Literaturgefluester

2014-09-01

Watschenmann

Filed under: Uncategorized — jancak @ 00:38

1954 war das Jahr, wo Franz Jonas Bürgermeister war, die Stadt Wien fünfundzwanzig Groschen für das Kilo Kastanien für die Wildfütterung zahlte, Gemeindebauten im achten Bezirk und auch anderswo errichtet wurden, die Stadt Geld für die verschiedensten Gelegenheiten zur Verfügung stellte und die Muttertage, sowie des Bürgermeisters Geburtstag gefeiert wurden.
Es war auch das Jahr, wo ich meinen ersten Geburtstag hatte und mich an die Besatzungszone, die Amis, die Engländer, die Franzosen und die Russen, sowie die schrägen Typen, die es neben der Wohlstandsgeneration, die sich langsam nach dem Krieg wiederaufbaute, nicht mehr erinnern kann, setzt das ja erst ein paar Jahre später ein, aber die 1967 in Eferding OÖ geborene Karin Peschka hat das alles sehr sorgfältig recherchiert und sich im Anhang ihres soeben im Otto Müller Verlag erschinenen Debutroman „Watschenmann“, der schon auf der Hotlist der unabhängigen Verlage, dem Gegenstück zum dBP steht, bedankt und ich habe im Jänner in der „Kolik-Louge“ schon ein Stückchen daraus gehört, mit einem Kapitel davon hat sie 2013 auch den Wartholzer Literaturpreis gewonnen.
Karin Peschka ist vom Brotberuf Sozialarbeiterin, hat mit alkoholkranken Menschen und mit arbeitslosen Jugendlichen gearbeitet, wie ich dem Klappentext entnehme oder einmal in der „Alten Schmiede“ hörte und das merkt man dem Buch auch an, das mich an Robert Neumanns „Kinder von Wien“ erinnert, das ich einmal, lang lang ists her, noch in der Otto Bauergasse gelesen habe.
Der Krieg ist vorbei, überall wird aufgebaut, wie in der Zeitung steht, die Lydia in dem Schuppen neben der Schusterwerkstatt, in der sie mit Dragan und mit Heinricht lebt, lesen kann.
Und das sind einige der Gestrandeten, von denen schon die Rede war, die energische Lydia mit dem langen Zopf, den sie sich erst später abschneiden wird, die wenn es nötig ist, auch „anschaffen“ geht, sonst aber auf den Schuster wartet, ihrem Bräutigam, der vor zehn Jahren in den Krieg gezogen ist und noch nicht heim gekommen ist, für den sie aber schon die Werkstatt herrichtet und wenn er gekommen ist, mit ihm wieder in die Wohnung ziehen wird, in der jetzt andere leben, Dragan, der Serbe, der gerne boxt, zu Lydia „duso moja“ – „meine Seele“ sagt und von dem man sonst nicht sehr viel weiß und vor allem Heinrich natürlich, der „Watschenmann“, ein Traumatisierter, würde man heute sagen, einer der vielleicht dem Spiegelgrund entkommen ist, ein Verrückter, der die Wahnvorstellung hat, daß der Krieg in uns allen drinnen ist und man ihn langsam herausprügeln lassen muß.
So stellt er Regeln auf, „für Geld nur für die Wiener, für die Besatzer ist es frei“ und stellt sich als Opfer zur Verfügung und langsam langsam bekommt man stückweise ein Stück der Vergangenheit heraus. Da ist der Vater, ein Arzt, Primar vielleicht, man ahnt schon Böses, der dem Sohn die Weichheit austreiben will und ihn deshalb so viel trinken läßt, bis er sich übergibt, die hilflose Mutter steht daneben, die Großmutter war dagegen eine starke Frau und Botanikerin, sie lehrte dem Enkel die lateinischen Namen aller Pflanzen und dann gibt es noch Peter und Paul, die Zwillinge und ihre Schwester Helene, die drei Grazien genannt, die die drei in dem Schuppen regelmäßig besuchen und die beide ihr Augenlicht im Krieg verloren haben, Peter noch etwas mehr, die mürrische Schwester muß sie pflegen und eine „Pritschlerin“, die früher ein Blumengeschäft hatte, ihre Kinder durch die „Fürsorge“ verloren hat und darüber den Verstand verlor gibt es auch, dann noch den „Kummerl“ ein in den KZs Gepeiniger, der jetzt nur noch an Stalin glaubt und den „Lichterl-Sigi“, der selber einmal ein Nazi war, den GI Elmer, der sich mit Helene anfreundet und zu Heinrich hält, die Tante Maridi, die weil sie es in Lainz nicht aushält ihre Nächte in den Beserlparks verbringt und dort von den reschen Wienern angestänkert wird, die sich aber als hervorragende Krankenpflegerin erweist und ihre Buben, Paul und Heini, der kränkere Peter stirbt, zu verwöhnen versucht und und und…
In acht Monaten, Jänner bis Oktober, wird diese Geschichte in einer sehr schönen Sprache, die die traumatisierten Gewalt der Nachkriegsjahre sehr radikal anzudeuten weiß, erzählt, gibt es da doch den Raben und auch die anderen Tiere, in die sich Heinrich hineindenkt, um keinen Schmerz beim geprügelt werden zu verspüren oder die Metapher von den „Negerlein“, die Paul das Augenlicht gestohlen haben. Jetzt trägt er Kindern auf der Straße auf, den Schwarzen, die blauen Augen auszustechen, um ihm diese, schön nach oben aufgerichtet, damit die Farbe nicht ausrinnt, zu bringen, um wieder gesund zu werden.
Böse böse, die Geschichte, die uns Karin Peschka da in sehr poetischen, aber auch harten Worten erzählt. Wie geschrieben, ich kann mich erst an ein paar Jahre später, als die Soldaten alle abgezogen und der Wohlstand nicht mehr aufzuhalten war, erinnern. Daß es aber von unten fault und im Keller die Leichen liegen, die dann stinken, ist eine andere Geschichte und die von dem Nachkriegs Wien 1954 hat die erst viel später geborene oberösterreichische Sozialarbeiterin sehr eindrucksvoll erzählt, der ich alles Gute für die Hotlist wünsche und ihren Debutroman allen an realistischer Literatur interessierten, wirklich nur empfehlen kann.

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