Literaturgefluester

2012-09-25

Urs Widmers literarisches Portrait

Filed under: Uncategorized — jancak @ 00:04

Der 1938 in Basel geborene Schweizer Dichter, der gelegentlich in die Alte Schmiede kommt und auch eine Connection nach Graz und zu den „Manuskripten“ hat, wie Kurt Neumann in seiner Einleitung erwähnte, hätte schon im Februar während des Schweizer Schwerpunkts in der Alten Schmiede vorgestellt werden sollte. Ich hatte mir den Termin auch vorgemerkt, die Veranstaltung ist aber ausgefallen und wurde jetzt nachgeholt und ich bin auch sehr begierig hingegangen, obwohl ich, um die Frage Friedrich Hahns, neben dem ich gesessen bin und mit dem ich mich vor der Veranstaltung über den offenen Bücherschrank und das Gratislesen unterhalten habe, zu beantworten, keine besondere Widmer Spezialistin bin, habe aber einmal, vor Jahren „Im Kongo“ von einer Kollegin zum Geburtstagsfest bekommen und „Liebesnacht“ vor kurzem im Schrank gefunden. Ich war auch, kann ich mich erinnern, bei der „Fünfzig Jahre Manuskripte“ Veranstaltung, wo Urs Widmer, ich glaube, auch aus „Stille Post“ seinem letzten Werk gelesen hat und in Frankfurt wurde vor einigen Jahren auf dem blauen Sofa auch „Herr Adamson“ vorgestellt und im vorigen Jahr hat er die Tage der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt eröffnet.
Ein Urs Widmer Portrait also, des weißhaarigen älteren Herrn, der viel lacht und eine sehr imposante Art hat, sich und seine Bücher vorzustellen. Das tat aber eigentlich der Widmer Kenner Samuel Moser und Kurt Neumann versprach in seiner Einleitung, daß dem Publikum damit etwas geboten würde, was man sonst in Wien nicht so leicht zu hören bekommt.
Zweieinhalb Stunden hat es gedauert und es war natürlich keine Gesamtvorstellung des Lebenswerks, sondern nur ausgewählte Schriften und da hat es mit „Herrn Adamson“ begonnen, dem Buch in dem Urs Widmer sozusagen seinen eigenen Tod inszeniert und er tut das, in dem er die Vortoten erfindet, das sind die, die in der Sekunde gestorben sind, in der wir geboren wurden, die begleiten uns dann durch unser Leben, als eine Art Schutzengel und am Schluß holen sie uns ab. So ist der kleine Mick acht, als er durch eine Art Hades geht, den Tod besiegt, um diese Geschichte dann mit vierundneuzig seinem Enkel zu erzählen und am Ende kommt Herr Adamson und das Buch ist aus.
Ein sehr interessantes Thema und ein Buch, das ich gerne lesen würde, wenn es einmal zu mir findet, das habe ich mir schon 2009 gedacht, als es in Frankfurt vorgestellt wurde. Daß Urs Widmer ein ziemlich surrealer Autor ist, der sich über die realistischen Handlungen eher lustig macht, obwohl er, wie er betonte, darauf schaut, daß die Details stimmen, um darauf seine Phantasie zu setzten, ist dann in der „Reise nach Istambul“ aus der „Stille Post“ klargeworden. Da fährt ein Mann mit seiner Frau und seinem Kind im Zug irgendwohin, es kann Istambul oder auch Bombay sein, bei Zabgreb steigt er aus, weil der Zug eine Stunde stehenbleibt, um sich am Kiosk Zigaretten oder eine Zeitung zu kaufen, er geht durch eine Tür aus dem Bahnhof, kann nicht mehr zurück, ist dann in Belgrad, findet eine Kiosk, hat aber kein Geld, dann ist er Stuttgart, geht Stufen hinauf oder hinab, um mit einem anderen Zug zurück in sein Haus zu reisen, wo gerade ein wilde Party stattfindet, seine Bücher werden zerrissen, Spaghetti ausgeschüttet und im Nebenzimmer liegt sein Vater als Kadaver und er denkt, er kann doch dieses Wort nicht für seinen Vater verwenden und die Mutter hat ein Kissen vors Gesicht gedrückt, er reist weiter, kommt schließlich doch nach Istambul, um dort seine Frau und sein Kind zu finden, die Frau ist aber inzwischen gealtert und die Tochter erwachsen.
Eine Reise durch das Leben und eine Beschäftigung mit dem Tod in beiden Büchern, wie Urs Widmer dann in einem Gespräch erklärte. Ich hätte es eher für einen Traum gehalten. Dann ging es zurück zu den Anfängen, nämlich dem Roman, „Die Forschungsreise“, 1974 erschienen und da ist es mir nicht gelungen, den Inhalt zu erfassen. Ich habe nur ungefähr soviel verstanden, daß es sowohl um das Berliner Massiv als auch um Frankfurt geht, aber der Held eigentlich an seinem Schreibtisch sitzt. Dann ging es wieder in die „Stille Post“ und zwar zu Texten, die sich „Damals und jetzt“ benennen. Da hat Urs Widmer in den Siebzigerjahren Texte geschrieben, die er dann verloren hat, bzw. in dem Roman „Das enge Land“ verwendete. Dann hat er sie wiedergefunden und um einiges ergänzt. Diese Texte las er vor, bevor es an zum „Engen Land“, 1981 erschienen ging und da sagten Samuel Moser und Urs Widmer, daß man die Handlung nicht nacherzählen kann.
„Uje!“, dachte sofort die Realistin, aber dann war es nicht so schlimm. Zumindest habe ich mir aus dem Vorgetragenen einiges zusammengereimt. Es geht wieder um Frankfurt und um das Berliner Massiv, aber auch um einen Berg, auf dem eine Frau lebt, die genau jede Textfragmente hinunterschreit und die Geschichte eines Landes aufschreiben will, das einige hundert Meter lang, aber nur ein paar Meter breit ist und an einer Eisenbahnlinie entlang liegt. Sie hat in diesem Land gelebt, ist dann nach Deutschland gegangen und jetzt findet sie nicht mehr zurück.
Am Schluß kam noch eine Erzählung aus der „Stillen Post“ nämlich „Grappa und Risotto“, eine Art Familiengeschichte, wo es um viele Tanten und Onkeln geht und einen Grappafabrikanten der seine Fabrik verloren hat, einen Teil hat eine falsche Anastasia dahingenommen, um sich ihr Bernsteinzimmer zurückzuholen, den anderen eine Sekretärin zur Konkurrenz gebracht und eine Tante, die soviel redet, daß sie der Schrecken der Familie ist, gibt es auch.
Danach bedankten sich die Vortragenden für die Geduld der Leser, es hat sich aber gelohnt, eine Einführung in einen kleinen Teil des Werkes zu bekommen, so bin ich neugierig geworden, habe mir ja das Lesen beider Bücher vorgenommen und bin gespannt, was ich noch alles von Urs Widmer hören und lesen werde.

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