„Zuerst will ich von den Raubüberfällen erzählen, den meine Eltern begangen haben. Dann von den Morden, die sich später ereigneten. Der Raubüberfall ist wichtier, denn er war eine entscheidende Weichenstellung in meinem Leben und in dem meiner Schwester. Wenn von ihm nicht als Erstes erzählt wird, ergibt der Rest keinen Sinn!“, beginnt Richard Fords vor zwei Jahren auf Deutsch erschienener Roman „Kanada“ und die Kritik war voll hingerissen.
Elke Heidenreich schwärmte im Schweizer Literaturclub davon in höchsten Tönen, fand den Erzählstil am Anfang nur ein wenig zu bedächtig, bemerkte aber beim zweiten Lesen, jedes Wort ist wichtig und Dennis Scheck empfahl in seiner Sendung „Wenn Sie in diesen Herbst nur ein Buch kaufen, dann dieses!“
Ich habe es vor fast einem Jahr im „Wortschatz“ gefunden, mich auf das Lesen gefreut und bin jetzt ein wenig verwundert über die überschwengliche Experteneuphorie, denn ich fand das Ganze eigentlich ein wenig aufgesetzt und nicht ganz nachvollziehbar, die Jugenderlebnisse eines alten Mannes, Richard Ford wurde 1944 in Jackson, Missisippi geboren, sein Held, Dell, 1945, der Lehrer ist, zum Zeitpunkt der Geschichte bald in Pension gehen wird und da auf seine Jugenderlebnisse zurückblickt, die zwischen August und Oktober 1960 sein Leben sehr verändert haben, das sonst wahrscheinlich sehr langweilig und bürgerlich gewesen wäre. Eine Frau, ein Eigenheim, seine Schüler, keine Kinder, wenn es da nicht die zwei Morde und den Banküberfall gäbe, das, was sich ich ein guter amerikanischer Junge eben von einem Abenteuerlichen Leben erträumt. Die Schriftsteller schreiben es auf und der deutsche Sprachraum ist begeistert, denn die Amerikaner schreiben die große Literatur und sind unerreichbare Vorbilder.
Präzis und sehr genau ist es geschrieben. Mir erschienen die Ereignisse um diesen Bankraub, den ich absolut nicht nachvollziehen konnte und der mir äußerst unsinnig erschien, sehr sehr langatmig. Die Jungen spielen aber halt Räuber und Gendarm und lesen Karl May und die Indianer spielen in Dells Jungendasein auch eine sehr wirkliche Rolle, da sie in seiner Umgebung angesiedelt sind.
Große Sätze und Lebensweisheiten gibt es auch immer wieder, wie „unser Leben ist jetzt ruiniert, obwohl wir ja noch eine Menge davon übrig haben und irgenwie füllen können!“, wie Berner ihren Bruder schreibt.
Eine Danksagung gibt es Schluß auch und die Kritiker sprechen von „Schuld und Sühne, vom Grenzen überschreiten“ oder überhaupt vom großen Epos.
Es beginnt in einer sehr langweiligen amerikanischen Kleinstadt, nach Kanada geht es erst viel später. Im zweiten Teil der Geschichte und so habe ich die Namensgebung auch nicht ganz verstanden. Im Sommer 1960, Dell ist fünfzehn, träumt vom College, auf das er gehen möchte, vom Schachspielen und vom Bienenzüchten und lebt mir seiner Zwillingsschwester Berner und seinen Eltern Bev, einem ausgeschiedenen Air Force Soldaten, der jetzt Grundstücke verkauft, beziehungsweise gestohlene Kühe und seiner Mutter, einer intellektuelleren Jüdin, die unterrichtet, Gedichte schreibt und gar nicht zu diesem Kleinstadtvater passt in dem Nest namens Great Fall.
Sie überlegt auch dauernd die Trennung, tut es aber nicht, sondern beschließt, als Bev Geld braucht, um die Indianer bei diesem Kuh-Deal zu bezahlen, mit ihm eine Bank zu überfallen.
Wie logisch das ist, muß mir einer mal erklären, aber ich träume auch öfter davon den Nobelpreis zu bekommen und dann sagt mir sicher jemand, das wäre unrealistisch!
