Am 1.11. wird Ilse Aichinger neunzing Jahre alt. Zu diesem Anlaß gibt es einige Veranstaltungen, Ö1 hat eine eigene Literaturschiene und wird von den „Nachtbildern“ über „Tonspuren“, „Radiogeschichten“ bis zur „Hörspielgalerie“ alles senden. Die Wiener Vorlesungen bringen einen Vortrag von Josef Winkler „Da flog das Wort auf“ mit einem Kommentar von Alexandra Millner und präsentieren ihrer Werke, die in der „Edition Korrespondenzen“ erschienen sind.
Die Alte Schmiede hat natürlich auch ihre Festveranstaltung mit einer Sondernummer des „Hammers“ in der alle Ilse Aichinger Lesungen, die es in der Alten Schmiede gab, aufgezählt sind. Bei einigen war ich dabei und eine ist schon im Literaturgeflüster verewigt. Da bei dem vorverlegten Geburtstagsfest Marlene Streeruwitz aus dem 1978 erschienenen Gedichtband „Verschenkter Rat“ lesen sollte, wußte ich nicht, wieviele Leute sich in den Keller hinunterbegeben werden und bin so rechtzeitig hingegangen, daß ich vor verschlossenen Türen gestanden bin. Ein paar Leute standen schon davor und Marlene Streeruwitz huschte durch die Zeitschriftengalerie hinein. Danach wurde es gar nicht so voll, obwohl ich einige Bekannte gesehen haben. Darunter wieder Elfriede Haslehner, die eine wirklich literarisch Interessierte ist, die mit einem Band „Der größeren Hoffnung“ aus den Sechzigerjahren auf Autogrammsuche war, aber Ilse Aichinger nahm ja schon bei der Veranstaltung mit ihrer Zwillingsschwester Helga Michie, wo Andrea Eckert aus ihren Werken las, nicht mehr teil. Ich habe sie, das habe ich höchstwahrscheinlich schon geschrieben, 2001 bei „Rund um die Burg“ das letzte Mal gesehen. Da wurde sie zu Mittag gemeinsam mit Antonio Fian vom Literaturhaus eingeladen, vor Dietmar Grieser, das ziemlich leere Zelt füllte sich plötzlich mit älteren Damen, die ungeduldig auf die Uhr schauten und sich ärgerten, das die zarte alte Frau am Podium ihre Eindrücke von nine elefen mit zittriger Stimme herunter las, obwohl sie schon ihren „Grieser“ hören wollten. Da habe ich mir gedacht, einmal wird das Zelt voll sein und Dietmar Grieser oder ein anderer wird aus den Werken Ilse Aichingers lesen und alle sind gebannt und hören zu.
Ich habe mir die „Größere Hoffnung“ in den Siebzigerjahren gekauft und gelesen und zum achtzigsten Geburtstag gab die Edition Korrespondenzen die „Kurzschlüsse“ heraus und präsentierte sie in den Räumen der Beamtenversicherung. Da gab es ein Programmheftchen, auf das ich mir ein Autogramm geben ließ, jetzt habe ich eines von der alten Dame und kann mich erinnern, daß sich einige Leute darüber mokierten, daß ich mir das Buch nicht kaufte. Das hat mir der Alfred dann zum Geburtstag oder zu Weihnachten geschenkt und die „Subtexte“ aus denen Andrea Eckert 2007 las, habe ich auch, sowie „Film und Verhängnis“, 2001 bei S. Fischer erschienen.
Dann gabs noch einmal eine Ausstellung im Literaturhaus, wo Frau Aichinger, glaube ich, auch nicht mehr war, da habe ich mir das Plakat geholt, das noch immer im Wohnzimmer hängt.
Inzwischen gibt es ein neues Buch, Kurt Neumann leitete die Veranstaltung ja ein, daß die Alte Schmiede keine Geburtstage von Autoren, sondern nur die von ihren Büchern feiern würde und so gibt es einen Interviewband und in dem habe ich am Freitag in der Pause zwischen dem kulturpolitischen Arbeitskreis und der Neuaufnahmelesung beim Morawa geblättert. Das Hilde Schmölzer Buch „Frau sein und Schreiben“ mit einem Aichinger Interview habe ich auch. In Anita C. Schaubs „Frauenbuch“, fehlt das Aichinger Interview, da kann ich mich erinnern, daß Anita C. Schaub erzählte, daß das zwar geplant war, aber nicht zustande gekommen ist.
In dem ORF-Artikel steht etwas, „das Ilse Aichinger am liebsten niemals geboren worden wäre und im Kino sterben wollen würde“. Kurt Neumann eröffnete die Veranstaltung, daß sie am 1.1. ihren neuzigsten Geburtstag feiern muß, ob sie will oder nicht und wies auf die Lesung aus „Verschenkter Rat“ vom 9. 12. 2003 hin, bei der Ilse Aichinger fast alle Gedichte gelesen hat.
