Mit Julian Schutting reisen, das passt zum Sommer und den Sommerbüchern, obwohl der eben bei „Residenz“ erschienene Band „Blickrichtungen“ wahrscheinlich eher den Herbstneuerscheinungen zuzurechnen ist und der 1937, als Jutta in Amstetten geborene Sprachkünstler macht es seinen Lesern auch nicht leicht, sind es ja Sprachkunststücke und keine Reiseberichte, die geboten werden und so nehmen wir Teil an „den poetisch verdichtenden Augenblicke“, können Schuttings „Sinneswahrnehmungen“ miterleben, werden aber auch, wie im Klappentext steht „durch Sinnestäuschungen, dem jeweiligen Alltag enthoben.“
Der eher realistischen am Eins zu Eins des Erlebens Klebenden ist der Flaneur und Sprachkunstlehrer auch sehr vertraut.
„Baum in O“, 1973 erschienen, habe ich in den Siebzigerjahren, als ich anfing mich fürs Schreiben zu interessieren, gelesen und höchstwahrscheinlich nicht verstanden. Dann kam Hilde Schmölzers Buch „Frau sein und schreiben“, wo die Schutting ein Portrait hatte, da habe ich noch einen Satz im Ohr „Von einer Art Sprache oder Schreiben“ wie nur sie es kann. Das Buch über den „Tod der Mutter“ habe ich gelesen und auch noch einige andere und wie schon erwähnt, mir mit dem Lesen und dem Verstehen nicht ganz leicht getan. Dafür in vielen Schutting-Veranstaltungen in der „Alten Schmiede“, in der „Gesellschaft für Literatur“ und wo auch immer gewesen und den sehr sympathischen freundlichen Sprachkünstler kennengelernt, der immer wieder Einblicke in sein Schreiben und sein Schauen gibt.
Daß Julian Schutting viel spazieren geht, ist bekannt, daß er in der Schule für Dichtung seinen Schülern Einblicke, wie man es macht auch, man lernt das auch beim Zuhören auf Lesungen. Beim Fünfundsiebzigsten Geburtstagsfest in der Alten Schiede bin ich gewesen, da wurde glaube ich „Die Liebe eines Dichters“, Jung und Jung, vorgestellt, es gab aber auch eine Foto-Ausstellung, was schon wieder zu den „Blickrichtungen“ und den Momentaufnahmen übers Reisen passt.
Wer von Julian Schutting einen Reisebericht erwartet wird enttäuscht sein, wer mitgenommen werden will auf seine Reisen, kann von seinen feinen Sprachempfindungen und Erfahrungen bestimmt sehr profitieren und so hat sich auch die, der man nachsagt, daß ihre Sprache eine sehr schlechte, schlampige oder was auch immer ist, mit Julian Schuttings neuen Buch auf eine Reise gemacht, hat anfangs ein bißchen gestöhnt dabei und dann mitgerissen worden, in die eigenen Reiseeindrücke, Erlebnisse und Empfindungen.
So beginnt es mit einer „Wir Touristen“ genannten Einleitung, geht über zu einer „Begegnung mit einer Maltesin“ und dann nach Russland und hier weit zurück, aber auch in die Gegenwart, wurde die Zarenfamilie doch im Juli 1998 nach St. Petersburg überführt oder heimgeholt.
Julian Schutting begnügt sich nicht davon zu berichten, sondern springt nach vor und zurück. Erzählt von Anastasia und einer Fotografie und beginnt darüber zu resumieren, wie es wohl zu der Aufnahme gekommen sein mag? „Die Zarenfamilie könnte vom Kommoandanten des Exekutionskommandos gebeten worden sein, für ein Gruppenfoto zur Verfügung zu stellen.“
Dann gehts nach Norwegen, wo Julian Schutting das Nordkap besucht und viel von den Fischen zu erzählen weiß. „Fischkathedralen“ werden die Fischkadaver dort genannt und „Fischhochzeit nennen die Norweger das Hängen Geköpfter… “
Julian Schutting macht es uns nicht leicht und gibt doch sehr schöne Bilder von einer Reise, die man am besten mit den eigenen Eindrücken einer Nordlandreise, soferne man eine solche unternommen hat, verknüpft. Dann kann man sich die Lappen in „Lappenhauben und Lappengewänder“ und die Elche vorstellen und darüber schmunzeln, daß Julian Schutting, dem Sprachgewaltigen auf seiner Norwegenreise auch eingefallen ist, daß man „Der Mann hob die Hand“ auf zehn verschiedenen Arten aussprechen und betonen kann.
Dann gehts auf Italienreise, die Julian Schutting mit der Frage „Wie sieht das Ausland uns Deutsche?“ beginnt und von einem auf der Autobahn beobachteten Geigenspieler erzählt, höchstpoetisch, Triest hat etwas mit dem Kaiser Maximillian und den Karst zu tun und dann trifft Schutting irgendwo in bella Italia drei ältere Herrschaften, wobei der Grandseigneur auch zwei Damen einschließt, ich liebe diese Sprache und die Damen unterhalten sich und stoßen dabei schrille Töne, nach einer „Kiki“ aus. Dann wird von dem Kind erzählt, das in einen Brunnen gefallen ist, der Politiker erscheint und hält eine Rede, der Pfarrer ruft zum Mitbeten auf, wir alle haben das wohl auch im Fernsehen gesehen und in Florenz spürt Schutting auch, wie einmal Thomas Wollinger, der ja, glaube ich, „Die Archäologin“ dem Meister gewidmet hat, dem Stendhal-Syndrom auf und in Venedig der „Stadt der Spiegelungen“, wird, glaube ich, von der „kurz gekleideten Dame und ihren schönen Beinen“ erzählt.
