Literaturgefluester

2012-11-23

Die Rabengasse

Filed under: Uncategorized — jancak @ 00:26

„Zum Andenken von meiner Tochter Josefa, 1954″, steht in schöner Kurrentschrift auf der ersten Seite von Gustav K. Bieneks“, 1949 erschienen und 1928 geschriebenen Wiener Romans „Die Rabengasse“, ein Fund aus dem offenen Bücherschrank, der in Evelyne Polt-Heinzls Zwischenkriegskanon passt. Ein Zeitroman, der die Geschehnisse vom 14. Mai 1916, als der erste Weltkrieg und der Hunger in der Wiener Rabengasse herrschte, bis zu den Ereignissen von Schattendorf, die einigen Bewohnern des dazwischen gebauten Erdberger Gemeindebaus das Leben kostete, sehr eindringlich schildert.
Vorher gibts ein Vorwort und das finde ich besonders schön, weil mir die Biografien und die Beschreibungen, in den alten Büchern ja sehr fehlen, wo der Verfasser auch erklärt, daß er in dem Buch „Verhältnisse, Stimmungen und Volkstypen aus einem entscheidenden Jahrzehnt der Wiener Lokalgeschichte so echt wie möglich festhalten wollte.“
Von dem 1899 geborenen und 1972 gestorbenen Schriftsteller und Journalisten habe ich im Sommer „Die Nacht von Ölmütz“ gelesen, wo die Thronbesteigung von Kaiser Franz Joseph und die Intrigen die dazu führten in einer sehr eindrucksvollen Szene, in der sich ein alter Kammerdiener als Gespenst des seligen Kaisers Franz verkleidet, beschrieben wird.
Hier wird das Leben in der Wiener Rabengasse in Erdberg ebenfalls sehr plastisch beschrieben und die Langatmigkeit, die mir bei Rudolf Brunngraber aufgefallen ist, ist in den Bienek Büchern nicht vorhanden. Hier fällt nur der Dialekt auf, in dem die Menschen damals gesprochen haben und der für die Wienerin, deren Eltern in dieser Zeit Kindern waren, gar nicht mehr leicht zu verstehen ist.
Es beginnt mit einer Geburt, dem Greißler Johann Übel, der gerade sein Geschäft aufsperrt und die magere Kriegsware herrichtet, die Waage mit dem der kleine Schanerl später vermessen wird, geht einen Deka vor, wird ein Sohn geboren, der nach Wunsch des stolzen Vaters eigentlich Odysseus, Archilles, Herakles heißen soll, um ein Held zu werden, nur weigert sich der Pfarrer den Buben auf solch heidnische Namen zu taufen und die Mutter Resi ist auch dagegen.
Die kommt eigentlich aus besseren Kreisen, ist sie doch die Tochter des Sargtischlers Leutgeb und der wohnt im sogenannten „Schlößl“, während die Rabengasse und auch das sonstige Erdberg damals ein Elendsquartier mit vielen Obdachlosen gewesen sein muß.
Der alte Leutgeb hat noch eine andere Tochter, die Franzi und die ist in den Karl Schediwy verliebt, das ist ein Arbeitersohn, dessen Vater einmal wegen Mayestätsbeleidigung gesessen ist, deshalb ist Franzis Vater dagegen und Karl ist ohnehin vom Felde desertiert und verstckrkt sich im Keller eines Darmwäschers.
Der Krieg geht weiter, schließlich werden noch die Untauglichen, wie Johann Übel eingezogen, der hat aber Glück und erwischt einen Heimatdichter als Vorgesetzten, so daß er statt den Wienerwald zu bewachen, mit ihm Kartenspielen darf.
Der alte Schediwy, der als politisch unzuverläßig gilt, hat dieses nicht. Der steht mit dem Gewehr am Donaukanal und muß jeden, der dort durchschwimmt erschießen. Zum Glück tut er das nicht, denn die Polizei sucht inzwischen nach Karl, der rettet sich in den Kanal und ist der Schwimmer.
