Die 1942 im Burgenland geborene Dine Petrik, hat eine starke Beziehung zur 1951 aus dem Leben geschiedenen Hertha Kräftner, hat sie doch nicht nur 1997 einen bei Otto Müller erschienenen Roman „Die Hügel nach der Flut“, sondern 2011 bei Art and Science noch ein zweites Buch über die junge Dichterin herausgebracht, in dem es, wie die Literaturwissenschaftlerin Daniela Strigl in ihrem Vorwort schreibt „um eine Spurensuche und ein Sittenbild geht.
„Nicht in Form eines Romans diesmal, sondern in Gestalt einer handfesten biobraphischen Recerche, die mit literarischen Mittel ausgereitet und zusammengefaßt wird.“
Dine Petrik tut das sehr subjektiv, mit großen Engagement und hat seit den Neunzigerjahren offenbar auch sehr viel an Material gesammelt, die Tagebücher und die etwa hundert Gedichte durchforstet, mit der Familie, den Zeitzeugen, etc, gesprochen, um “ dieverfehlte Wirklichkeit“, der 1928 in Wien geborenen und in Mattersburg aufgewachsenen Hertha Kräftner, in dreizehn nicht chronologisch angeordneten Kapiteln, zu schildern.
„Einen Weg aus der traumatisierenden Kriegs- und Nachkriegswelt“, wie es Dine Petrik im ersten Kapitel, das die Jahre 1947/48, beschreibt, nennt.
Da ist Hertha Kräftner nach Wien gegangen, um Anglistik und Germanistik zu studieren, wohnt bei der Großmutter und der Tante im zehnten Bezirk, der Russenzone, des besetzten Wiens, beginnt zu schreiben, versteckt ihre Gefühle hinter einer Maske, die „ich schaffe es“, lächelt, obwohl sie sich sehr krank fühlt und meint, daß man das auch wird, wenn man sich mit Psychotpathologien beschäftigt. Sie hat dann auch den einen großen Literaturförderer Hermann Hakel kennengelernt, der wahrscheinlich auch ein Traumatisierter war, der ein Gedicht von ihr im „Lynkeus“, druckte, später selbst Gedichte über sie schrieb, sie als Nymphomanin bezeichnete und auch Gerüchte von einer Abtreibung austreute, die er von ihrem Hausarzt hatte.
Hertha Kräftner hatte mehrere Freunde und wechselnde Bezeihungen, den Verlobten Otto Hirss, den Fotografen Harry Redl, Wolfgang Kudrnofsky, ging zu Viktor Frankls Vorlesungen und wurde von ihm an seinen Freund Hans Weigel vermittelt, der die junge Dichterin ebenfalls entsprechend förderte, zwar von „einer Selbstmörderin auf Urlaub“ schrieb, ihre Gedichte aber bei mehreren Festwochenveranstaltungen, Rundfunksendungen, in Literaturreihen und in den „Neuen Wegen“ herausbrachte.
„Für ihr Pariser Tagebuch“ hat die den Preis der „Neuen Wege“ gewonnen, Andreas Okopenko hat sich, glaube ich, auch sehr mit ihren Werken beschäftigt.
Jahr für Jahr bis zu 1951, tastet sich Dine Petrik voran, zitiert aus den Tagebüchern und Briefwechseln, gibt auch Deutungen zu Hertha Kräftners Depression, der „bipolaren Störung“, die von Viktor Frankl als „konstitionell“, bezeichnet wurde und überlegt, ob es eine Neurose war?
Dann geht sie nach Mattersburg und ins Jahr 1945 zurück, beschreibt die Verrgewaltigung der Frauen durch die Russen und erzählt vom Tod Viktor Kräftners, Herthas Vater, der im Mai von einem Russischen Offizier verletzt wurde und im September an den Folgen verstarb. Die Hebamme Emilie Adam, kam dabei auch ums Leben, die Hertha Kräftner möglicherweise nach einer Vergewaltigung beistehen wollte.
Dine Petrik gibt das als Ursache für die Traumatisierungen an, erzählt dann von den Schulfreundinnen und dem kleinen Bruder Günther, beschreibt, daß sowohl der Vater als auch Hertha, die viel in Wien und im Burgtheater gewesen ist, nie in Mattersburg integriert waren.
Sie ist dann auch mit dem Maturazeugnis nach Wien gegangen und eine Dissertation über die „Stilprinzipen des Surrealismus“ zu schreiben angefangen, die sie nicht abgeschlossen hat. „Notizen zu einem Roman in Ich-Form“, begonnen, sich mit Engeln beschäftigt und in ihren Gedichten und dem Essay „Wenn ich mich getötet haben werde“, immer mehr ihrer „Todessehnsucht“, Ausdruck gegeben.
Im elften Kapitel geht es zu Wolfgang Kudrnofsky, den Hertha Kräftner offenbar im psychologischen Institut kennengelernt haben dürfte, und der 1979 und 1991 seine Erinnerungen „Mein Leben mit Hertha Kräftner“ in verschiedenen Literaturzeitungen veröffentlichte. Dann geht es wieder in den November 1951 zurück, wo Hertha Kräftner, eine Karte mit den Worten „Ich werde es nicht mehr tun!“ an Hans Weigel schickte und sich dann mit Veronal ins Bett legte, woran sie am 13. November starb.
Im dreizehnten Kapitel gibt es Auszüge aus den Abschiedsbriefen an Otto Hirss, die Tante, Harry Redl, etc, die Gedenkrede im November hat Hans Weigel 1954 gehalten, wo er das Gedicht erwähnt, von dem ich, als ich es in den Siebzigerjahren in Bozen in der Zeitschrift „Brigitte las“, sehr beeindruckt war.
„Sie selbst hat in einem ihrer schönsten Gedichte das Gleichnis von der großen Reise gefunden – sterben – im Schlafwagen fahren – die Karte ist der teuer gewesen – sie hat das Leben gekostet – doch um diesen Preis gewinnt man die Ewigkeit.“
Ein sehr umfangreiches Wissen, das Dine Petrik in dem Buch, das mir Alfred vorigen Jänner kaufte, als wir bei der Präsentation in der Buchhandlung Tiempo waren, zusammengetragen hat. Im Anhang gibt es auch noch einen „Standard-Artikel“ und sie liest auch öfter ihre Gedichte vor.
Ich habe den Namen Hertha Kräftner, wie erwähnt, 1978, wahrscheinlich, als ich, nach dem Tod meiner Schwester, mit meinen Eltern in Südtirol war, in einem Artikel der Zeitschrift „Brigitte“ gelesen und mir später auch ihr „Werk“ in der Editon Roetzer gekauft und mich jetzt auch in die „Verfehlte Wirklichkeit“, eingelesen.
Es war wahrscheinlich nicht leicht, als sensibler Mensch in den Fünfzigerjahren mit all den Traumatisierungen und Kriegserfahrungen zu leben, aber das ist es, wie man an den Themen, der heute unter „Dreißigjährigen“, die von ihren Eßstörungen, Vergewaltigungen und Borderlineerfahrungen schreiben, ebenfalls nicht und in Wikipedia habe ich gelesen, daß Hertha Kräftner sich in ihrer frühen Lyrik an Hoffmannsthal, Weinheber, Trakl, Wildgans und Rilke orientierte und „kein Wort über zerbombte Häuser, Lebensmittelkarten und Schwarzmarktgeschäfte“ schrieb, aber auch das ist, denke ich, zu verstehen.
2013-04-21
Die verfehlte Wirklichkeit
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