Literaturgefluester

2013-11-01

Russland mit und ohne Seele

Filed under: Uncategorized — jancak @ 00:37

Nun kommt wieder etwas Interessanes aus dem Bücherschrank, nämlich der 2009 bei EcoWin erschienene Band „Russland mit und ohne Seele“, der 1949 geborenen Auslandskorrespondentin Susanne Scholl, die inzwischen auch als Schriftstellerin hervorgetreten ist.
So publiziert sie, glaube ich, in der Literarturzeitschrift „Driesch“ und hat einige Romane, Erzählbände und Gedichte veröffentlicht, aber auch Bücher, die sich mit Russland beschäftigen, wo sie lange Korrespondentin war.
Ihr Lebenslauf liest sich auch sehr spannend, nämlich Tochter einer assimilierten jüdischen Medizinerfamilie. Ihre Eltern lernten sich im „Austrian Center“ in London kennen und kehrten 1947 nach Wien zurück, um am Aufbau der KPÖ mitzuwirken.
Susanne Scholl studierte Slavistik in Russland und Rom, arbeite für das Radio Österreich International und für die APA und wurde von Paul Lendvai 1986 in die ORF-Osteuropa-Redaktion geholt.
1991 ging sie nach Moskau, von 1997 bis 2000 leitete sie das Europajournal und ging dann noch einmal nach Moskau zurück.
Sie hat verschiedene Preise und Auszeichnungen bekommen und spielt auch in Eva Rossmanns 2008 erschienen Krimi „Russen kommen“ eine Rolle. Ich habe verschiedene Interviews von ihr und sie auch auf der Buch-Wien gehört und das Thema Russland interessiert mich allemal.
Das Cover ziert jene berühmten und gar nicht gleich aussehenden Russland-Puppen, die „Matrjoschkas“, dann gibt es ein Gedicht und in „Unruhige Zeiten“ beschreibt Sabine Scholl eine Fahrt vom Moskauer Flughafen in ihre Moskauer Wohnung.
Dann gibts noch ein Gedicht „Russische Seele 1“ und es kommen ein paar Interviews, das erste ist Galina Musaliewa, einer armenischen Journalistin, die aus Baku stammt, gewidmet. Dann erklärt Susanne Scholl die kaukasische Nationalität und berichtet im nächsten Kapitel von einem Frauentaxi, das zwar etwas teuer ist, das aber Frauen und Kinder in Moskau sicher ans Ziel bringt. Anna und Lena sind die Chauffeurinnen. Dann wird ein russischer Freiheitskämfer interviet und dazwischen berichtet Susanne Scholl immer wieder, was ich sehr interessant fand, von ihren Moskauer und anderen Erfahrungen, so wie sie sich zum Beispiel um Brot anstellt und als ausländische Jounalistin kein Problem hat, das teurere zu kaufen. Die Russen beschweren sich darüber, sie hat ein schlechtes Gewissen, geht aber trotzdem mit dem Brot weg, weil sie es jemanden mitbringen soll und 1968 war sie Studentin und hatte in Wien eine Russische Reisegruppe herumzuführen, die sich, da sich ja höchstwahrscheinlich Spitzeln unter ihnen befanden, nicht sehr authentisch zum Einmarsch in die CSSR äußern durften.
Im zweiten Teil wieder von einem Gedicht eingeleitet, wird die Dolmetscherin Swetlana interwiet, die „Sowok“ 1940 in eine sehr arme Familie, in einer Gemeinschaftswohnung, neben dem Weißrussischen Bahnhof hineingeboren, die Deutsch studierte, als Lehrerin arbeite, danach heiratete, weil das alle taten, ein Jahr in der DDR arbeitete, danach DDR-Kindern in Moskauf Russisch beibrachte, bevor sie für die Auslandskorrespondenten arbeitete, die sie natürlich zu bespitzeln hatte.
Die Schriftstellerin Ljudmila Ulizkaya, die ich einmal bei der Literatur im März hörte und von der ich noch ein Buch zu lesen habe, die Schriftstellerin, der „kleinen Leute“, wie Susanne Scholl meint und dann noch eine jüdische Menschenrechtsaktivistin. Einen Artikel über arm und krank, der beschreibt, daß die Rettung nicht zu armen alten Leuten kommt und die nicht mehr behandelt werden gibt es auch.
Im dritten Teil gibt es das Portrait der Verkäuferin Tanja, die einmal schöne Puppen erzeugte und der Familie Jerofejew, wo der Vater Stalins Dolmetscher war und der Sohn ein Buch über ihn schrieb.
Zwischen dem Gedicht „Literaturclub“ und „Metro“ kommen Portraits von Julia Chrustschowa, der Tochter Enkeltochter Nikita Chrustschows, die an die Freiheit glaubt, priveligiert aufgewachsen ist, als Journalistin und dann im Theater arbeitete und die Susanne Scholl oft in der Nacht anruft, um sie auf eine besondere Aufführung aufmerksam zu machen, von Alexander, dem Tonmeister und Chauffeur des ORF Büros, der eigentlich Medizin studierte und weil er lieber Ralleys fahren wollte, überall als sogenannter Sportarzt angestellt war und über Olga Soldatowa, der bekannten Designerin, die ihrem Sohn zuliebe aus dem Ausland wieder nach Moskau zurückkehrte. Dazwischen gibt es Einschübe über Stalins Geschichtsverfälschung, das russische „Disneyland“ namens Turkmenistan und den „Kitsch“, den Susanne Scholl sehr mag.
Dann wird noch Oleg, der Computerfachmann vorgestellt, der sehr jung aussieht und das ORF Büro vor sämtlichen Computerabstürzen rettete und man hat zwischen der Schollschen Lyrik und den Portraits interessanter russischer Menschen indirekt sehr viel über die russische Seele beziehungsweise das Leben in Moskau erfahren. Einen Ausblick, wie es weitergehen könnte, gibt es auch.

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