Es ist eine seltsam grausame Geschichte, die der 1952 geborene Ryu Murakami, da filmisch genau in einem seltsamen altmodischen Stil, von Leopold Federmair und Motoko Yalin übersetzt, da erzählt.
„Casting“ ist in die Finalrunde der Hot List gekommen und mir mit seinem genauso seltsam eindringlichen Titelbild, eine junge Japanerin im Matrosenkleid, schon auf verschiedenen Blog aufgefallen, so daß ich neugierig wurde und dank Frau Gmeiner vom „Septime-Verlag“ jetzt ein „Eins aus zehn-Leseexperiment“ starten kann.
Ob mir das Buch gefallen hat? Schwer zu sagen. Der Anfang ja, die sehr genaue Erzählung, die subtile Grausamkeit des japanischen und wahrscheinlich weltweiten Lebens. Die Unterdrückung der Frau, die unterschiedlichen Machtverhältnisse werden da auf sehr unterschwellige Art und Weise geschildert. Dazu kommt noch der für uns fremde, japanische Ton, die Höflichkeit und eine Art des Erzählens, die an vorige Jahrhunderte denken läßt, obwohl das Buch im Jetztzeit-Japan spielt.
Nicht umsonst werden auch Edgar Allan Poe und Dostojewski am Buchrücken erwähnt.
Der Schluß, der in dem ganzen Buch schon auf eine sehr direkte Art angedeutet wird, natürlich nicht, obwohl ich bei Stieg Larsson vor kurzem ja etwas ganz Ähnliches gelesen habe. Aber da fehlte wohl die japanische Fremdheit, der exotische Ton, die für uns ungewöhnliche Distanz, die fast altmodisch wirkt.
Da ist Herr Aojama, zweiundvierzig, Filmproduzent, seit einigen Jahren Witwer, da ihm seine Frau Ryoko „vor sieben Jahren nach einem virual bedingten Krebsleiden verlassen“ hat. Auch so eine seltsam altmodische Formulierung, würde ich ja „gestorben“ schreiben. Vater eines fünfzehnjährigen Jungen, der dagegen erstaunlich modern mit seiner Computersucht und seiner klaren Ausdrucksweise wirkt „Bitte, ich muß doch zur Schule, da hab ich schon genug am Hals. Ich kann dich nicht Tag und Nacht pflegen, wenn du jetzt wie Leonoard Lowe oder der Rain Man wirst.“
Das ist vielleicht die japanische Grausamkeit, die alle, die nicht funktionieren, zum Arzt schicken oder in best betreute Pflegeheime abschieben, wie das später Aojamas Freund mit seiner Mutter tun wird.
Zuerst aber rät Sohn Shigehiko seinem Vater wieder zu heiraten und Freund Yoshikama rät zu einem Casting, so daß sich Aojama, die künftige Frau in aller Ruhe aussuchen kann.
So wird dieses ausgerufen, viertausend junge Frauen melden sich, von denen dreitausendneunhundert Bewerbungen, die Frauen mußten einen Aufsatz schreiben, ein Bild und einen Lebenslauf schicken, gleich einmal weggeworfen werden.
Hundert werden dann zum Vorstellungsgesüpräch bestellt, erscheinen teilweise im Badeanzug, tanzen, singen, ziehen sich freiwillig aus, beziehungsweise müssen sie sehr intime Fragen zu ihrem Vorleben beantworten.
Diese Schilderung der Menschenverachtung, die nicht nur in Japan üblich ist, hat mich sehr beeindruckt. Herr Aojama hat sich dagegen schon sehr bald für die wunderschöne Asami Yamasaki, vierundzwanzig Jahre alt, arbeitslos, seit sie wegen einer Verletzung nicht mehr Ballett tanzen kann, entschieden.
Er ruft sie an, lädt sie zum Essen in teuren Restaurants ein, sehr höflich und umständlich passiert das. Aoyama ist von der Schönheit und auch von dem Satz in ihrer Bewerbung „Es klingt vielleicht seltsam aber in gewisser Weise, ist es so, wie wenn man sich plötzlich mit dem Tod konfrontiert sieht“ fasziniert. Während die anderen ihm vor ihr zu warnen anfangen. Der Sohn tut das und der Freund, denn es gibt keine Spuren zum Privatleben der jungen Frau und einer, den sie als ihren Förderer angibt, hat sich unter seltsamen Umständen umgebracht.
