Literaturgefluester

2013-04-03

Der größte Fall meines Vater

Filed under: Uncategorized — jancak @ 00:13

Wie schreibt man einen Kriminalroman, wenn man nicht wirklich Morde oder andere Grausigkeiten erfinden will? Daß ist eine Frage, mit der ich mich ja öfters beschäftige. Zdenka Becker tut es, beziehungsweise hat sie sich in ihrem neuen Roman mit einem realen Mordfall, der 1964 in der Slowakei geschehen ist, beschäftigt, dabei die Geschichte des Lebens im Kommunismus mit allen seinen Auswüchsen und noch dazu eine Familiengeschichte erzählt, die das Aufwachsen eines pubertierenden Mädchens in der Beatles-Zeit genauso, wie die sechzigjährige Tochter schildert, die ihren neunzigjährigen Vater, jede Woche in den Rollstuhl setzt und ihn in seiner Gardeuniform im Park spazieren führt und mir haben diese sehr genauen Schilderungen fast ein bißchen besser, wie „Taubenflug“, gefallen, den ich ja ein bißchen übertrieben fand.
Im Jahr 1964 zu Nikolaus wurde in der Slowakei auf der Toilette eines Zuges ein männlicher Kopf in einer Jutetasche gefunden, das ist so passiert und Zdenka Becker, die Tochter eines Polizisten, wie sie auf der Lesung im „Thalia“, sagte, erfindet eine Familiengeschichte und verknüpft das Ganze auch noch in einigen Ebenen. So gibt es auch noch die Schriftstellerin, die einen Roman darüber schreibt, beziehungsweise den Vater, der der Tochter Lara, die so, wie die Heldin aus dem Doktor Schiwago heißt, den Auftrag dazu gibt, denn ein paar Monate vor seinem neunzigsten Geburtstag, der Polizeipräsident a. D. will hunderteins werden und seinen Vater damit um zwei Jahre überholen, begegnen sie im Eissalon, wo ihre Spaziergänge im Sommer enden, einer Frau mit kornblumenblauen Augen und da sind wir schon in der Zeit, als Teo Mudroch Oberleutnant war und im Winter wollende Unterhosen trug, die er nur einmal in der Woche wechselte. Das Baden war 1964 im sozialistischen Plattenbau offenbar ein Problem und die Familie, der Vater Polizist, die Mutter aufstiegsorientierte Journalistin, die Chefredakteurin werden wollte und ihre Kinder Lara und Fedor teilten sich ein Wannenladung und im Kästchen des Wohnzimmers lagen Polizeizeitschriften, die sich die Dreizehnjährige begierig ansieht. Dann wird der Kopf gefunden, Teo Mudroch mit dem Fall betraut und verbringt die nächsten Wochen mit der Aufklärung, bzw. mit der schönen Mörderin, die kornblumenblaue Augen und sieben Kinder von zwei Männern hat, im Krieg Zwangsarbeiterin war, dann in einer Kolchose schuftete und mit ihrem versoffenen Lebensgefährten sehr unglücklich war. Verlassen will sie ihn aber nicht, das wäre eine Schande, so hackt sie ihm den Kopf ab, verbrennt den Körper im Holzofen. Den Kopf setzt sie aber im Zug aus, damit sie nicht ihre Ehre verliert und vorher marschiert sie, einen kleinen Hang zur Übertreibung scheint Zdenka Becker doch zu haben, damit auf die Polizeistation um die Abgängigkeitsanzeige zu machen.
Der Fall ist eigentlich ganz einfach, es gibt, wie in den Krimis üblich, keine Verwicklungen und Komplikationen, nur Teo Modrich wechselt seine Unterhosen etwas öfter, während er recherieren geht. Die Mama ist auf Schulung in Moskau, die Nachbarin erscheint mit dem selbstgemachten Schnaps und wartet vergeblich auf den schönen Teo und die Tochter ist stolz darauf, daß der Papa sie in alle Geheimnisse einweiht, er tut es aber nicht, denn er steht ja unter Schweigepflicht.Jetzt will er seinen größten Fall aber aufgeklärt sehen und so soll Lara, darüber schreiben. Sie wehrt sich zuerst, geht dann aber in ihre Kindheit zurück und man erfährt vieles über die damalige Tschechoslowakei, die den neuen Menschen schaffen wollte und als Teo noch nicht seinen Fall zu klären hatte, war er mit den Schmugglern beschäftigt, die den Prager Schinken abzweigten und als er einige Beatles Platten, im Westen sehr begehrt, im Osten verboten, konfiszierte und nach Hause brachte, war die Tochter selig, gab es ja im Kommunismus offenbar das Sprichwort „Wer nicht stiehlt, bestiehlt seine Familie“, so hatte die Familie gelegentlich Schinken zu essen und die Mutter brachte von ihren Russlandreisen den besten Vodka mit, fachte dort wohl auch ein Pantscherl an, versuchte ihren Gatten wirklich oder nur in Laras Fantasie beim Lampenwechseln umzubringen. Der alte Präsident in seiner Gardeuniform besucht die Mama aber sooft, wie möglich am Friedhof und Lara bekommt er auch herum, den Roman über ihn zu schreiben. Als es dann soweit ist, will er ihn erst nach seinem Tod veröffentlicht haben und als ihn seine Pflegerin Frau Gabi verlassen will, bedroht er Lara mit einer Spielzeugpistole.
Am Ende klärt sich aber alles auf, Frau Gabi zieht zu ihm und gemeinsam mit seinem ehemaligen Assistentin Laco Jahoda ziehen die drei in den Park, um einen neuen Mordfall aufzuklären, hat man doch im fernen Wien, das jetzt nicht mehr durch den eisernen Vorhang getrennt ist, zerstückelte Leichen im Keller eines Eissalons gefunden, man sieht Zdenka Becker hat Humor und spielt virtuos in allen Lagen. Ein spannendes Buch, das sehr genau recherchiert, viel erzählt und dabei auch noch ein wunderschönes Cover hat, mit einem zwar viel jüngeren Mädchen im weißen Kleid und einer Soldatenmütze, das grinsend vor einer schäbigen Mauer steht, das, wie Zedenka Becker auf der Lesung ebenfalls verriet, ihr sehr gut gefallen hat.

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