Ich interessiere mich ja sehr für die DDR, die Wende und habe auch einige „Wenderomane“ und auch die, die vorher geschrieben wurden, gelesen. Ein paar davon haben ja auch den deutschen Buchpreis gewonnen oder sind immer wieder auf der LL oder SL gestanden, so daß ich nach dem 19. August öfter auf den Blog über Peter Richters „89/90“ lesen konnte, nicht schon wieder ein Wenderoman und der wird sicher gewinnen oder nicht oder das wollen wir nicht mehr hören.
Ich war dagegen sehr erfreut als mir der „Luchterhand-Verlag“, das Buch gleich als einer der ersten auf meine Anfrage avisierte und nun habe ich mich durch die Erinnerungen eines, der 1989/90 so zwischen sechzehn und siebzehn war, gelesen.
Peter Richter, der mir bis dahin unbekannte Autor, wurde 1973 in Dresden geboren, ist Korrespondent der Süddeutschen in New York und hat schon einige Bücher geschrieben, die auch an mir vorbeigegangen ist.
Wahrscheinlich auch eine Autobiografie, die nichts mit dem Autor zu tun hat, denn da ist im Mai 1989, wo ich noch in Ungarn hörte, daß in der DDR jetzt die Grenzen dicht gemacht werden würde, ein namenloser Ich-Erzähler, ein Schüler der POS, Polytechnische Oberschule, im Gegensatz zur EOS, der erweiterten, die zum Abi führte, in die man aber erst deligiert werden mußte und sich dazu vielleicht schon zu drei Jahren Wehrdienst verpflichten mußte, wie im ersten Teil in den Anhängen erklärt wird, steigt jedenfalls zu Beginn des Buches in der Nacht aus dem Fenste, der Villa, in der er mit seinen Eltern, wahrscheinlich Ärzten, die biografischen Angaben sind da knapp, wohnt, um ins Freibad zu gehen, wo sich nachts die ganze Clique trifft.
Die Straße wird „Rue“ genannt, die Genossen Polizisten „Flics“, obwohl der Franhzösischunterricht erst nach der Wende eingeführt wird, am Morgen trifft man sich verschlafen in der Schule oder am Freitag in den Partnerbetrieben, wo die Schüler auf den realen Sozialismus vorbereitet werden sollen.
Es gibt auch bald eine Wahl, die letzte in der DDR, sollte es werden, da machen die Eltern einen Ausflug in die sächsische Schweiz, am ersten Mai müssen die Schüler die Fahnen schwingen und ein Wehrsportlager gibt es auch.
Dann kommt die Wende, beziehungsweise die ersten Montagsdemonstrationen, die der Erzähler mit seiner Clique staunenden Auges besucht, hat er ja im Freibad zu Beginn L. kennengelernt, die Namen werden abgekürzt, da stimme ich den anderen Blog–Besprechern zu, daß das Lesen etwas schwierig macht.
L. aus Potsdam gerade zugegzogen, ist eine, die ihm frank und frei erklärt mit achtzehn, sie ist fünzehn, wie der Erzähler, in die SED einzutreten.
Wow, in dem liberalen Elternhaus in dem er aufzuwachsen scheint, kennt man das nicht, er schwärmt für Musik, besucht die christlichen Jugendabende und labert über seine Freunde, die alle mit Pfarrerstöchtern aufmarschieren, ja die Mädchen sind mit Fünfzehn sehr wichtig und kommen in Peter Richters Buch ein bißchen schlecht weg, wie ich finde.
Werden „Schnecken“ genannt, aber dieser DDR-Ausdruck, wird nach der Wende auch bald abgeschafft.
Es kommt jedenfalls der neunte November, da war bei mir, glaube ich, mein Geburtstagsfest und er marschiert mit der maulenden L über die Grenze, um sich seinen Begrüßungshunderter abzuholen.
Köstlich die Szene, wahrscheinlich, die beste im ganzen Buch, L. weigert sich sich da anzustellen, er sagt, wir müssen, müßen wir ja den Bus bezahlen. Da will sie lieber laufen, aber der Busfahrer wechselt, wie soviele andere den neuen Hunderter nicht, zeigt nur auf das Schild, „Für Leute mit DDR Ausweis gratis“ und der neue Hunderter und die DDR-Anoraks und „Schimmeljeans“ ersetzen offenbar den Ausweis. In Kreuzberg bekommen sie kein Bier für ihr Geld, das er dann im Osten noch eins zu sieben umtauscht und in den Ost Kneipen ein oder öftermal gut essen geht.
