Literaturgefluester

2014-02-08

Emma schweigt

Filed under: Uncategorized — jancak @ 00:24

Es ist eigentlich eine ganz einfache Geschichte, die die 1949 in Wien geborene und lange als Russland-Korrespondentin arbeitende Susanne Scholl hier erzählt.
Sie tut es allerdings in einer etwas ungewöhnlichen Art, mit ungewohnten, vielleicht auch überraschenden Perspektiven und einem positiven Ansatz, der dann doch wieder nicht so funktioniert.
Da ist Emma, eine alte Frau, Rentnerin steht im Klappentext, in Österreich heißt das wohl eher Pensionistin, zwischen sechzig und siebzig würde ich schätzen, genauer erwähnt wird es nirgends, noch recht agil und dann grantig, wie die meisten Wienerinnen, ich eingeschlossen, sein sollen, die sich oft übergangen fühlt, dann wieder mit dem Herz am rechten Fleck, das recht automatisch und unbewußt, wie auch wahrscheinlich bei anderen Wienerinnen, zu reagieren scheint und dann wieder über die vielen Ausländer, die es hier schon gibt, schimpft und die Welt um sie herum nicht so recht verstehen kann.
Da gibt es Georg, ihren Mann, der sie im Stadionbad einmal anquatschte und der sie, als sie ins Alter kam, als der Notar bei dem sie beschäftigt war, sie freundlich, wie Susanne Scholl schreibt, in die Pension schickte, wegen ein oder zwei Herausforderungen verließ. Bei der Zweiten bekommt er einen Schlaganfall, die junge Dame schiebt ihn ins Heim und Emma, die Pensionistin besucht ihn dort zweimal in der Woche, aus Rache, wie es Susanne Scholl, so spitzbübisch ausdrückt.
Es gibt auch den Hansi, das ist der Sohn, oder Jo, wie ihn eine seiner zwei Frauen nannte, beide Ehen haben nicht geklappt, aus einer gibt es Luzie, die Enkeltochter, die inzwischen in Italien lebt, enge Hosen und kurze Röcke trägt und mit der Vespa herumbraust und dann kommt der Hansi, ein Arzt, der in einem Labor Blut abnimmt, plötzlich mit einer Türkin daher und sagt, er bekommt ein Kind von ihr, aber heiraten will sie ihn nicht.
Das ist, denke ich, der ungewöhnliche Blick, obwohl es sicher Oberschichttürken gibt, die Architektur studieren, beruflich erfolgreich sind und auch so tolerante Familien haben, daß ein „Schwabo-Schwiegersohn“ willkommen ist.
Aber geheiratet wird ohnehin nicht. Emine geht zwar nicht in die Moschee, ißt aber trotzdem kein Schweinefleisch und das, wo doch der Hansi am liebsten Schweinsbraten mit Knödel und nachher noch Schaumrollen mag.
Auch nicht sehr gesund für den Herrn Doktor, aber so sind die Wiener eben, vielleicht ist das auch ein Klischee und als Emma einkaufen geht, sieht sie im Supermarkt, eine junge Ausländerin mit heruntergerutschten Kopftuch und einem Buben, der sie, als sie ihm fünf Euro zusteckt „Einen guten Menschen!“, nennt und Emma ist gerührt.
Das sind Sarema und Schamil aus Tschetschenien, die dort Fürchterliches erlebt haben. In der ersten Hälfte des Buches wird sehr viel von der Zeit erzählt, bevor Sarema, die eigentlich Lehrerin werden wollte, nach Österreich kam.
Von den Verfolgungen, den Erschießungen, Ermordungen, der ältere Sohn und der Mann kommen um, das namenlose ungeborene Mädchen, stirbt kurz nach der Geburt, die geliebte Schwester verschwindet und als sich Sarema von einer Verwandten, bei der sie wohnt, Geld ausborgt, um damit einen einflußreichen Mann zu bestechen, wird sie von ihm vergewaltigt.
Das ist alles sehr anschaulich beschrieben, wie ich es auch bei meiner Asylwerber-Diagnostik so hörte, die Namen Eva und Lisa, die die Verwandten haben, irritierten ein bißchen und das würde ich Frau Scholl gerne fragen, wenn ich beispielsweise zu der Buchpräsentation beim „Morawa“ in die Wollzeile am 13. Februar 19.30 ginge.
