Kasperl. „Hm, ich glaube nicht für immer!“, antwortet der Bühnenmeister und Bodo Uhse freute sich 1950 natürlich über den Sieg der Rotarmisten.
Wieweit Kisch wieder aufgelegt wurde und noch zu haben ist, weiß ich nicht genau. Wenn man bei Wikipedia nachsieht, findet man jedenfalls eine lange Werkliste.
„Das kriminalistische Reisebuch“, habe ich mir in den Neunzigerjahren von meinem Vater schenken lassen, das war glaube ich, genauso eine Neuauflage, wie, das Kriegstagebuch „Schreib das auf, Kisch“, das 1991 im Aufbau Verlag erschienen ist. Wie das Buch zu mir gekommen ist, weiß ich gar nicht mehr, ich kann mich auch nicht an das Lesen erinnern. Es gibt aber ein Eselsohr und eine Visitenkarte von einem Gasthaus in Marbach an der Donau, vielleicht habe ich es auf eine unserer Donauradtouren mitgenommen, die wir in den Neunzigerjahren mit der Anna manchmal machten.
Und der Bücherschrank macht es möglich, Kisch in Originalausgaben zu lesen, so habe ich auch noch zwei Bücher aus den Vierzigerjahren gefunden, die im Globus, dem österreichischen Aufbauverlag, wie man sagen könnte, erschienen sind.
„Entdeckungen in Mexiko“ und „Marktplatz der Sensationen“.
Der rasende Reporter, der 1885 in Prag geboren ist und 1948 dort starb, ist aber auch in Amerika gewesen und hat noch über sehr viel anderes berichtet und ich kann, wie schon geschrieben, die Lektüre wirklich sehr empfehlen.
2012-09-12
China geheim
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