Literaturgefluester

2013-12-15

Die Abenteuer des Joel Spazierer

Filed under: Uncategorized — jancak @ 10:18

Jetzt kommt der Monsterroman von Michael Köhlmeier, das Spitzenbuch des Deuticke-Zsolnay-Hanser Frühjahrsprogramms, an dem ich über eine Woche gelesen habe und von dem ich anfangs so gar nicht sicher war, ob es mir gefallen würde, denn Geschichten über Mörder und Lügner mag ich eigentlich nicht so besonders.
Vorneweg gesagt, es hat, war besser als sein Ruf und schneidet große Themen an, die auch in anderen großen Büchern behandelt wurden, die ich im letzten und in diesem Jahr gelesen habe.
Ich kann mich erinnern, daß ich den Namen des 1949 in Hard am Bodensee geborenen Voralbergs Autor, in den Achtzigerjahren bei einer GAV-Vollversammlung von Thomas Rothschild hörte, der in etwa sagte, daß er jetzt gehen würde, um ein Buch des GAV-Kollegens zu lesen.
Damals ist er für mich jedenfalls bekannt geworden. Dann kamen seine Serien über Sagen etc im Rundfunk, gelesen habe ich zwei kleinere Bücher von ihm und dann noch die Kolumnensammlung „Als Max kam“, die großen Romane, wie „Mandalyn“ oder „Abendland“ nicht.
„Idylle mit ertrinkenden Hund“, das ich an dem Tag im Schrank gefunden habe, als ich eigentlich meine Bücherbeschränkungspläne beginnen wollte und zum Vortrag in den „Club der logischen Denker“ ging, wurde in einer Besprechung sehr zu lesen und offenbar noch besser als der Roman empfohlen.
Bei den Amazon-Besprechungen, kann man öfter die Behauptung hören, es wäre eigentlich kein „Schelmenroman“, ich denke es ist doch einer, aber so genau kenne ich mich in den literarischen Gattungen auchr nicht aus, habe ich ja Psychologie und nicht vergleichende Literaturwissenschaft studiert und die Frage, ob Joel oder Andras etc jetzt sympathisch oder unsympathisch ist, ist am Ende des Romanes auch wieder nicht so wichtig.
Er ist ein Lügner, Schelm und eine Kunstfigur Michael Köhlmeiers, der damit einen Teil der Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts erzählt, wie Jonas Jonassons „Hundertjähriger“ und mit dem würde ich den Joel auch vergleichen und natürlich mag ich Mörder bzw. das Morden nicht. Sie haben aber auch ihre Geschichten, obwohl ich eigentlich bezweifle, daß die ähnlich, wie die des Joel Spazierers oder des Andras Fülüps sind, aber der ist ein Lügner oder Münchhausen, bzw. schreibt Michael Köhlmeier einen Roman über ihm, bzw tut das Joel Spazierer selbst unter Anleitung des Schriftstellers Sebastian Lukassers und der, habe ich dem Roman, beziehungsweise den Beschreibungen darüber entnommen, ist der Held eines oder mehreren großen Köhlmeier Romane.
Um was geht es also?
Es beginnt In Ungarn im Jahr 1953, da wird ein berühmter Arzt verhaftet, gefoltert und verliert darüber hinaus seinen Verstand, weil sich Stalin an den Intellektuellen rächen will, seine Frau wird auch verhaftet und in der großbürgerlichen Budapester Wohnung, bleibt der vierjährige Enkel allein zurück, ernährt sich mit Brotkrumen und Wasser und begibt sich in seine Fantasien mit Tieren aus einer Bettdecke, die ihm helfen zu überleben und die Traumatisierung zu überstehen.
Nach einigen Tagen kommt seine Mutter, eine Studentin, die in einem Studentenheim lebt, zu Besuch und findet ihn, die Großeltern werden auch wieder entlassen, der Kleine wird vom Geheimdienst verhört, sagt „Ja“, „Nein“, „Ich weiß nicht“ und noch vor dem Aufstand von 1956 flieht die Familie nach Wien, die Großmutter ist eine berühmte Ägyptologin, hat ihr Buch aber genauso gefälscht, wie es die Figuren in Daniel Kehlmanns „F“, tun.
Weil die Flucht nach Wien etwas zu früh war, fliehen die Eltern mit dem Kleinen Andras noch einmal nach Ungarn zurück und kommen dann mit dem Flüchtlingsstrom zurück, da werden sie besser empfangen und sie haben auch ihre Papiere gefälscht und sich zu Akademikern gemacht, obwohl sie mit ihren Studium nicht fertig waren.
