Literaturgefluester

2014-09-15

Die Lebenspraktikanten

Filed under: Uncategorized — jancak @ 00:56

„Die Welt steht ihnen offen, sie sind behütet aufgewachsen, gesund ernährt und bestens ausgebildet, mobil, mehrsprachig, ideologisch unverdorben und informationstechnisch auf dem neuesten Stand“, steht im Klappentext von Nikola Richters, 2006 bei „Fischer TB“ erschienenen Büchlein „Die Lebenspraktikanten“ und das ist ja ein Thema das mich sehr interessiert.
Habe ich ja, 2006 oder 2007 wird das gewesen sein im Literaturhaus eine Veranstaltung „Arm-reich-Grundeinkommen und prekäre Lebensverhältnisse“ unter der Diskussion von Martin Potschka mit Ruth Aspöck und Elfriede Haslehner veranstalten wollen, die dann ohne Martin Potschka im Amerlinghaus stattfand und als ich 2007 bei Ruth Aspöcks Donau-Ratkarawane in Linz vorbeikam, habe ich mir beim dortigen „Thalia“ Altonio Incorvaias und Alessandro Rimassas „Generation 2000 Euro“ kaufen lassen, auf das, bzw. den entsprechenden Blog ich bei den Recherchen gestoßen bin und im „Wilden Rosenwuchs“ habe ich auch darüber geschrieben und bei der Veranstaltung ein Kapitel vorgelesen.
Zuerst wurden alle über Fünfigjährigen als zu alt nicht mehr eingestellt, dann untersuchten Unternehmen wie MC Kinsay die Firmen auf ihre Rentabilität und entließen alle überfüßigen Arbeitskräfte und dann kamen die prekären Arbeitsverhältnisse und die lebenslangen Praktikanten, von denen vielleicht auch die jungen Buchhändlerinnen, Literaturwissenschaftlerinnen,etc, die mit ihren Media-Kit-Sets auf den Buchmessen und Verlagen herumlaufen und deren Blogs ich gerne und regelmäßig lese dazu und Anna Lindner, eine Schulkollegin meiner Tochter Anna, die auch Literaturwissenschaften studierte, in Temesvar Lektorin ist und bei Metro inzwischen schon ihr viertes Buch herausbrachte, von denen das letzte letzten Mittwoch bei „Thalia“ auf der Mariahilferstraße vorgestellt wurde, gehört vielleicht auch dazu.
Aber zurück zum Buch, das ich vor einiger Zeit im offenen Bücherschrank fand und zu Nikola Richter, die 1976 in Bremen geboren wurde, Germanistik studierte, als Online-Redaktuerin tätig war und jetzt einen Digital-Verlag hat und das vielleicht auch nicht mehr ganz aktuell ist, obwohl das, was sie da über ihre Lebenspraktikanten Nils, Jasmin, Linn, Viktor, Anika, Chris und Guila in abwechselnden Kapiteln, die Namen, wie „Existenzminimum“, „Beziehungsspünge“, „Netzwerke“, „Elterngespräche“ oder „Dönerkuchen“ tragen, erzählt, die sich alle mehr oder weniger gut kennen und miteinander in Beziehungen oder befreundet sind und in WGs leben, was sie studiert haben, wird oft gar nicht so genau erzählt und auch ihr Alter, sie dürften, etwa um die Dreißig sein, wird so genau nicht angegeben, sehr spannend ist. Sie erzählen von dem schönen neuen Arbeitsleben der neuen Zeit, wo man sich von Praktikum zu Praktikum hantelt und so ist Linn schon Expertin bezüglich Bewerbungsgespräche und gibt ihrer etwas schüchternen Freundin Annika dazu auch Ratschläge, bzw. übt sie mit ihr in Rollenspielen, daß man nicht „Das kann ich nicht!“, sonder „Ich bin neugierig darauf, darin Erfahrungen zu machen!“, sagen soll.
Linn ist mit dem zielstrebigen Viktor befreundet, der ihr rät sich Visitenkarten anzuschaffen, die sie dann den jeweiligen Vorgesetzten immer in die Hand drücken kann. Weil sie nicht recht weiß, was sie in der Spalte Beruf eintragen soll, läßt sie sich sechs verschiedene Varianten drucken und geht damit zu einem Aluminitreffen, spricht auch den Vortragenden an, der sie kurz abfertigt, ihr erklärt, alle Praktikantinnen würden Julia heißen und ihr den Rat gibt am letzten Tag Kuchen und einen guten Schmampus mitzubringen.
Linn bekommt aber auch ein Praktikum, lernt da ihre Vorgängerin Guila kennen, die sich sogar gegen die schlechten Arbeitsbedingungen wehrt, das Arbeitsrecht studiert und zum Generaldirektor geht, um bei der Krankenkassa angemeldet zu werden, sie mag auch Kinder, obwohl die Generation Praktikum kaum in der Lage ist, solche zu bekommen, schwärmt sie trotzdem davon, sie einmal als Tagemutter abwechselnd je einen Tag in der Woche mit den anderen jungen Eltern zu bertreuen, was aber daran scheitert, daß sie eigentlich kein Geschrei verträgt.
Sie kann aber trotzdem gleich üben weil ihr ein befreundetes englisches Ehepaar ihre fünfzehnjährige Tochter in den Herbstferien schickt. Guila bemüht sich sehr, kommt aber mit der Pubertierenden nicht zurecht und hier wirkt das Kapitel auch ein wenig langatmig, denn wahrscheinlich würde keine Dreißigjährige eine Fünfzehnjährige erziehen wollen und vielleicht spricht Emily auch deshalb sowenig, weil sie noch nicht gut genug Deutsch versteht.
Auch das Kapitel mit Chris, der seine Praktika in Neurobi etc macht und dann mit Malaria zurückkommt und die „www.äerztezeitung.de“ braucht, wirkt vielleicht ein wenig übertrieben, aber vielleicht kenne ich mich in der Generation Praktikum nicht genug aus, bin ich ja schon darüber und entstamme eher der Generation von Guilas Eltern, die Achtundsechziger sind, es mit ihren Kindern gut meinen, sie mit selbstgemachten Marmeladen und alten Möbeln unterstützen, aber trotzdem der Meinung sind „Wenn man sich nur wirklich bemüht, findet man schon was“, weil sie, als in in der Pädagogischen Hochschule saßen, gleich die Anstellung beim Stadtschulrat im Hörsaal mitgeliefert bekamen.
Es kommt aber trotzdem zu einer Schwangerschaft, Nils und Margarete trauen es sich zu den kleinen Konstantin in die Welt zu setzten und Nils, ein Immigrantenkind ist auch der Innovativste oder Lockerste in der Gruppe, der, obwohl er auch studierte, seine Dissertation sausen läßt, stattdessen Kuchen herstellt, sich einen Marktstand mietet und dort mit Hilfe seiner Freunde große Eröffnung feiert, zu der auch seine Professorin kommt, die ihn zuerst erstaunt ansieht „Was machen Sie denn hier?“, ruft sie erschrocken.
„Sie sollten doch an Ihrer Dissertation arbeiten!“, aber dann doch begeistert und befriedigt mit ein paar Kuchen abzieht.
„Sehr gut! Ich werde Ihre Stammkundin!“, sagt und Nils in seiner Begeisterung schon an den Partyservice denken läßt, den er sich aufbauen wird…
In Zeiten, wie diesen, ein sehr interessantes Buch, obwohl es schon vor acht Jahren geschrieben wurde, das uns über unsere Gesellschaft nachdenken läßt und ein bißchen auch zu Peter Roseis soeben erschienenen „Globalisten“ passt.

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