Literaturgefluester

2013-06-01

Verblendung

Filed under: Uncategorized — jancak @ 00:34

Jetzt kommt ein fast siebenhundert Seiten Schinken oder der Roman zum Film, wie am Cover steht, auf jeden Fall Teil eins der sogenannten „Milleniums-Trilogie“, des 2004 in Stockholm verstorbenen Journalisten Stieg Larsson, der den Stoff von zehn Kriminalromanen hinterließ, von denen die ersten drei „Verblendung“, „Verdammnis“, „Vergebung“ im schwedischen Original heißen sie anders, beispielsweise, „Männer, die Frauen haßen“ oder auf Englisch „the Girl with the Dragon Tatoo“, was ich stimmiger finde, posthum erschienen ist.
Gefunden hab ich das Buch im Bücherschrank und gelesen über Stieg Larsson und seine Lisbeth Salander Krimis, während unserer Sechs Länderreise voriges Jahr, in Nida, als der Alfred dort einen „Spiegel“ kaufte. Da stand darin, daß die Larsson Lebensgefährtin, die leider mit dem Autor nicht verheiratet war, von der Erbfolge ausgeschlossen wurde, so daß Vater und Bruder mit den Tantiemen, den Rechten auf die Verfilmung etc, denn die Bücher sind ein großer Erfolg geworden, reich geworden sind, während Eva Gabrielsson leer ausgegangen ist, aber ein Buch über ihre Beziehung zu Stieg Larsson geschrieben hat.
Als ich dann zurück kam, gab es eine kurze Aufregung über einen anderen Schwedenkrimi, der gar nicht von einem Schweden stammte und in meiner Bibliothek, ich habe ja jetzt so ziemlich alles Ungelesene auf meine Bücherliste gesetzt, haben sich auch einige Schwedenkrimis angesammelt, obwohl ich bisher nur die von Henning Mankell wirklich gelesen habe. Schwedenkrimis haben einen guten Ruf und einen eigenen Reiz und das Monsterbuch von Stieg Larsson beginnt sehr langsam und umständlich, so daß es mich fast ein bißchen wundert, daß die Leser die Geduld aufbringen zig Seiten über eine Familiendynastie zu lesen, bis es wirklich spannend wird.
Aber das Leben und die Literatur ist rätselhaft und ich habe beides wahrscheinlich noch nicht richtig verstanden und die Figur der Lisbeth Salander, die eigentlich bis zum Schluß geheimnisvoll bleibt, ist auch wirklich sehr interessant. Eine Heckerin, eine Autistin, ein Mädchen mit Tatoos, das alle Computer knackt, aber unter Sachwalterschaft steht und von ihren Sachwaltern vergewaltigt wird, bis sie sie ans Bett fesselt und ihnen „Ich bin ein sadistisches Schwein, ein Widerling und ein Vergaltiger“ auf den Bauch tätowiert.
Das ist stark und ungewöhnlich und soetwas habe ich in dieser Form noch nicht gelesen. Aber Moment mal, werden meine Kritiker jetzt sagen, schön langsam und von Anfang an!
Da gibt es also eine Einleitung, zwei alte Männer bekommen jedes Jahr eine gepresste Blume geschenkt, das heißt nur einer zum Geburtstag, der pensionierte Kriminalkommissar ist als Zuschauer dabei.
Dann beginnt es auch noch nicht richtig oder doch, wir kommen zu Kalle Blomkvist, nicht zu den von Astrid Lindgreen, sondern zu einem Wirtschaftsjournalisten, der eigentlich Mikael heißt und im ersten Kapitel des ersten Teils, zu drei Monaten und eingigen tausend Kronen Strafe verurteilt wird, weil er einen Wirtschaftsmagnaten verleumdet an.
Bis dahin ist es noch ziemlich langweilig und schwer zu verstehen. Nach der Verurteilung zieht er sich von seiner Zeitung zurück und wird von dem alten Mann im Prolog, dem Industriellen Henrik Vanger, der mit seinem Familienclan auf einer Halbinsel im Norden lebt, angeheuert, das Verschwinden seiner Lieblingsgroßnichte Harriet, vor siebenunddreißig Jahren aufzuklären. Dafür verspricht er ihm Beweismittel gegen Hans-Erik Wennerström zu liefern. So zieht er in das Gästehaus legt ein Archiv der Familienmitglieder an, kauft sich lange Unterhosen, denn in Schweden ist es sehr kalt, beginnt auch ein Verhältnis zu der