Literaturgefluester

2016-11-09

oder so

Filed under: Bücher — jancak @ 00:21
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Zur Abwechslung nach all dem Buchpreis- und Debutlesen, das in der letzten Zeit ja sehr politisch war, jetzt ein bißchen Lyrik, die mir Anita Keiper, vor cirka einem Monat überraschend in das Haus schickte, nämlich den  14. Lyrikband, der neuen „Keiper Lyrik-Reihe“, die von Helwig Brunner herausgegeben und kommentiert wird.

Die „avagardistischen Textminiaturen“ von Petra Ganglbauer habe ich ja vor einiger Zeit gelesen, bei der  1937 in Dessau geborenen und seit 1985 in Berlin lebenden Ingeborg Görler, die als Volksschulllehrerin und Journalistin gearbeitet und schon mehrere Gedichtbände herausgegeben hat, wird es naturgemäß etwas traditioneller.

Helwig Brunner spricht in seinem Nachwort von „inhaltlicher Aussagekraft und unaufgeregter aber intensiver Bildsetzung“, meint, daß es bei ihr „kaum noch gebräuchliche Vokabel, wie „Blattwerk, Krumen, Dickicht und Gestirn“ gibt, daß sie  aber immer wieder mit Wendungen, wie beispielsweise „Den Apfelkern legen wir in ein Stück unerprobter Erde“ überrascht.

Vier Kapitel oder Abteilungen hat das sechsundneunzig Seiten Buch, „Und du wirst dem Nichtgemeinen bald  begegnen“, „Man fängt jeden Morgen bei Null an“, „Nach sieben Jahren sehen wir uns dann wieder“ und „Der Tag und der Tag danach“.

„Letzen Endes“ heißt das Gedicht, das der zweiten Abteilung seinen Namen gibt:

„Man fängt jeden Morgen bei Null an und zählt jetzt leiser vor jeden Schritt auf den Gipfel zu.“

Das ein Gedicht hat, das mich sehr an Elfriede Gerstl erinnert „ein Baum werden vögel zu gast haben  das wär was worauf man sich freuen könnte“– heißt es ja da in „schöner tot“ sein. Während Ingeborg Görler in  „Verwurzelung“ schreibt:  „Sich vorstellen ein Baum zu sein. Und bei der Vorstellung nicht sofort an Fotos aus Kriegs oder Umweltreportagen denken-“

Überraschung gibt es auch in der dritten Abteilung, bestehen die „sieben Jahre“ doch aus den sechzehn  namengebenden „Oder so- Gedichten“:

„Mal an einen Engel glauben- nicht in Not, aus reinem Überfluß“ oder „Wenn schon, dann alles schwarz sehen! Und glauben, dies sei eine neue Epoche der Kunst-“ oder „Zum Schluß das Haus bestellen, quasi besenrein.“

In der Abteilung vier begegnen den Wörtern:

„DIE FARBE DER WÖRTER genau aufs Papier setzen, sie auslaufen lassen, heller und heller, bis jedes Wort weiß, es ist zu Ende und die Farbe ausgesagt.“

„DIE WÖRTER VOM ABEND angereichert durch Schlaf und Mond, stehen am nächsten Morgen ums Bett: Wald mit Lichtung. Deren Getier im Tag zutraulich bleibt oder flieht.“

Und dann gibt es noch die „LETZTEN WÖRTER auf dem Dezemberfeld. Zu ernten nach dem ersten Frost. Fürs Eisgericht.“

Man sieht, es sind kleine feine Miniaturen, in die uns da die alte Dame führt, die trotz aller Tradition Witz haben, ungewöhnlich sind und auch eine sehr überraschende Übereinstimmung mit einer avantgardistischen Wienerin bringen, die kurz einmal sogar der Wiener Gruppe angehörte.

Berlin grüßt Wien könnte man so sagen und „Baumkronen“ gibt es bei Ingeborg Görler, die, wie noch aus ihrer Biografie zu ersehen ist, mit Vorlieben in ländlichen Grundschulen gearbeitet und auch längere Reisen nach Brasilien und Fernost machte, auch:

„WER IN BAUMKRONEN groß geworden ist, von Ast zu Ast, weil unbewohnbare Häuser fehlten, sollte sich nicht wundern, wenn er es  zwischen Möbeln schwer aushält und seine Habe am Körper tragbar bleibt.“

Trotzdem lebt die alte Dame seit dreißig Jahren in Berlin und verschafft sich auch, wie  Helwig Brunner weiterschreibt „im Überangebot der pulsierenden Literaturstadt Gehör über die Grenzen der Stadt und Deutschland hinaus.“

Und Dank Anita Keiper habe ich nach all dem pulsierenden lauten oder leiseren Buchpreislesen jetzt eine literarische Endeckung gemacht und eine für mich neue lyrische Stimme kennengelernt.

3 Kommentare »

  1. Liebe Frau Jancak,

    alles Gute zu ihrem heutigen Geburtstag. Beim Lesen ihres Blogs ist mir ein Satz aufgefallen, der mir sehr gefällt. Dieser lautet: „Man fängt jeden Morgen bei Null an und zählt jetzt leiser vor jeden Schritt auf den Gipfel zu.“ Wissen Sie Frau Jancak, warum auf einen Aufstieg ein Abstieg kommt? Werner Schneyder meint dazu, oder ich habe von ihm gehört im Radio, wo sonst. Die Antwort: Da sonst die Gipfel übersäht wären von lauter erfrorenen Bergsteiger, daher kommt auf einen Aufstieg ein Abstieg!

    Alles Gute nocheinmal und weiterhin viel Freude beim Bloggen!

    Ihr
    „Reblogger vom Dienst“
    Manfred Lagler-Regall

    Kommentar von Manfred Lagler - Regall — 2016-11-09 @ 10:26 | Antworten

  2. Vielen Dank, daß Sie sich das gemerkt und an mich gedacht haben! Ich habe mich schon gewundert, wo Sie so lange geblieben sind, sind Sie ja ein sehr eifriger Kommentierer!
    Haben Sie Lust am Freitag zu meinem literarischen Geburtstagsfest, wo unter anderen auch Doris Kloimstein lesen wird, zu kommen?
    Wenn ja, schicken Sie mir am besten ein Mail für weitere Informationen oder sprechen sich mit Doris Kloimstein ab!

    Kommentar von jancak — 2016-11-09 @ 10:36 | Antworten


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