Nun kommt das zweite Buch, auf meiner „Deutschland-Leseliste“, das ich von Ulm nach Würzburg mitgenommen habe.
Bernhard Schlinks „Der Vorleser“, ein Fund aus dem Bücherschrank und ein sehr berühmtes Buch, das auch verfilmt worden ist. Beides ist an mir vorbeigegangen, so daß ich nicht genau wußte, worüber es darin geht.
Von dem 1944 in Großdorning geborenen Juristen, habe ich mir, glaube ich, 1996 als ich nach Klagenfurt gefahren bin, um dort zuzuhören und das literarische Feeling zu schnuppern, beim „Libro“ einen Krimi gekauft, der mir aber, glaube ich, nicht sehr gefallen hat.
Jetzt ist vor kurzem ein neuer Schlink „Die Frau auf der Treppe“ erschienen“, da habe ich die Rezension ein bißchen mitverfolgt und jetzt den “ Vorleser“, gelesen
Auf der Zugfahrt zurück von Würzburg nach Wien, als ich mit der Gabriele Wohmann fertig war, habe ich es begonnen und ich kann schreiben, daß es leichter zu lesen war und mir auch sehr gefallen hat.
Sehr eindrucksvoll die Geschichte des Ich-Erzählers, Michael Bergs, der in den frühen Sechzigerjahren mit fünfzehn Jahren als er an Gelbsucht erkrankte, die etwa zwanzig Jahre ältere Hanna Schmitz kennenlernt.
Sie hilft ihn bei einer Unpäßlichkeit, seine Mutter schickt ihn mit Blumen zu ihr, um ihr zu danken. Sie ist gerade beim Bügeln, entkleidet sich bis aufs Unterkleid, er läuft davon, kommt aber wieder und sie beginnt ihn zu verführen „Das ist doch, was du willst, Jungchen!“ und die Geschichte beginnt.
Heute würde man das sexuellen Mißbrauch nennen, aber das wird nicht einmal thematisiert.
Eine Geschichte also über die sich sehr nachdenken läßt und, die in den drei Teilen, in denen sie erzählt hat, mehrere überraschende Drehungen und Wendungen nimmt.
Der Ich-Erzähler, ein Jurist, der sich mit Rechtsgeschichte beschäftigt, man könnte auch einiges Biografisches zuordnen, beziehungsweise finden, erzählt die Geschichte, zehn Jahre nach Hannas Tod.
Im ersten Teil übersteht er die Gelbsucht, muß dabei solange zu Hause bleiben, daß er glaubt, das Schuljahr wiederholen zu müßen, das läßt Hanna, die er seither jeden Tag besucht nicht zu, so verspricht er ihr zu lernen und schafft es auch.
Er muß ihr vor der Liebe jeden Abend vorlesen und es kommt auch zu Mißverständnissen zwischen den Beiden, einmal schlägt sie ihm mit ihrem Gürtel, als er nur kurz Frühstück holen wollte, sie glaubte offenbar, er wolle sie verlassen und hat den Zettel, den er ihr hinterließ, nicht gesehen. Einmal will er sie, sie ist Straßenbahnschaffnerin, auf der Fahrt überraschen, da ignoriert sie ihn und sie auch auf einmal verschwunden.
Das irritiert den jungen Mann, Sohn eines Philosophieprofessors, der die Nazi Zeit einigermaßen mit Anstand überstand, der nach der Matura Jus studiert und während eines KZ-Seminars, wo die Studenten einen Prozeß mitverfolgen, trifft er Hanna wieder.
Sie, die ihm nie sehr viel von sich erzählte, war Aufseherin in einem KZ bei Krakau, ist auch Schuld, daß Frauen und Kinder in einer Kirche verbrannten und wird lebenslang verurteilt.
Er kommt jeden Tag in den Gerichtssaal, reagiert dann körperlich, daß er keine Kälte verspürt und fast daran stirbt, schließt sein Studium ab, heiratet und läßt sich bald wieder scheiden.
Im dritten Teil beginnt er Hanna Cassetten von der „Odyssee“, aber auch von anderen Klassikern, die er besprochen hat, zu schicken, dernn er hat während des Prozeßes herausbekommen, daß sie Analphabetinist, deshalb interessiert sie sich soviel für Bildung.
Auch eine überraschende Wendung und nach achtzehn Jahren soll sie freikommen, da wendet sich die Leiterin der Strafanstalt an ihn mit der Bitte ihr eine Wohnung und eine Arbeit zu besorgen, da er offenbar der einzige ist, der Kontakt zu ihr aufnahm.
Er drückt sich erst vor einem Besuch, kommt dann aber doch, trifft eine alte, dicke Frau, die auch so riecht und am Tag vor ihrer Entlassung, als er sie abholen will, hat sie sich in ihrer Zelle erhängt.
Die Leiterin zeigt ihm ihre Zelle, sie hat an Hand seiner Cassetten das Lesen und das Schreiben erlernt und sich Bücher von Primo Levi, Elie Wiesel, Jean Amery, aber auch die über die Eichmannprozesse aus einer Spezialbibliothek bringen lassen und sie hinterläßt ihr Geld einer Überlebenen, er soll das Geld, das sich in einer Dose befand, nach Amerika bringen und dann beginnt er über Hanna und sich zu schreiben und man hat eine etwas andere Holocaustliteratur gelesen.
Kann darüber nachdenken, wie es dazu kommen konnte und bekommt vielleicht auch ein bißchen Einblick in die Psyche der KZ-Wärter, die wahrscheinlich oft einfache Menschen waren und vielleicht auch nicht schreiben und lesen konnten. Kann über die Sozialisierung in den Fünfzigerjahre und über den Liebessommer eines Fünfzehnjährigen zu einer zwanzigjährigen älteren Frau nachdenken, die sich als KZ-Wärterin meldete, weil sie verhindern wollte, daß jemand ihren Analphabetismus bemerkte.
Auch so kann man den Holocaust erzählen, denke ich, lese am Buchrücken, daß das Buch in neununddreißig Sprachen übersetzt und zum internationalen Bestseller wurde und bin wieder gespannt, was ich noch von Bernhard Schlink finden und lesen werde.
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