älteren Ceciia Vanger und findet allmählich heraus, daß an der Sache etwas daran ist. Die sechszehnjährige Harriet wurde von ihrem Vater und ihrem Bruder länger vergewaltigt und hat auch noch herausgefunden, daß ihr Vater, nicht nur ein Nazi und ein Säufer, sondern auch ein berüchtigter Frauenmörder war. Es gab ein Verzeichnis mit den Namen, der ermordeten Frauen und dazu passenden Bibelversen und nachdem sie ihren Vater umbrachte, offiziell ist er ertrunken, flüchtete die Sechszehnjährige nach Australien und wurde dort erfolgreiche Schafzüchterin. Dem Lieblingsonkel, der inzwischen auch in Mikaels Zeitung eingestiegen ist, schickt sie aber dennoch jedes Jahr eine Blume zum Geburtstag. Als Mikael ungefähr so weit ist, das herauszufinden, erleidet Henrik einen Schlaganfall und Lisbeth Salander, die beste Kraft der Milton Security, die für Vanger bzw. dessen Rechtsanwalt sein Profil zusammenstellen mußte, hat er inzwischen auch gefunden, denn die Angelegenheit ist inzwischen so kompliziert geworden, daß er eine Assistentin braucht.
Das autistische oder was immer Mädchen, da gibt es offenbar ein Geheimnis, das erst Band zwei oder drei zu klären weiß, der Name „Asperger-Syndrom“ wird aber einmal genannt, das Schwierigkeiten im Beziehungsherstellen hat, hat aber bald Vertrauen zu Mikael und als dessen Nachforschungen, für den Täter zu gefährlich werden, kann sie ihm auch das Leben retten. Dann wird ein bißchen unlogisch, denn jetzt, der Täter ist gefaßt, bzw. von einem Lastauto überrollt worden, sollte man die Polizei holen, Mikael will das tun, Lisbeth hält ihn zurück, schmeißt den Täter-Computer weg und verwischt die Spuren, denn sie will keine Polizei. Eigentlich hätte ja die Familie Interesse am Vertuschen der alten Geschichte. Sei es wie es sei, Harriet kommt nach Schweden zurück und Mikaels Auftrag ist erledigt und es stellt sich noch heraus, daß die Vangers gar nicht so viel Beweismaterial gegen Wennerström hatten, Mikael also gelegt haben.
Wieder tritt Lisbeth an den Plan, beginnt Wennerström zu hecken und das Geld auf seinen Konten zu verlagern, dazu reist sie mit blonder Perücke und falschen Busen sogar in die Schweiz und zweigt sich auch ein bißchen was für sich ab. Sie hegt auch zwischendurch immer wieder Mordgedanken, zum Beispiel gegen ihren Peiniger, Rechtsanwalt Bjurman.
Am Schluß, als sich alles aufgeklärt hat, will sie Mikael, mit dem sie schon das Bett teilt, ein Weihnachtsgeschenk kaufen, schmeißt es aber weg und nennt sich „Ein peinliches Rindvieh“, als sie ihn in fröhlicher Gesellschaft mit seiner Freundin und Partnerin in einer Kaffeebar sieht.
Ich weiß nicht genau, ob es ein gutes Buch war, das ich da gelesen habe. Ein sehr dickes und höchst erfolgreiches auf jeden Falls, da kann man nur staunen und neidig werden. Die Figur der Lisbeth Salander habe ich, wie erwähnt, sehr erfrischend gefunden. Das viele Hecken und Verschieben fremder Konten ist wieder etwas, was mir weniger gefällt, passt aber irgendwie in unsere Zeit, wo die Bankgeheimnisse ja aufgehoben werden. Das hier Geschilderte also wahrscheinlich gar nicht mehr möglich wäre und der Rechtsstreit der Familie Larsson, um das Erbe und die Gerüchte, daß die Romane eigentlich von Eva Gabrielsson geschrieben wurden, sind auch sehr interessant.
Schwedenkrimis, das heißt auf jeden Fall dieser, sind sehr brutal sehr direkt und die Frage, wieso wir sowas so gerne lesen wollen, stellt sich natürlich immer noch und Detail am Rande vor ein paar Wochen war ich bei einer Fortbildung über Autismus, Kognition und Geschlecht und habe da von einer deutschen Computerfirma gehört, die eine Reihe von Autisten wegen ihrer besonderen Fähigkeiten eingestellt hat.

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