Der Achtjährige ist dann im Nachkriegswien viel sich selber überlassen und wird, weil er mit seinen langen blonden Haaren und seinen Sommersprossen so herzig ist, ein berühmter Stricher, als er schon zur Schule geht, sieht er eines Tages den Geheimdienstoffizier, der seinen Großvater gefoltert hat und der nimmt ihn nach Ostende mit, von dort trampt er dann mit einem schwarzen amerikanischen Soldaten zurück, die Familie geht dann nach Feldkirch, weil die Mutter dort eine Stelle als Anästesistin findet.
Andras besucht das Gymnasium, besucht manchmal ein katholisches Internat als Tagesschüler, wird von allen wegen seiner Schönheit und Gescheitheit geliebt und freundet sich mit einem reichen Jungen aus Liechtenstein an.
Später tötet er dessen Mutter, als die Familie auf Schiuurlaub ist und er in der Villa den Tresor knacken will und verbringt als Mörder einige Jahre in einem Gefängnis, dort tötet er dann auch noch den Zellenvater, bevor er begnadet oder entlassen wird. Kommt er in den Siebzigerjahren nach Wien zurück, wird dort Hausmeister in einem theologischen Studentenheim. Da nennt er sich, glaube ich, schon Joel Spazierer.
Der Inhalt ist nicht leicht zu erzählen, da das Buc,h Sebastian Lukasser gibt ihm dazu auch einige narrative Tips, eine weitere Spitzfindigkeit des Erzählers und Köhlmeier sprüht nur so an Einfällen, so daß sein Joel das Leben von mindestens zwanzig Helden hat, nicht chronologisch erzählt wird.
Er lernt auch Frauen kennen, dealt und spielt falsch, bevor er sich einen Paß mit dem Namen Dr. Ernst Thälmann Koch besorgt und als ein Enkel des berühmten Revolutionärs in der DDR um Asyl ansucht.
Dort wird er Professor für wissenschaftlichen Atheismus und weil er nie studiert hat und seine Weisheiten aus einem Büchlein des Meisters Eckehardts hat, setzt er sich in seinen Vorlesungen hin, schweigt ein Weile, dann sagt er einen Satz, den er irgendwo gefunden hat und läßt die Studenten, ein Semester lang darüber diskutieren. So macht er auch die höchsten DDR Funktionäre mundtot, schmeichelt sich bei Erich Honegger etc, ein, hat eine Frau und zwei Freudninnen und zwei Kinder, mit denen er spazieren geht, Schiffchen baut, etc.
Er fährt mit seinen Schwiegervater auch nach Frankreich und läßt es sich dort gut gehen bzw., seinen Paß als Joel Spazierer verlängern, um zwischendurch auch mal in die USA zu reisen.
Abenteuer um Abenteuer. In Russland wird er in einen Käfig gesperrt und verliert einen Teil seines kleines Fingers.
Irgendwann kommt er wieder nach Wien, wohnt bei Freunden in deren feudalen Wohnungen und wenn er kein Geld hat, geht er zu irgendwelchen Ministern in ein Ministerium, erpresst sie mit seinem Vorwissen aus dem Studentenheim oder so und die geben ihm dann ein paar Hunderter, bzw geht er ins Hotel Imperial oder war es das Sacher, bestellt das große Frühstück und haut dann, um zu rauchen ab, denn das darf man jetzt nicht mehr in den Lokalen.
Ein gewöhnlicher Sandler, der vielleicht einen Mord hinter sich hat, geht ins „Häferl“ oder in die „Gruft“, aber in einem Roman muß ja alles überhöht sein, Joel Spazierer ist ein Edelhochstapler und Michael Köhlmeiers Einfälle, Ironie und Ideen, reißen auch mit.
Jonas Jonassnon hat in seinem „Hundertjährigen“ etwas Ähnliches beschrieben und Daniel Kehlmann in seinem „F“ bewiesen, daß das Leben aus Lüge und Fälschung besteht.
Michael Köhlmeier tut das amusanter und spritziger, würde ich mal behaupten und über das letzte Jahrhundert erfährt man wieder sehr viel oder war es vielleicht doch ein wenig anders, wie in dem Buch beschrieben?
Natürlich, aber aus Andras Fülöps Schelmereien läßt sich trotzdem sehr viel lernen und sympathisch braucht einem der Ich-Erzähler auch nicht sein. Denn es ist nicht schön, was er erzählt. Aber das war das vorige Jahrhundert ebenfalls nicht und einige Ereignisse, wie die stalinistischen Säuberungen, der Ungarn-Aufstand, die RAF-Entführungen, der Aufstieg und der Fall der DDR etc, haben wirklich stattgefunden und Falschspieler, Stricher, Betrüger, Fixer, etc, hat es sicher auch gegeben.
Schade nur, daß das Buch ein halbes Jahr nach seinem Erscheinen fast vergessen ist und auch wahrscheinlich, daß es nicht auf der Longlist des dBps stand.