Ob ich da dabei war, weiß ich gar nicht, möglicherweise nicht, es gab aber eine Leinwand und so konnte man Teile ihrer letzten Alten Schmiede Lesung hören, danach las Marlene Streeruwitz weiter und sagte anschließend, daß sie die Texte nicht kommentieren wolle und nur „die Kostbarkeiten“ lobte, für sie sie ihr sehr danken kann.
Dann kam die Hörspielregisseurin Renate Pitroff und hielt ein Einleitungsreferat zu dem 1977 aufgenommenen Hörspiel „Gare Maritime“ bei dem Ilse Aichinger selbst Regie führte. Ein surreales Hörspiel in dem es um das Atmen und sehr viel anderes geht, zwei Männer eine Puppe in ein Hafenmuseum schleppen, wo viele wunderliche Dinge passieren, mit feinen Humor beschrieben, so daß ich Kurt Neumann beim Lachen beobachten konnte.
„Bewahren Sie Ihr Werk im Herzen!“, riet Kurt Neumann zum Abschied auch und ich hatte nun zu entscheiden, ob ich Dienstags zu den Wiener Vorlesungen gehe oder, wie ich eigentlich wollte, nochmals in die Alte Schmiede zur zweisprachigen Lesung von Bora Cosics „Im Ministerium für Mamas Angelegenheiten“ und habe mich für die Wiener Vorlesungen entschieden, wo es im Wappensaal des Rathauses um dreiviertel sieben noch angenehm leer war, dann ist Christel Fallenstein gekommen, Norbert Leser ist hinter mir gesessen, Utta Roy-Seifert neben mir und Hubert Ch. Ehalt stellte wieder den Sinn der Wiener Vorlesungen vor. Diskurs und Widerspruch ist, glaube ich, die Grundidee und so hat er zum neunzigsten Geburtstag den Büchnerpreisträger von 2008 Josef Winkler eingeladen, der seinen Vortrag damit begann, wie er einsam auf der Bühne bei der Preisverleihung am 1. 1. 2008 gestanden ist, die Gladiolen angesehen hat und daran denken mußte, daß die große österreichische Dichterin diesen Preis nicht bekommen hat. Sie hat ihn noch immer nicht, Josef Winkler hat aber zwei ihrer Bücher diesen Sommer nach Indien mitgenommen und ist mit ihnen durch die Tempelanlangen gezogen und in seinem Vortrag hat er sich wieder viel von seiner Kärtner Kindheit, der Großmutter der drei Söhne im Krieg gefallen ist und die mit sechzig Jahren am geborochenen Herzen gestorben ist, vom Großvater, der beim Apfelbaum betete und von der Mutter, der Schwester der drei gefallenen Söhne, die irgendwann den Vater geheiratet hat, bezogen. Dazwischen kommen katholischen Sprücherln vor, die er wie eine Litanei hinunterrasselte und immer wieder Aichinger Sätze „Spiegelungen sind…, schreibt Ilse Aichinger“, beispielsweise. Alexandra Millner, die Literaturwissenschaftlerin und Kritikerin, die einmal Anna in Deutsch unterrichtete, verglich in ihrem Kommentar Ilse Aichinger mit Josef Winkler und stellte die Frage, was der Kärntner Dichter aus dem katholischen Dorf, der seine Heimat immer wieder verläßt, um nach Indien oder Italien zu reisen mit der Wiener Halbjüdin, die einen Teil ihrer Familie durch die Shoah verlor, gemeinsam hat und kommt zu dem Schluß, daß beide einen bedeutenden Roman geschrieben haben, der die Literaturgeschichte veränderte, „Menschenkind“ Josef Winkler „Die größere Hoffnung“ Ilse Aichinger und, daß sich beiden die Leidenschaft fürs Kino gehen teilen. Dann kam der Verleger der Edition Korrespondenzen Reto Ziegler und erzählte, wie er zu Ilse Aichingers Bücher gekommen ist, er hat drei oder vier von ihr verlegt, zuletzt den besagten Interviewband „Es muß gar nichts bleiben“ und erzählte, das, was die Meisten wohl sehr interessierte, wie es Ilse Aichinger persönlich geht. 2001 hat er ihre Wien-Gedichte herausgebracht, Richard Reichensperger ihr damaliger Lebenspartner vermittelte, als er 2004 einen tödlichen Autounfall hatte, entwickelte sich eine intensivere Freundschaft zwischen der Autorin und dem Verleger, der mit Ilse Aichinger ins Kono ging und sie auch nach ihrer Krankheit 2005, als sie zu schreiben aufhörte, weiterbesuchte. Am Büchertisch lagen die in der Edition Korrespondenzen erschienen Bücher auf, zwei davon habe ich ja gelesen, in die anderen, wie zum Beispiel „Der Wolf und die sieben jungen Geißlein“ 2004 erschienen, hineingeschaut.
2011-10-25
Vor dem 90. Geburtstag
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