„Una Donna con Mellone“ ist ein Naturbild in Positano und wir sind mit dem Meister in seinen „Kurzaufenthalten“ in ganz Italien herumgekommen.
Weiter gehts nach „Palma de Mallorca“, wo das „Reiterstandbild“ beschrieben wird und in die „Kathedrale von Sevilla“ bis zum „Schwarzhäupterhaus im „Venedig des baltischen Nordens“, wo ich ja auch vor einem Jahr herumgegangen bin und „die leichenbleichen Jugendstilvisagen an bläulichen Fassaden protziger Prachtbauten“ absuchte, die mir eigentlich sehr gut gefallen haben.
Im September 1998 hat es einige „Tage in Moskau“ gegeben, wo die Schuttingsche Sprachpoesie wieder aufblüht, ob der Menschenansammlungen, die sich da in den U-Bahnschachten und wo auch immer besichtigen ließen, der „wahre Privatkapitalismus“ kommt vor, wie die Erinnerungen an Väterchen Stalin, der seinen Gefangenen keine Schnürsenkel und Aluminiumlöffeln zum Suppe essen ließ. Die „Lumpenweiber“ werden beschrieben, wie die „Dame, die von einem winzigen Tasteninstrument begleitet Schuberts „Leise flehen meine Lieder“ singt, was ihr schon einige Dollarnoten einbrachte.“
Am elften September gehts zur Kreml-Besichtigung und wenn Schutting russische Gedichte hört, gehen ihm „poetische Bilder“ durch den Kopf, die wohl anders sind, als das Vorgetragene, den Dichter aber sehr bereichern konnten.
In die „nächstbeste Kirche“ geht es auch, das hat schon Josef Winkler bei seinem Symposium im Jänner so vorgelesen, wo man die Ikonen küssen soll und Weißbrot angeboten bekommt.
In die Hotelzimmer telefonieren die Türhüterinnen hinauf, daß sich eine Svetlana oder Annuschka Schuttings Nächte teilen wollen und zum Totenkult und zum Lenin-Mausoleum, das 1998 niemand sehen wollte, geht es auch, zum Grab des unbekannten Soldaten und dann zu den Garten, wo die Denkmäler der Entmachteten, also Lenin, Breschnew, etc zu besichtigen waren und dann 2002 „Rundgänge durch Alt-Kiew“, wo die Kloster besichtigt wurden und der jüdischen Bevölkerung gedacht, „die sich gutgläubig von den Nazis binnen drei Tagen registrieren ließen, um dann in einem Wald zu Hunderttausenden erschossen zu werden.“
Dann gehts „Nilaufwärts“, sowie auf Lesereise nach Japan, ach wie schön, wo Schutting sich über die vielen Patschen wundert, die man dort ständig wechseln muß, dann gibts auch noch die Troubles mit den Eßbestecken und ein altjapanisches Essen der Germanistikprofessoren und ein Südtiroler Unilektor erzählt, daß sich die Japaner bei einer Tagung in Innsbruck vor dem „Blunzengröstl“ grausten.
Haikus gibts in Japan natürlich auch. Hier eines zur Auswahl „Gartenteich Froschsprung quickhell, gleich wieder verschluckt. Stille hörbar macht“
Das „Frosch- und auch Entengequake in den Tempelgärten erinnert Schutting dann an die Kaiserin Sissi „Sii-ssi, Sii-ssi“und einen Käferwald gibt es natürlich auch.
Danach gehts zur „Ochsentour Wien-Vietnam innert einer Woche Tour-Retour und nach einem „Zwischenaufenthalt“ in Istanbul, wo Schutting auf Schafhirten und „Frauen in schwarzer Vermummung“ trifft, in den Iran, wo man in den Bordellen, die Ehe auf Zeit kennt und natürlich den Ramadan, das dreißigtägige Fasten von Sonnenauf-bis Sonnenuntergang, das Schutting an die vierzigtägige Fastenzeit im katholischen Okzident erinnert, wo Tag und Nach nichts essen durfte und sich um nicht zu verhungern, von Bier ernähren mußte, auch nicht sehr gesund.
Eine Nichtreisende, die aber auch an einigen der von Schutting beschriebenen Orten war, freut sich nach der Lektüre des „Ersten allgemeinen Nichtreisebuchs“ und den „Ersten Reisen“ von Zeitungsredakteuren, natürlich über diese höchstpoetischen Blickrichtungen, in es anfangs schwer hineinzukommen war, dann aber große Freude und sprachliche Genauigkeit brachte und ein schönes, noch an die alten „Residenz-Bücher“ von denen ich ja einige habe, erinnerndes Cover, gibt es auch, so daß ich es schade finde, daß die „Blickrichtungen“ nicht auf der Longlist des dBP stehen. Das Buch hätte es, glaube ich, verdient und einen Einblick in die sprachliche Urgewalt eines großen, wenn auch vielleicht leisen Dichters zu bekommen, könnte auch nicht schaden…
2013-08-15
Blickrichtungen
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