Der „Wagenbach-Verlag“ ist unter anderem ein Spezialist in italienischer Literatur. Da habe ich mir vor Jahren im Abverkauf bei der Buchlandung auf der Mariahilferstraße, eine Reihe ein Euro Büchlein gekauft und noch nicht sehr viel davon gelesen.
Der Alfred hat mir einmal einen Spezialband geschenkt und seit einem halben Jahr bekomme ich auch vom Verlag Bücher angeboten, habe da ein sehr interessantes Debut entdeckt und jetzt auch etwas Italienisches gelesen.
Den neuen Roman der 1972 geborenen Sardin Michela Murgia und ich fühlte mich in die Zeiten eines Alberto Moravia versetzt, von dem ich ja auch einiges gelesen habe und kann nur staunend feststellen, daß die italienische Literatur offenbar etwas Besonderes ist, wo es knarscht und knistert voll geheimnisvoller Erotik, auch wenn die Autorin eine fünfundvierzigjährige Frau ist und in dem Buch Handies, SMS und blaue Fingernägel vorkommen.
Zum Glück tun sie es, denn sonst würde ich mich im Rom eines Alberto Moravia wähnen oder in Sizilien oder bei „Erica und ihren Geschwistern“ und es ist ein Buch mit vielen Fragezeichen.
Noch nie habe ich in eines soviele Fragezeichen hineingemacht, wie in diesen, wo es um die Beziehung einer achtunddreißigjährigen Schauspielerin zu ihrem achtzehnjährigen Schüler geht.
Die, die jetzt wissend nicken und „Aha!“, sagen, kann ich belehren, sie wissen nichts, denn darum geht es nicht.
„Um was geht es dann?“, wird man nun fragen.
Um das Knistern und die Spannung, die geheime Erotik, die heutzugtage vielleicht gar nicht so nötig wäre und auch, um das viele andere, was man nicht braucht oder doch. Doch nattürlich und das ist so wichtig, daß man dafür Lehrer braucht und die Schauspielerinnen sich Schüler halten.
Denn Chiru, der Achtzehnjährige ist Musikstudent, wozu braucht er also eine Schauspielerin als Lehrerin? Für den Sprechunterricht?
Nein, denn dieses Schüler-Lehrertum, von dem ich nicht sicher bin, ob es das tatsäöchlich in Italien gibt oder gab, ist eine Art Mentorentum oder auch nicht wirklich.
Eleonora soll Chiru in das Leben und in die Gesellschaft einführen. Und sie hat im Laufe ihres achtunddreißigjährigen Lebens schon einige solcher Schüler gehabt, drei um genau zu sein und sie waren alle jünger als Chiru. Deshalb ist ihr Ex-Geliebter Fabrizio auch besorgt und rät ihr davon ab, ihn anzunehmen, als sie ihm davon erzählt. Auch das ist etwas was ich nicht verstanden habe, was ist das Risiko daran?
Eleonora, die Ich-Erzählerin ist jedenfalls eine scharfsinnige Frau, die schon als achtjährige, das Unglück dieser Welt erkannte und es gibt ein paar sehr eindrucksvolle Szenen in den Buch, in eben diesen Moravia-Ton, würde ich meinen, die das belegen.
So hat Eleonra mit acht ihre Unschuld verloren, als sie mit Papa und Mama und dem älteren Bruder in dem Dörfchen, wo sie groß wurde, auf ein Fest ging und dort nicht den Eiswagen bekam, den sie sich wünschte, während der Bruder selbstverständlich, die Spritzpistole bekam.
Warum der Vater, das verwehrte habe ich auch nicht verstanden und auch nicht die Bedeutung darum herum.
Eleonora hat sich das Spielzeug aber offenbar selber gekauft, denn es steht jetzt in der Wohnung der erwachsenen Frau und es gibt noch so eine beeindruckende Sezne.
Das ist Eleonora schon über zwanzig, trägt ein schwarzes Kostüm und geht vorsprechen. Nachher wird sie von dem Regisseur zu einem Sushi-Essen eingeladen. Sie hat aber noch nie mit Stäbchen gegessen, kann es nicht, ist ungeschickt dabei, der Fisch fällt auf den Tisch oder auf den Boden und die Peinlichkeit beginnt.
Zwei wirklich sehr eindrucksvoll geschilderte Szene, obwohl mir die Bedeutung darum herum, wohl etwas zu pathetisch war. Denn natürlich muß man in Sardienien erst mit Stäbchen umgehen lernen, wenn man zu Hause mit Spaghetti aufgewachsen ist.
Eleonora entscheidet sich jedenfalls ihren Schülker anzunehmen und geht mit ihm in ein Stoffgeschäft, um ihn die unterschiedlichen Satmsorten anfassen zu lassen. Sie geht mit ihm auch auf Parties und dann geht sie auf eine Tournee nach Stockholm, Prag und noch wo anders hin.
Da soll er eigentlich mitkommen, aber in Stockholm beginnt sie ein Verhältnis mit dem dortigen Operndirektor Martin de Lorraine. Der war schon auf der Party in Italien und Chriu, der nicht wußte, daß er ein Operndirektor war, war unhöflich zu ihm.
Jetzt will der Eleonoras „Patensohn“ zum Vorspielen einladen, sie wehrt aber ab und als sie Chiru in Florenz dann doch trifft, bittet er sie darum und sie nennt das genauso „ungehörig“, wie ihr damals der Vater den Wunsch nach dem Spielzeug versagte.
Es gibt dann noch eine Schlußszene, wo Eleonora mit dem Direktor in einem Restaurant ißt und Chiro dort mit einen anderen Direktor trifft und den beiden auch das Essen bezahlt und als Martin Eleonora fragt, ob das ihr Patensohn war, schüttelt sie den Kopf und verleugnet ihn.
Es tut mir leid, das war mir wohl zu viel bedeutungsschwangere und zu geheimnisvolle Erotik, beziehungweise eine solche, die ich in Zeiten, wie diesen eigentlich für unnötig und schon überwunden halte.
Vor ein paar Jahren habe ich Alberto Moravias „Romerin“ gelesen, die mir eigentlich ganz gut gefallen hat. Denn sie spielt ja in einer vergangenen Zeit, wo die armen Mädchen vielleicht wirklich nicht anders konnten, als sich und ihren Körper zu verkaufen.
Vor einem Jahr habe ich „Mimikri-das Spiel des Lesens“ gelesen und da sollte der Roman erraten, beziehungsweise umgeschrieben werden und ich war erstaunt, als der Autor oder Gastgeber ihn sehr kitschig nannte.
„Nein!“, habe ich gedacht.
„Das war eben damals so!“
Jetzt lese ich einen Roman von einer fünfundvierzigjährigen Frau, die sich genauso in geheimnisvollen Andeutungen übt und lese am Buchrücken, daß das den Kritiker gefallen hat und sie den Roman auch sehr loben.
Ich denke, die Zeit der erotischen Spielchen ist oder sollte vorbei sein und habe vor einigen Jahren auch einen italienischen Roman gelesen, der einer anderen Tradition entstammte, womit ich mir leichter tat.
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