2 Kommentare »

  1. Michael Köhlmeiers Roman ist doch im Hanser Literaturverlag erschienen und nicht bei Deuticke. Oder stehe ich nun auf dem Schlauch?
    Für mich war die Lektüre auch „anstrengend“, ich habe selten zuvor so lange an einem Roman gelesen, wie an diesem. Ich habe die Lektüre – vor allem die Frage nach gut und böse – aber auch als sehr lohnend empfunden.

    Liebe Grüße
    Mara

    Kommentar von buzzaldrinsblog — 2013-12-15 @ 11:52 | Antworten

  2. Kein Schlauch, sondern eine Frage der Verlagskonzentration und natürlich des nicht genügend Ausdifferenzierthabens, beziehungsweise des Erinnerungsvermögens, aber Hanser und Deuticke gehören ja zusammen, Zsonay ist auch noch dabei. So habe ich offensichtlich alles in einen Topf geworfen oder noch im Ohr gehabt, daß bei dieser Radiosendung im März, Martina Schmidt sagte, daß das der Spitzentitel des Frühjahrs ist.
    An den dicken Büchern lese ich manchmal eine Woche, beim Orhan Pamuk ist es mir im Frühjahr auch so gegangen, geht ja gar nicht anders und in diesem wurden auch einige Romane hinein verpackt. Anstrengend würde ich im nachhinein gar nicht mehr sagen, obwohl es ja eine Weile dauert, bis man in die Romanwelt hineinkommt und nicht schnell darüber hinweglesen kann.
    Die Frage ob „gut“ oder „böse“, habe ich gar nicht als so wichtig empfunden, sondern eher gedacht, da ist einer, der die letzten sechzig Jahre erzählt und das ist ja fast die Zeit, die ich auch in Wien verbracht habe.
    Am Spannensten ist wohl die Erkenntnis, das es sich lohnt, einen langen Köhlmeier zu lesen und, daß ich das Buch ausgehalten habe. Hatte ich ja fast gedacht, daß es um die „Glorifizierung“ eines Mörders und mir auf die Nerven gehen wird.

    Kommentar von Eva Jancak — 2013-12-15 @ 20:51 | Antworten


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