Johann Übeleis hat auch einen Neffen, den er zu sich nimmt, als dessen Vater aus dem Krieg nicht mehr heimkommt und seine Mutter darüber wahnsinnig wird, der besucht das Gymnasium und freundet sich mit Ernst an, der der Sohn einen hohen Polizeibeamten ist, der auch in der Gegend wohnt bzw. residiert. Dort spielen die Buben zuerst Indianer, was heute bei Zwölfjährigen gar nicht mehr vorstellbar ist. Peter steht zwischen Ernsts Schwester Gretl und deren Freundin Klara, die von Ernst geliebt wird und Ernst ist schwermütig, weil ihn der Vater zu einem Jusstudium zwingt, obwohl er lieber Techniker werden würde und als er noch in den Polizeidienst soll, geht er in die Berge und kommt nicht mehr zurück.
Aber das ist schon im Jahr 1926, dazwischen wurde der Krieg verloren, die Monarchie beendet und der Sozialismus bzw. das rote Wien kam, wo auch in Erdberg unter den Mitteln der Wohnbausteuer, ich bin selbst in einem solchen Gemeindebau in Hernals aufgewachsen, der Hanuschhof und auch anderes erbaut wurden.
Die neue Zeit zieht wenigstens vorübergehend ein und alle in den Gemeindebau, nur der alte Sargtischler versteht die Welt nicht mehr, hat er doch sein ganzes Vermögen in Kriegsanleihen gezeichnet und alles verloren. Jetzt ist es aber schön, hell und luftig in den Gemeindebauten, allerdings ziehen die Gewitter schon heran, es kommt zu den Ereignissen von Schattendorf, von denen ich übrigens, Detail am Rande, im Sommer 1977 erfahren habe, als ich Doderers „Dämonen“ las, ob der auch in dem Zwischenkriegskanon als Hochkammliterat enthalten ist?
Auch das weiß Gustav K. Bienek sehr eindringlich zu beschreiben, gibt es in der Rabengasse außer der Hausmeisterin und dem Briefträger ja auch einen alten Revierinspektor, der vom Krieg ein bißerl sozialistische Gesinnung mitgenommen hat und der verschwindet, als es nach dem Mord des Invaliden und des achtjährigen Bubens bzw. des Freispruchs der Mörder, zu Demonstrationen kommt und das Briefträgertöchterl Deli hört das, zieht ihre „Rote Falken-Uniform“ an und geht in die Stadt ihn zu suchen. Der kleine Schanerl folgt ihr und Karl, dessen Sohn gerade geboren wird, wird von Franzi auch in die Stadt geschickt, um den Arbeitern, in die von der Polizei ja geschossen wird, zu helfen, sieht Schani mit erhobener Fahne in einem Sanitätsauto fahren, während Peterl, Grete und Klara, die sich gerade auf Sommerfrische in Rekawinkel befanden, zu Fuß in die Stadt gehen und sich bei der Rahlgasse verstecken. Klara wird noch die Eistüte in der Hand, erschoßen, es kommt zum Bruch zwischen Grete und ihrem Vater, der kleine Schani kommt zurück und wird als Held gefeiert, während der Briefträger Müller, sein Kind nur mehr im Leichenkeller des alten AKHs finden kann.
Mit dem Wunsch nach einer besseren Welt, die der „Klane da, in seiner Hutschn da Franzi ihr Herzblatterl … der siacht vielleicht schon a neuche Welt“, endet das Buch.
„Eine bessere Welt!“, sagte Franzi und alle nickten. „eine Welt, die die Menschen erträumen und die sie sich endlich doch erkämpfen werden!“
Was daraus geworden ist, wissen wir inzwischen und wußten es alle, die das Buch gelesen haben, ist es ja erst 1949 erschienen und da werden um, das Schicksal, der wie Bienek in seinem Vorwort schreibt „frei erfundenen handelnden Akteure“ weiterzutreiben, der Schani vielleicht in Stalingrad gefallen sein, während Karl und Peterl 1934 vielleicht erschossen oder gehängt wurden oder die KZs ein paar Jahre später nicht überlebten und jetzt in der neuen Wirtschaftskrise, wo man täglich hören kann, daß sich in Griechenland und in Spanien Menschen umbringen, um nicht delogiert zu werden, liest sich das Buch wieder anders, so daß ich es sehr schade finde, daß man es nur mehr antiquarisch oder in den Bücherkästen finden kann.

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