Es taucht auch eine Frau mit einem jungen Mann im Rollstuhl in dem Restaurant, wo Aojama mit der Schönen sitzt auf, der bei ihrem Anblick verfällt und Asami antwortet ihm auf der Frage nach ihren Eltern, daß sie als Kind vom Stiefvater mißhandelt wurde und das nur durch das Ballett kompensieren konnte.
Auch das wird vom Freund angezweifelt und Aoyama gewarnt, der sich nicht warnen läßt, sondern noch eine ganze Weile sich keusch und sittsam mit Asami in verschiedenen Restaurants trifft, wo sie ihm gerade mal nur andeutungsweise, die Hand auf den Arm legt.
Dann gesteht er ihr, daß nichts aus dem Casting wurde und, daß er sie heiraten will, worauf sie lacht, aufsteht und davonläuft.
Auf Aufforderung der Restaurantbesitzerin, einer ehemaligen Geisha, rennt er ihr nach, da küßt sie ihm und ruft am nächsten Tag im Büro an, um ihm ihre Liebe zu gestehen, was den Älteren ratlos macht. Soll er vor oder erst nach der Ehe mit ihr ins Bett? Wie wollen das die jungen Frauen heute? Er lädt daraufhin eine Kollegin zum Essen ein, um das herauszufinden, was für mich auch sehr ungewöhnlich ist und bestellt Asami dann in ein Hotel.
Dort schlägt er ihr einen Museumsbesuch vor, als sie sich schon auszuziehen beginnt und ihn auch entkleidet. Immer noch ist sie sehr unterwürfig höflich, aber etwas in ihrem Tonfall ändert sich. Es kommt zum Sex. Dann erwacht Herr Aojama allein und benommen im Zimmer, die „Gattin“ ist verschwunden und er bekommt heraus, sie hat ihn mit Schlaftmitteln betäubt und ihm auch einen Zettel hinterlassen „Lügen werden nicht vergeben. Eine Frau die ihren Namen verloren hat.“
Vorher hat sie ihm noch ihre Narben, die vom Stiefvater kamen und die verkrüppelten Zehen, die das Tanzen angerichtet haben, gezeigt. Herr Aojama denkt an ein Mißverständnis, das er klären will, kann sie aber telefonisch nicht mehr erreichen und eine Adresse hat er nicht. Der Freund rät, von ihr abzulassen. Herr Aoyama magert ab und bespricht das auch alles mit den Kollegen und als der Sohn eines Tages einen Schiausflug macht und die Haushälterin frei hat, erscheint plötzlich Asami in seiner Wohnung. Das heißt, sie war schon vorher da, hat ihm ein Betäubungsmittel in das Joghurt gemischt und verkündet, daß sie ihm die Füße abschneiden wird, damit sie von den Erinnerungen an den Stiefvater loskommt.
Sie tötet zuerst den Hund, es kommt zum Kampf, Shigehiko, der gerade rechtzeitig zurückkommt, kann sie mit einem Kampfmesser unschädlich machen, während sie mit einem KO-Spray herumspritzt und der glücklose Liebhaber bleibt geschwächt mit einem Fuß zurück.
Ich weiß wirklich nicht, ob mir das gefallen hat und ob ich so etwas lesen will? Es ist jedenfalls eine sehr männlich gefärbte Geschichte und der Lisbeth Salander verzeiht man ihre Racheakte wohl leichter. Denn Herr Aojama hat der Schönen ja nichts getan, sondern sie nur in verschiedene teure Restaurants eingeladen. Aber vielleicht zeigt das schon die Unterdrückung der Frau und er hat sich in seiner Verliebheit auch oft vorgestellt, wie sie ihm statt der Haushälterin in einer Schürze bekochen wird und liebevoll neben ihm sitzt und Händchen hält, während ihm das Essen schmeckt.
Ein sehr brutales Buch, dem ich trotzdem beim Independent-Preis alles Gute wünsche, denn die japanische Literatur ist vielleicht anders und mir bisher ziemlich unbekannt, obwohl ich einmal zehn Tage in Japan war und über die Grausamkeit der Gesellschaft und die Unterdrückung der Frauen kann man auch trefflich nachdenken, obwohl der westlich europäisch Stil, siehe auch Stieg Larsson viel direkter und daher auch aushaltbarer ist. Spannend war das Buch auf jeden Fall, denn ich habe es trotz wachsenden Widerwillen, in einem Zug durchgelesen.
2013-09-07
Das Casting
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