Marlene Streeruwitzs letzter Roman „Die Schmerzmacherin“ mit dem sie letztes Jahr nicht nur auf die Shortlist des dBps gekommen, sondern auch den Bremer Literaturpreis gewonnen hat, ist nicht leicht zu verstehen. Zumindest mir, die ich ja die Struktur des realistischen Inhalts und die Chronologie brauche, ist es schwer gefallen, mit den vielschichtigen Handlungssträngen und den Aussparungen der Geschichte zurechtzukommen, obwohl ja eigentlich sehr bedächtig und passiv erzählt wird.
Da gibt es Amy Schreiber, die einerseits einen berühmten Urgroßvater, eine reiche Tante in England, aber auch eine drogensüchtige Mutter hat, die sie als Kind zu den Schottolas nach Stockerau in Pflege gegeben hat oder geben mußte, vierundzwanzig Jahre ist sie alt und hat ihr BWL-Studium abgebrochen. Jetzt soll sie eine Ausbildung zur Sicherheitsfachfrau in einer Firma die Allsecura heißt und an der deutsch tschechischen Grenze ihren Standort hat, machen. Ihre in England lebende Tante Marina hat sie dorthin vermittelt und Gregory, einer der Mitarbeiter, hat sie dort eingeschleust.
Es beginnt im Dezember, Amy fährt durch den Schnee dorthin, Raubvögel tauchen auf, Amy krallt sich an die Whiskeyflasche und agiert einerseit sowohl paranoid als auch sehr passiv. Andererseits läuft sie wieder sehr viel und überlegt, ob sie es sich leisten kann ihre Ausbildung grinsend oder lächelnd zu absolvieren.
Sie rennt im ersten Kapitel durch den Ausbildungsort, eine ehemalige Schule, fürchtet sich vor Cindy, die sie in der Rezeption trifft und die sowohl sehr schlank ist, als auch einen großen Busen hat. Dann trifft sie noch einen gefesselten Mann im Schnee und um einen ehemaligen DDR Agenten soll sie sich in dem Ausbildungsseminar auch kümmern.
Ähnlich geheimnisvoll geht es weiter. Im zweiten Kapitel geht es um einen Gedächtnisverlust, der Freund Gino erleidet einen Unfall und als Amy nach England zu der Tante fährt, weil es auch noch einen Restitutionsanspruch gibt, erleidet sie eine Fehlgeburt, obwohl sie gar keinen sexuellen Kontakt hatte. Sehr minutiös wird das alles erzählt. Dazwischen fallen die Ausdrücke, die man wohl in den Sicherheits- und NLP-Seminaren so lernt, von Kommunikationstrainings und Verhörmethoden wird erzählt. Marlene Streeruwitz hat auf ihrer Website eine ganze Linksammlung über Sicherheitsfirmen und ihre Ausbildungsmethoden aufgelistet. Es gibt auch einige Szenen wo Amy foltern oder sich ihrer Folterer erwehren muß. Das das Rollenspiele sind, bekommt man erst später mit. Sie macht auch eine Ausbildung in einem Privatgefängnis in Nottingham, denn ihre Firma mit dem Heinz, dem Gregory, der Cindy und der Gertraud, ist inzwischen an die Engländer verkauft worden und hat den Namen gewechselt.
Dazwischen zieht Amy wieder nach Stockerau zu ihren Pflegeeltern, die Pflegemutter ist inzwischen an Krebs erkrankt und trifft in einer Konditorei einen Jugendfreund wieder und am Schluß rast sie durch die inzwischen leergeräumte Firma, um ihre Windstopperjacke zu suchen, findet Gregory, der sie wahrscheinlich vergewaltigt hat, tot am Konferenztisch liegen und telefoniert mit Gino, der eigentlich am Operationstisch liegt und man ist mit Marlene Streeruwitz durch die Welt der Sicherheitssysteme gerast und bleibt, ob der vielen Widersprüche und der Themenvielfalt sprachlos zurück.
Hat einen ausgezeichneten und sehr gelobten Roman gelesen, der viel über den Wahnsinn unserer Welt, ihrer Gewalt und ihrer Willkür zu sagen hat und ihn trotzdem nicht ganz verstanden, aber das ist mir bei Marlene Streeruwitz schon öfter passiert.
Zu dem Buch, das ich bei einer literarischen Soiree gewonnen habe, weil das Publikum nicht wußte, mit welchen ORF Redakteur sie befreundet war, gibt es auch eine eigene Geschichte. War ich ja bei der Lesung im Jänner in der Alten Schmiede und bin dorthin mit einer Tasche voll Ausverkaufsbücher gekommen, die ich vorher beim Morawa kaufte und sie Angelika Kaufmann zeigte und ihr erklärte, daß ich vermute, dieses Buch in einem Jahr, um ein paar Euro kaufen zu können. Dann habe ich es schon früher bekommen und jetzt, wo es inzwischen eine neue Shortlist des dBPs gibt, endlich gelesen. Inzwischen war ich sehr gespannt darauf, bin aber ein bißchen an der Vielschichtigkeit der Streeruwitzschen Abgehobenheit gescheitert, da ich es ja gerne einfacher habe.
Die „Verführungen“ habe ich schon zu Pfingsten gelesen und habe mir da ein bißchen leichter getan, obwohl das Milieu in beiden Büchern gleich ist. Außerdem habe ich in den offenen Bücherschränken bzw. im Wortschatz in den letzten Monaten einige Streeruwitz Bücher gefunden, die mich im nächsten und übernächsten Jahr begleiten werden. Man darf gespannt sein, wie es mir beim Lesen geht.
2012-10-01
Die Schmerzmacherin
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