Literaturgefluester

2012-10-28

Damals und dort

Filed under: Uncategorized — jancak @ 00:19

„Die spannenden Jahre 1970 bis 2000“, vielstimmig erzählt, der 1950 geborene Reinhardt Wegerth, Redakteur und Verlagsmitarbeiter, der jetzt in der Alten Schmiede mit anderen die Textvorstellungen macht, machts in seinem, 2010 bei Sisyphus erschienenen Stimmenroman „Damals und dort“, den ich schon einmal im „Beisl“ hörte, möglich und läßt seine Geschichte von scheinbar unspekulären Dingen, wie „Pyramide wieder entdeckt“, „Küchentür, mit Sprung“, „Kanzleramt bewacht“, aber auch von Personen, wie „Wahlstratege, im Bezirk“ oder “ Polizist, gesetzlich gedeckt, in dreißig Abschnitten, denen immer diese, wie ich sie gerne nennen, E.T.A. Hoffmanschen Kapitelüberschriften, wie „Wie der Autor im Jahr 1970 auf einer griechischen Insel ein hygienischen Problem hat, ein verbotenes Musikstück hören darf und sich über historisch begründete Aversionen einer Amerikanerin hinwegsetzt“, vorangestellt sind, erzählen.
Im Klappentext steht „Lebt als Schriftsteller in Wien und möglichst oft auf klimatisch begünstigten Inseln“, und so fängt es auch 1970 auf einer griechischen Insel an und wir lernen den Strandschläfer kennen, der mit weiter knöchellanger Robe und einer Rolle Klopapier, den schweigenden Dornbusch frequentiert und begleiten diesen dann nach Wien, wo er als Student wegen verbotenen Frauenbesuchs, aus dem katholischen Heim fliegt, sich bei einem Kollegen einquartiert und später eine eigene Basenawohnung mit Gangklo bezieht und mit dem Mitbenützer Schwierigkeiten bekommt, weil er nicht wußte, daß er sein Klopapier und die Klobürste, selber mitbringen muß.
Man sieht, das Klo scheint eine große Rolle zu spielen, sonst studiert der Student, der ein ernsthafter Mensch zu sein scheint, Jus, macht sein Rechtspraktikum und verwirrt einmal auch das Leiberl der Druckerin, weil ein Altachtundsechziger, ja seine Augen auf Frauen werfen muß, der Flattersatz spielt natürlich eine Rolle und die alternative Literaturzeitschrift, die inzwischen herausgegeben wird, wird im Schlafsack zum Postamt transportiert, weil der Redakteur kein Auto hat. Da die Siebziger und Achtzigerjahre sehr politisch waren, wird vom Besuch beim „Alten“, sprich Bruno Kreisky, erzählt, den sieht man auch auf der Titelseite, der für das Literaturmagazin interviewt wird und am Ende kommt eine Volksabstimmung gegen Zwentendorf heraus, und der Mediensektretär, der das erzählt, sinniert verzweifelt „Dass sich der Alte das antut!“ und wiederholt diesen Satz ein paar Mal, wie auch in den anderen Abschnitten diese litaneiartigen Schleifen den Texten einen klaren Ton geben.
Hainburg kommt vor und Tschernobyl über das ich erst vor kurzem anderswo gelesen habe und ein Friedensmarsch, da ist schon eine Frau und ein Kind an seiner Seite und ein Luftballon spielt eine Rolle, der in den Himmel losgelassen wird.
So geht es durch die Jahrzehnte, der Jusstudent wechselt in einen Schulbuchverlag, fährt immer wieder nach Griechenland, in die Türkei nach Mexiko, läßt sich von einem Souvenierhändler ums Ohr hauen und verweigert den Grünen, während des EU-Beitritt, die Zahlung, obwohl er sich doch sonst so sehr für sie engagiert und als Schwarz-Blau die Regierung übernommen hat, geht er zum bewachten Kanzleramt und fragt, ob er hineindarf, um den unterirdischen Gang, wo die Regierung, ja an jenem vierten Februar zur Hofburg hinüberging, um nicht mit Tomaten und Eiern beworfen zu werden, zu besichtigen. Die Wache läßt ihn nicht und so sind wir durch drei Jahrzehnte gerast und wenn man, wie ich in dieser Zeit in Wien lebte, läßt sich auch darüber nachdenken, was man selbst zu dieser Zeit gemacht hat?
Die Idee das Ganze von Gegenständen erzählen zu lassen, macht die Geschichte gut lesbar, die klare Distanz der Sprache fällt auf, an der man beobachten kann, wie der Strandschläfer, zum Studenten, zum Rechtspraktikanten, zum Redakteur und schließlich zum Werbeträger wird.
Spannend auf diese Art und Weise die das Vergangene wiederzuerleben und, daß ich in den Siebzigerjahren einmal mit Bärbl Danneberg, Sigrid Farber und einigen anderen Frauen bei „Frischfleisch und Löwenmaul“ war, um dort unsere Arbeitskreisanthologie „Gewalt gegen Frauen, Frauen gegen Gewalt“, herauszubringen und sich erst im Lauf des Gesprächs herausstellte, daß es nichts mit der Veröffentlichung wurde und ich das Manuskript daher immer noch irgendwo liegen habe, habe ich nicht vergessen, wohl aber, daß ich Reinhard Wegerth wegen dieses Buches an den Bundesverlag schrieb. Der Autor konnte sich aber erinnern und hat mich 2007 mit meinem „Wiener Stadtroman“, in die Alte Schmiede eingeladen, am Montag werde ich die „Frau auf der Bank“ dort vorstellen.

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