Literaturgefluester

2013-12-23

Bücheradventkalender

Filed under: Uncategorized — jancak @ 14:45

Dreiundzwanzigster Dezember neunzehn Uhr achtundfünfzig und das Weihnachtsfraukostüm, der rote Samtanzug und die Mützte mit der weißen Bommel flog in hohen Bogen in den Spind.
„Uff!“, seufzt Nika schon wieder in den Jeans und im schwarzen Pulli.
„Fast geschafft und nur noch morgen einmal bis zwei Uhr Nachmittag, als alter Mann mit Bauch verkleidet auf die Straße. Uff, seufz, stöhn und dann hinein in die Weihnachtsfreude, in die Ferien und danach in die Arbeitslosigkeit oder in das Institut zur Dissertation über den größten Grantler aller Zeiten, um zu Ostern als pelzigbraunes Häschen mit der Karotte und den Ostereierkörbchen aufzutreten. Der Herr Magister hat es mir versprochen! Aber zuerst noch einmal einen halben Tag lang Bonbons und Zuckerl verteilen und dann hinein in die Weihnachtsfreude!“, dachte sie weiter, schloß den Spind ab, steckte den Schlüßel in die Tasche ihrer blauen Jacke und setzte die eigene Mütze auf, die weiß mit einem roten Rand war und sinnigerweise so ein glitzernden Sternchen in der Mitte hatte. Es war aber keine Weihnachtsmütze, hatte sie sie sich doch schon im November aus einer Sonderangebotskiste eines dieser billigen Groschenläden gezogen, in denen man als umweltbewußte Person zwar nicht einkaufen sollte, einer prekär beschäftigten Studentin aber nicht viel anderes überblieb. Und ein Geschenk für die Schwester und die Eltern hatte sie auch noch zu besorgen und schön in Geschenkpapier zu verpacken. Sie selber sollte auch nicht zu kurz kommen, obwohl sie schon so müde war. Sehr müde war sie, da gab es keinen Zweifel, die Kinder und deren Mütter hatten sie an den letzten Wochenenden sehr genervt. Aber jetzt kamen die Weihnachtsfeiertage, da blieb der Weihnachtsfrauanzug im Kasten und sie konnte zu Hause im Bett liegen bleiben und ihre Bücher auflesen, beziehungsweise die Adventkalenderfenster öffnen, mit denen sie Weihnachtsfrau bedingt im Rückstand war und übermorgen am fünfundzwanzigsten Dezember, würde sie, wenn sie von dem elterlichen Festessen zurückgekommen war, zum offenen Bücherschrank gehen und sich selber eine Weihnachtsfreude machen, wie sie auch im Dezember an fast jeden Tag zu dieser Aktion zur Belebung des öffentliches Raumes hingegangen war und sich ein kostenloses Büchlein auf dem Schrank gezogen hatte. Das war nämlich heuer Nika Weihnachtsfrau literarischer Adventkalender, der Germnistin war nichts besseres einfgefallen, als sich seit ersten Dezember jeden Tag ein Buch aus dem Schrank zu ziehen und diese Ausbeute im Wohnzimmer neben dem Adventkranz aufzustapeln und auch jetzt würde sie zum Schrank gehen und sich das dreiundzwanzigste Buch, was es da wohl geben würde, aus dem Kasten nehmen, damit damit in die Badewanne und lesen, lesen, lesen!
Zweiundzwanzig andere lagen schon am Tischchen neben dem Adventkrank und die vielbeschäftigte Weihnachtsfrau war nicht dazu gekommen alle aufzulesen. An denEinkaufswochenenden war oft nicht einmal Zeit gewesen hineinzuschauen. Das würde dann ab übermorgen bis zum Jahreswechsel, den sie mit ihren Freunden und ihrer Schwester brav bei Sekt und Glühwein am Silvesterpfad verbringen würde, ein Festlesen werden. Würde sie doch ab fünfundzwanzigsten bis zum eindundreißigsten Dezember zu Hause bleiben und lesen lesen.
