Literaturgefluester

2016-08-20

Als gäbe es mich nicht

Jetzt kommt ein Buch aus dem „Aufbau-Verlag“, die neu herausgekommene Taschenbuchausgabe von Slavenka Drakulics „Als gäbe es mich nicht“, 1999 möglicherweise im schwedischen Exil geschrieben, denn die 1949 in Kroatien geborene Autorin, die in Kroatien, Wien und Stockholm lebt, hat über den Krieg geschrieben, beziehungsweise über die Traumatisierungen und Verletzungen, die man dort unschuldig erlebt und gipfelt vorsichtig in der Frage, wie das dann mit dem Weiterleben, dem Verzeihen, dem Vergessen, dem Wiederanfang ist?

S. ist eine junge bosnische Lehrerin, die im Februar 1993 im Stockholmer Karolinska Krankenhaus liegt und einen Sohn auf die Welt bringt, den sie nie sehen und ihm auch keinen Namen geben will, denn er ist die Folge einer Vergewaltigung im Lager, in dessen „Frauenraum“ man S. aus ihrem Dorf, wo sie aushilfsweise unterrichtet hat, gebracht hat.

Jetzt liegt sie da in den hygienisch sauberen weißen Krankenhauslaken und denkt über ihr Leben nach. An die Stunden in Sarajevo, wo sie mit ihren Eltern und der Schwester lebte, an das Ausgehen am Wochenende, die heimlichen Küße, etcetera.

Dann kam der Krieg,  die Eltern und die Schwester sind aus ihrem Haus weggeholt worden. S., es gibt in dem Buch nur die Anfangsbuchstaben der Namen, was das Lesen etwas schwer macht, wohl aber die Distanz und vielleicht auch die gebotene Anonymität ausdrückt, war da schon im Dorf am Land und kochte gerade Kaffee, als ein Soldat erschien und sie zur Sammelstelle brachte.

Sie bietet ihm davon an und packt schnell ihre Sachen in einen Rucksack, die schönen Schuhe mit denen sie vielleicht tanzen war, ein rotes Kleid, Schmuck, ein Fotoalbum, ein Heft, denn sie ist ja Lehrerin.

Sie wird mit anderen Frauen in einem Bus ins Lager gebracht, kommt dort in den „Frauenraum“, ihr Schmuck wird gestohlen, später erährt sie, daß es eine Frau aus dem Nachbardorf war, die ihre Tochter damit schützen wollte, was ohnehin nicht gelang.

Denn nichts gelingt in dem Lager, wo man seine Würde verliert und von den Männern hört, die sich ihre eigenen Gräber graben, erschossen und die Leichen verbrannt werden, so daß ihnen am Morgen vom Geruch schlecht wird.

„Regt euch nicht auf, es wird nur Müll verbrannt!“, sagt die zahnlose Wächterin, die ihre „Mädchen“ an sich liebevoll versorgt und ihnen auch mal Seife und Leckerbissen bringt. S. findet eine Schminktasche und beginnt sich grell zu schminken, denn wenn man es „freiwillig tut, verliert man seine Würde nicht!“

Die anderen verstehen diese Dissoziationsversuche nicht und sind entböhrt und weil S. eine gebildete Frau und aus der Stadt ist, darf sie wöchentlich zum Kommandanten, bekommt besseres Essen, etcetera.

Sie wohnt auch einer Geburt bei und sieht, wie die Großmutter, das Kind ihrer vergewaltigten Tochter sofort in einen Sack steckt und vergräbt. Da bekommt sie eine Ahnung, daß sie vielleicht auch schwanger sein könnte, denn sie hatte schon lange ihre Regel nicht, ist auch etwas dicker geworden.

Gewißheit kommt erst im Zagreber Flüchtlingslager, in das man sie bringt, die Ärztin, die ihr Entsetzen sieht, tröstet sie mit der Möglichkeit einer Adoption, denn sie ist schon im fünften Monat, für eine Abtreibung also zu spät.

Sie stellt einen Ausreiseantrag nach Schweden, spricht dort mit einer Psychologin, bekommt eine Bestätigung, daß sie das Kind weggeben und nach der Geburt nicht sehen will.

Die Schwestern an der Entbindungsstation verstehen sie aber nicht oder es kommt zu einem Mißverständnis.

Das Bettchen mit dem kleinen Knaben steht jedenfalls neben ihr, er wird ihr auch an die Brust gelegt, sie weigert sich zu stillen, obwohl die Milch ausschießt. Die Nachbarin erbarmt sich seiner, aber dann in der Nacht, als er schreit, nimmt sie ihn doch zu sich, legt ihm an und die Tränen schießen ihr über das Gesicht.

So endet das dünne zweihundertzwanzig Seiten Buch, das berührt und sehr beeindruckend ist.

Denn das alles ist in den Neunzigerjahren, als ich täglich mit dem Zug von St. Pölten nach Wien fuhr, um meinen Vater zu betreuen, geschehen.

Die Flüchtlinge aus dem Balkankrieg hat man gesehen und hat davon gewußt oder auch nicht, daß die Frauen massenhaft vergewaltigt wurden, damals vielleicht noch nicht so sehr.

Slavenka Drakulic, von der ich schon „Das Liebesopfer“ gelesen hat, erzählt das alles in einer sehr schönen dichten Sprache, bei der immer beeindruckende Wendungen auffallen.

„Und nur das Blut ist wichtig, das rechte Blut der Soldaten gegenüber dem falschen Blut der Frauen“ oder „Für S. ist klar, auch jene sind Gefangene, ohe Individualität, ohe Gesicht. Ihre Körper, ihr Wille gehören ebenfallls nicht ihnen, sondern der Armee, dem Anführer, der Nation“, die aufhorchen und nachdenken lassen.

„Was kann das Kind dafür?“, fragt, G. eine ehmalige Schulkollegin, die  am Stockholmer Flughafen die Angekommenen empfängt und dolmetscht. Sie nimmt sie zu sich in ihre Wohnung, besorgt ihr eine Aufenthaltserlaubnis, eine Wohnung und kümmert sich um sie und klar, das Kind kann nichts dafür und ist auch nicht Schuld an dem Krieg und all dem anderen Elend der Welt.

Ein leichtes Leben wird es wahrscheinlich trotzdem nicht haben, egal, ob es in einer Stockholmer Adoptivfamilie oder doch bei seiner Mutter, die mit ihren Traumatisierungen fertig werden muß, aufwächst.

Ein beeindruckendes Buch und sehr zum Lesen zu empfehlen, vor allem jeden, die meinen, daß es jetzt siebzig Jahre bei uns keinen Krieg gegeben hat, würde ich es an das Herz legen und es war auch interessant für mich, da ich ja erst vor kurzem nach kroatischer Literatur gesucht habe und da schon daraufgekommen bin, daß die nicht so leicht zu finden ist, weil die kroatischen Autoren oft in Serbien geboren sind oder ihre Geschichten in Bosnien oder Slowenien handeln und es ist vielleicht auch nicht so ganz geeignet, als Einstiegslektüre für meinen neuen Sommerroman oder doch vielleicht, denn ich bin ja erst durch Bosnien gefahren, wo alles frisch aufgebaut wird und die Kriegsspuren und die Verwüstungen, vielleicht doch zu sehen sind und der junge Mann wäre jetzt dreiundzwanzig Jahre alt und da S. ja nicht nur ein Einzelschicksal war, sondern das damals vielen Frauen so passierte, bin ich ähnlichen jungen Männern und Frauen höchstwahrscheinlich auch schon begegnet.

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