Literaturgefluester

2013-01-17

Der männliche Blick

Filed under: Uncategorized — jancak @ 00:00

„Der Zurückgekehrte“, „Lachdiebe“, der „Angehörige“, drei bei Laurin, Limbus und Otto Müller erschienene Romane von drei mir bisher unbekannten Autoren in den „Textvorstellungen“ von Angelika Reitzer, die ich ja bevorzugt besuche, weil sie mir oft bisher Unbekanntes erschließen, so auch diesmal und ein Thema und eine theoretische Einleitung gibt es immer auch.
„Hier und Jetzt/Bildbearbeitungen“ hieß es und Angelika Reitzer erzählte etwas von Fotografen, die mit ihren Freundinnen skypen ohne sich von ihnen sehen zu lassen. Dann begann, der in Salzburg geborene Peter Simon Altmann mit dem „Zurückgekehrten“.
Von Spaltungen und von Hofmannsthal hat Angelika Reitzer in ihrer Einleitung auch gesprochen und da geht es um einen Übersetzer, der in Kyoto lebt, seine Frau und seine Kinder verläßt und dabei offensichtlich auch sein „Ich“ verliert, so geht er durch die Straßen Kyotos, steigt zu Grabhügeln hinauf und fühlt sich nicht wohl, dann kehrt er zurück nach Salzburg und skypt mit seiner koreanischen Freundin E., die nach der Landessitte eigentlich Jungfrau bis zur Ehe bleiben soll, sich aber nach Art der jungen Frauen heute nicht darum schert, trotzdem weigert sie sich von ihm nackt fotografieren zu lassen und zieht beim Skypen auch ihr Spaghetti-T-Shirt nicht aus. Der Protagonist träumt von Entjungferungen und wird am Ende durch die Kunst gerettet und angelehnt ist das Buch nach einem von Hofmannsthal, der auch einmal dieses Thema behandelt hat.
„Lachdiebe“, vom dem in Graz lebenden 1964 geborenen Bludenzer Rainer Juriatti könnte die Fortsetzung davon sein, hat Peter Simon Altmann gemeint, hat sein Ich-Erzähler doch offensichtlich auch Frau und Kinder verlassen und lebt in Graz als Fotograf, als Fotoredakteur, der funktioniert in dem er in der Redaktion die grauslichsten Bildsequenzen bearbeitet, Frauen mit Nasentumoren, die um Sterbehilfe bitten, Siamesische Zwillinge nach mißglückten Operationen, aktuelles Kriegsgeschehen, etc, der Held flüchtet in die Literatur und lebt von Zitaten, er lebt auch in sozialen Netzen, bezeichnet Frauen offenbar nur als Körper und betrachtet in der Badewanne Bilddokumentationen.
Rainer Juriatti, der in der Einleitung sehr sympathisch von seinem großen Glück einmal, nach dreißig Jahren Schreiben in Wien lesen zu dürfen, erzählte, bot einen Querschnitt aus dem Buch, des Mannes in der Midlifekrise und der dritte männliche Blick war der des 1937 geborenen, in Baden lebenden Geologen Peter Steiner, der schon einige Bücher geschrieben hat und interessant ist wieder der thematische Zusammenhang, er skypt auch mit Frauen ohne sich zu zeigen und beschreibt, älter, als die beiden anderen, die Krise des Mannes durch den möglichen Verlust der Frau, mit der er fünfzig Jahre ziemlich getrennt zusammen lebte. Simon und Lena. Lena, die ebenfalls Fotografin ist, erkrankt an einem Tumor und während sie im Universitätsspital untersucht und behandelt wird, durchlebt Simon offenbar das gemeinsame Leben mit ihr.
Sehr faszinierend, die drei so seltsam ähnlichen, mir bisher unbekannten Bücher, die sich alle auch, obwohl die Autoren sich davon wahrscheinlich distanzieren, psychologisch deuten lassen und möglicherweise auch autobiografisch begründet sind. Frauen würden das wohl anders erzählen, mehr von ihren Gefühlen und ihren Krisen sprechen, jammern, klagen, das Elend bleibt wohl gleich, die Bewältigung ist vielleicht anders.
Interessant auch, daß Peter Simon Altmann Peter Steiner, nach dem Titel seines Buches fragte, der mir sehr logisch und auch passend schien. War es aber nicht, das Buch hätte „Raumforderung“ heißen sollen, Suhrkamp hat ihm dem Autor weggeschnappt, was Peter Steiner sehr bedauerte und auch genau erklärte, warum das Buch so heißen hätte sollen, mir viel weniger passend erscheint, obwohl es natürlich stimmt, daß die Räume und die Trennungen, in der Beziehung der Beiden eine Rolle spielen und nochmals interessant, daß sich eine Frau die männliche Blicke für ihre Textvorstellungen aussuchte.

2 Kommentare »

  1. … vielen lieben Dank und natürlich verwehre ich mich nicht hinsichtlich einer psychologischen Deutung – wunderbar wäre so etwas. Ich danke Ihnen für den tollen Blick auf die Lesung und die schriftliche Verankerung meiner Freude, in Wien gelesen zu haben!

    Kommentar von Rainer Juriatti — 2013-01-17 @ 14:38 | Antworten

    • Ja, da sind wir in Wien vielleicht verwöhnt, da da die Textvorstellungen zumindest für jedes zweite oder dritte Buch, fast selbstverständlich sind

      Kommentar von jancak — 2013-01-17 @ 15:04 | Antworten


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