Morgen würde sie sich nach der Arbeit und dem Besorgen der Geschenke für die Schwester, sowie der Mama und des Papas sich noch ein Büchlein holen und am fünfundzwanzigsten soviele, wie sich finden ließen und dann lesen lesen lesen, im Bett, in der Badewanne bei Kerzenschein und sich zum Mittag eine schnelle Mahlzeit aus dem Eiskasten machen. Sie würde bis zum Silvestertag schon nicht verhungern und die liebe Mama würde ihr, da war sie sicher, auch die Reste des Weihnachtsschmauses und einen Berg duftender Weihnachtskekse mit einem Geschenkkorb voll Obst und Konserven, damit die lesewütige Tochter nicht verhungerte, mitgeben.
Lesen lesen lesen, was sollte eine Germanistin und Ex-Weihnachtsfrau denn anderes tun, bis sie sich wieder im April als Osterhäschen verkleiden würde.
Lesen lesen, auch wenn die kleinen Buchhändler stöhnen würden, weil Nika sich nicht an ihrer Bücher-Guerilla-Aktion gegen den bösen Internethändler beteiligte, sondern sich am Bücherschrank bediente und da ihren Adventkalender bis zum Jahresende in aller Ruhe auslesen würde, wenn niemand mehr „Mach mal schön Cheese, Mäxchen und gib der lieben Weihnachtsfrau die Hand!“, sagen würde.
Und die Vorfreude war ja bekanntlich die schönste, so würde sie sich auf den Clemens J. Setz freuen, der halbgelesen am Bettkästchen lag und jetzt hatte sie sich, ehe sie es sich versah, auch eine uralte Pearl S. Buck aus dem Schrank gezogen.
„So etwas lesen Sie, Fräulein!“, hatte der ältere Mann zwar verächtlich zu ihr gesagt, der sie dabei beobachtet hatte. Aber sie hatte fröhlich mit dem Kopf genickt und „Natürlich, warum nicht geantwortet?“
„Und Wolfgang Herrndorfs „Sand“ wartet zu Hause noch auf mich, wenn Sie es genau wissen wollen, denn den habe ich gestern im Schrank gefunden und bin noch nicht zum lesen gekommen. Dafür habe ich Marlene Streeruwitz „Schmerzmacherin“ und Rafael Chirbes „Krematorium“ schon gelesen. Kennen Sie diese Bücher und haben Sie sie vielleicht selber in den Schrank gestellt, so daß ich Ihnen für die freundlichen Adventgaben herzlich danken kann!“, fragte sie fröhlich weiter, aber der Mann mit dem strengen Lehrerblick war schon verswunden.
So steckte sie Pearl S. Bucks „Gute Erde“ fröhlich in den Rucksack und überlegte, was sie sonst im letzten Monat noch gefunden hatte und was auf dem Tisch im Wohnzimmer neben dem Advenzkranz noch auf sie wartete. Ein Bücheradventkalender war schon etwas Schönes und wenn sie nicht darauf vergaß, würde sie sich nächstes Jahr wieder einen solchen beschweren und jetzt hatte sie auch noch eine Idee bekommen. Wolfgang Herrndorfs „Sand“ hatte sie im Schrank gefunden und morgen würde sie, im Kostüm der Weihnachtsfrau für die Schwester, wenn es sich ausging, daß sie damit rasch zum Libro laufen konnte und der es lagernd hatte, sein berühmtes Blogtagebuch „Arbeit und Struktur“ besorgen. Denn um in Anna Jellers Fachgeschäft zu gehen, war eine Weihnachtsfrau zu beschäftigt. Aber jetzt rasch, rasch nach Hause. Sich selber einen Punsch aufbrühen, mit Rotwein, Orangensaft, Zimt und Nelken und sich dann mit dem Clemens J. Setz in die Badewanne legen. Ja, richtig ein Buch mit Weihnachtsgeschichten war am achten Dezember im Schrank gewesen, von denen sie noch nicht alle gelesen hatten, die würden morgen, übermorgen oder in den nächsten Tagen an die Reihe kommen.
Aus der Serie „Nika, Weihnachtsfrau“, die nächstes Jahr vielleicht ein Adventkalender werden wird. Ein Schmankerl gibt es davon schon jetzt zu finden und in den „Dreizehn Kapitel“ wird es auch eines davon geben.

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