Dann kommt Kohl vor die abgebrannte Frauenkriche, spricht die Leute mit „Liebe Mitbürger!“ an und plötzlich sieht man die DDR-Jungens, die ja vorher für den Frieden mit Waffen erzogen wurden, als Skinheads mit den billigen für den Begrüßungshunderter gekauften Jacken und Irokesen herumlaufen. Ein paar Punks mit Dreadlock gibt es auch, er gehört dazu und wird ab nun im Bus oder sonst wo angemacht, zusammengeschlagen, etc.
Man geht „Fidschi klatschen“ und als er einmal mit einem Freund in die CSSR fährt, sieht er im Niemandsland die Stände der Vietnamnesen, die dort das Rüstzeug dafür verkaufen.
Er fährt im Sommer 1990 mit ein paar Freunden auch nach Bulgarien, das wird auch ein Reinfall, die DDR Mark wird dann, 2 zu 1, glaube ich, in Westgeld umgetauscht, es kommt der zweite Oktober, da will er, glaube ich, mit selbstgebastelten Molotow-Cocktails die Einheit verhindert. Verhindert wird das, durch seine Mutter, die ihm einen Motorradhelm bringt, damit der Kopf schön warm bleibt und am übernächsten Tag muß er ohnehin zur Schule, denn das Abi ist auch in Zeiten wie diesen wichtig.
Da ist er wieder übermüdet, so bleibt bei der Matheschularbeit das Blatt leer, der Lehrer, der endlich kündigen darf, in Zeiten der DDR durfte man das offenbar nicht, hilft ihm dabei und die Staatsbürgerlehrerin, die ihren Schülern auch mal fragte für welche Freiheit sie da kämpfen? Für die gegen das recht auf Arbeit, freie Bildung?, etc, wurde dann schon in die Küche und zur Essensausgabe strafversetzt.
Trotzdem waren es für die Sechszehnjährigen wahrscheinlich „Wunderbare Jahre“, wenn auch anders, als in dem Kunzschen Sinn.
Am Schluß gibt es einen Epilog, der erklärt, was aus den Freunden geworden ist, einer hat sich erhängt, einige wurden Immobilienmakler, Peter Richter ist nach New York gegangen und steht jetzt auf der LL des Buchpreises, spannend ob er es auf die Shortlist, die ja bald bekanntgegeben wird, schafft?
Interessant ist auch, daß das Buch, wie der „Turm“ offenbar in Dresden handelt, den ich 2008 ja zweimal geschenkt bekommen habe und dann sehr sehr langsam gelesen und noch nicht wirklich besprochen habe.
Ein „Turm“ von unten würde ich sagen, aus der Sicht eines Jugendlichen geschrieben, für den sich die Welt von einem Tag zum nächsten komplett ändert und der es, wie wahrscheinlich alle Jugendlichen, Mädchen und Musik im Kopf, trotzdem vielleicht genoß.
Jedenfalls ist der Ton sehr flapsig und das Buch daher leichter zu lesen und zu verstehen als der „Turm“.
Irgendwo habe ich auch gelesen, daß es ein Buch für die ist, die sich nicht mehr an DDR erinnern und daher nachlesen können, wie es damals war.
KLingt interessant. Erinnert mich an meine Kindheit in Pankow. Da gabs ja auch ein Freibad. Ich glaube, es werden noch sehr viele Wenderomane geschrieben werden, weil der Abstand erst jetzt groß genug wird.
Kommentar von ruthherzberg — 2015-09-13 @ 23:15 |
Ist es auch, ich persönlich habe auch nichts gegen Wenderomane, was vielleicht noch fehlt, wäre ein Wenderoman von einer „Roten Zora“, da ich in letzter Zeit ja lesen konnte, daß die starken Frauen gewünscht sind.
Ronja von Rönne wird ja keinen schreiben können, weil sie dazu zu jung ist, aber das war es ein bißchen was mich an dem Buch störte, daß es aus der pubertierenden Männerperspektive geschrieben wurde.
Mal sehen, ob es auf die Shortlist kommt?
Kommentar von jancak — 2015-09-13 @ 23:55 |