Emma ist über die türkische Schwiegertochter zu deren Nicht-Hochzeitsfest, wo sie ihre Verwandten kennenlernen wird, gehen soll, entsetzt und als sie sich darauf vorbereitet, rutscht sie vorm Supermarkt aus und bricht sich ein Bein.
Sarema und Schamil rufen Hilfe und fahren mit dem Krankenwagen ins Spital mit und der phlegmatische Hans engagiert die beiden, Emma solange im Haushalt zu helfen, bis sie wieder gehen kann. Emma kann dem Knaben ja bei den Hausaufgaben helfen. Die akzeptiert das erstaulich gelassen, es ist eher Emine, die streng schaut und rät aufzupassen und keine fremden Ausländer in die Wohnung zu lassen.
Der kleine Georg Tarek wird geboren, Emine läßt die Oma nicht so recht an den Kleinen ran und als sie mit Luzie im Sommer in die Türkei zur Restfamilie fahren, rächt sich Emma, daß sie mit Schamil, der gute Noten hat und schon vom Studium in Wien träumt, in den Prater und nach Schönbrunn geht.
Sarema beginnt auch langsam Deutsch zu lernen, obwohl sie nicht „Guglhupf“ sagen kann und Salat mit Salz verwechselt und sich darüber wundert, warum diese reichen Österreicher immer so unzufrieden sind.
Die haben doch keine Sorgen, während sie sich vor ihrem Vergewaltiger fürchtet, der ihr gedroht hat, sie überall zu finden und dann kommt noch der negative Asylbescheid.
In dem Heim, wo sie wohnt, rät man ihr, unterzutauchen. So nimmt sie ihren Mut zusammen und fragt Emma, ob sie in dem Kinderzimmer vom Herrn Hans schlafen darf?
Die versteht nicht recht und reagiert abwehrend. Nachher tuts ihr leid und Hans schimpft auch mit ihr, aber als sie in das Flüchtlingsheim geht, um nachzufragen, sind die Beiden schon abgeschoben und die Frau Emma, die im Klappentext oder in der Rezension, die ich schon im Netz gefunden habe, als die Nachfahrin des Herrn Karls bezeichnet wird, ist an allem schuld.
Da tut man, glaube ich, einer typischen Österreicherin unrecht, obwohl es ja so einfach wäre und wir alle helfen könnten, wenn wir wollten. Ein leeres Zimmer gibt es ja wahrscheinlich überall. Ich habe zwar gehört, daß man sich strafbar machen würde, wenn man das täte. Aber ganz Österreich kann man nicht so einfach verhaften und ein gutes Wort und ein bißchen Interesse oder vielleicht weniger offener Fremdenhass können nicht schaden.
So ist das Buch der ORF-Korrespondetin, die in ihrer Pension zu schreiben begann, sicherlich ein Fingerzeig, wie es gehen könnte, wenn wir uns alle ein wenig an der Nase nähmen. Die Fremdengesetze können wir zwar nicht verändern, das Nachbarschaftshilfe Abschiebungen verhindern konnten, haben wir aber schon erlebt und ein bißchen über das Leben in Tschetschenien zu erfahren, schadet auch nicht.
Susanne Scholl tut es in einer sehr wenig abgehobenen realistischen Art, mit den schon angedeuteten Überraschungen, wie dem aufgeschlossenen Phlegmatiker oder der fremdenfeidlichen Emine, die sich aber auch bald mit Sarema arrangiert.
Ich, die ich das ja auch versuche, habe ja immer ein bißchen Angst, daß man das kitschig oder unrealistisch nennen könnte, ob das Susanne Scholl auch passiert, bin ich gespannt und das Buch ist jedem zu empfehlen und auch, es der Emma und dem Hans ein wenig nachzumachen und den Journalisten würde ich raten, vielleicht nicht gleich an den Herrn Karl zu denken, denn so abgehoben und so exemplarisch ist die Emma wahrscheinlich nicht.

2 Kommentare »

  1. Sehr schöne Rezension! Hab das Buch auch in meinem Bekanntenkreis schon öfter empfohlen! Vielleicht magst du mal einen Blick auf meine Rezi werfen:
    https://booksinanutshell.wordpress.com/
    LG Core

    Kommentar von core2511 — 2015-02-15 @ 21:38 | Antworten


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