Die Beiden lassen also ihre Kinder, die ja eigentlich Jugendliche sind, Berner träumt schon vom Heiraten und Durchgehen mit ihrem Freund, in dem Haus zurück und fahren in eine andere Kleinstadt, um dort wie Bonnie und Clyde ihren Bankraub zu begehen. Sie stellen sich dabei sehr idiotisch an, fahren dann nach Hause zu den Kindern, verstecken das erbeutete Geld im Auto. Die Polizei beobachtet sie ein paar Tage lang, bevor sie sie verhaftet, das kann ich auch nicht ganz nachvollziehen, bringt sie dann weg und sagt noch „Um die Kinder kümmern wir uns, Mam, die gehören jetzt uns!“
Die rechtschaffene Mutter will aber nicht, daß sie in Jugendgefängnis kommen, so soll sie eine Freundin über die Grenze schmuggeln, als die aber kommt, ist Berner mit ihrem Freund schon weg, nur Dell kommt, statt aufs College, nach Kanada, in eine noch ödere Gegend, zu einem Arthur Remlinger, der ein Hotel mit Buffbetrieb besitzt und Gänsejagden für Sportsfreunde organisiert.
Dell muß dort die Zimmer aufräumen und bei den Jagden helfen, träumt immer noch von der Schule, sagt Arthur Remlinger, der sich um ihn kümmern soll, aber nichts davon, erfährt nur, daß es in der Nähe eine für gefallene Mädchen gibt und fährt dort mal hin, was in einem grotesken Fiasko endet. Die Nonnen kreischen auf, die Mädchen grapschen nach ihm, nun gut, die Seele ist ein weites Land und mit Fünfzehn ist man in der Pubertät, Dell aber in der Wildnis und bekommt von einem sehr seltsamen Wildhütererzählt, daß Remlinger vor fünfzehn Jahre aufs College wollte, aber eine Bombe legte, wo dann ein Mensch ums Leben kam. Er flüchtete nach Kanada, wurde Hotelbesitzer und jetzt fünfzehn Jahre später, sollen zwei Männer auftauchen, die ihm nach dem Leben trachten, bzw. ihn den Gerichten zu führen wollen.
Die kommen auch, werden in die Wildnis verfrachtet und Remlinger nimmt Dell mit, als er sie erschießt. Der Junge muß dann auch noch die Leichen wegräumen helfen, bevor es ein paar Tage später nach Winnipeg in die Schule geht.
Im letzten, viel kürzeren Teil, steht Dell kurz vor seiner Pensionierung und für die diesbezügliche Party haben seine Schüler ergooglet, daß ihn irgendwo ein Bvv sucht, weil er sich um seine schwerkranke Schwester kümmern soll.
Das führt zu einem Schock, denn Dell will nichts mehr von seinem Vater wissen, die Mutter hat sich im Gefängnis umgebracht, aber vorher eine Chronik geschrieben und die den Kindern zukommen lassen. Berner, die dreimal verheiratet war und jetzt Krebs hat, beruhigt ihn aber, sie hätte nur ihren Namen geändert und so sehen sich die Geschwister noch einmal wieder und der Jugendtraum hat sich wahrscheinlich erfüllt oder wie die letzten Sätze lauten „Wir versuchen es. Wir alle. Wir versuchen es.“
Ein Roman, der mich, wie schon den Zeilen zu entnehmen, ein wenig unbefriedigt zurück läßt, aber wahrscheinlich liegt das daran, daß ich kein Junge bin, von Wildwestromanen nicht so viel halte und auch nicht so ganz sicher bin, daß uns die großen Amerikaner wirklich so viel in ihrem Schreiben voraus sind oder uns nur sehr bestimmt ihre Themen aufdrücken, von denen wir dann so begeistert sind.
Einen Inzestversuch, das hätte ich jetzt fast vergessen, gab es in der letzten Nacht, bevor es nach Kanada geht auch noch. Richard Ford, der Autor von „Independenttag“ und „Pulitzerpreis-Träger“, weiß eben, wie man es machen muß und welche Themen man in seine Geschichten zu verpacken hat, damit alle „Ah!“ und „Oh!“ schreien.
2014-10-21
Kanada
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