Literaturgefluester

2018-06-13

Stadt ohne Seele

Filed under: Bücher — jancak @ 00:38
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Jetzt kommt wieder ein Roman, der keiner ist, steht doch am Buchrücken von Manfred Flügges „Stadt ohne Seele- Wien 1938“, bei „Aufbau“ erschienen, vollmundig Zeitroman.

„Zeitpanorama“ wäre wohl passender, denn  das vierhundertsiebzig Seiten Werk des 1946 geborenen Romanisten und Historikers, der heute als freier Autor und Übersetzer in Berlin lebt, ist eine sehr genau Beschreibung der Stadt Wien, um den Anschluß. Die Geschichte, wie es dazu gekommen ist, wird erklärt und die Theorie untermauert, daß es mit den Auszug der Juden aus der Stadt, seine Seele, also seine geistige, musische, kulturelle, literarische, etcetera Hoheit verloren hat.

Das sieht eine 1953 in Wien geborene und in die 1968 Bewegung und die Wiener Avantgarde hineinsozialisierte Wienerin vielleicht ein bißchen anders, aber das Wien um 1938, der Anschluß und das, was vorher und nachher kam, hat mich schon immer sehr interessiert.

Ich habe schon einiges darüber gelesen und bin auch schon bei einigen Veranstaltungen der „Wien-Bibliothek“ gewesen, die sich ja gerade sehr intensiv mit dem Anschlußjahr beschäftigt und auf diese Art und Weise bin ich auch auf das Buch gestoßen, das ja am 15.Mai dort vorgestellt wurde.

Es gibt zwanzig Kapitel und einen sehr ausführlichen Anhang und im ersten wird ein bißchen was dazu erzählt, was an diesem Anschlußtag in Wien passierte, wann und wie Hitler nach Wien gekommen ist und wie es dort aussah.

Dann geht es erst einmal in die Vergangenheit. Denn der Antisemitismus war schon vor 1938 ein großes Thema und der Journalist Hugo Bettauer der im März 1925 von Otto Rothstock ermordet wurde, hat ja in „Die Stadt ohne Juden“ schon 1922 einen sehr erfolgreichen Kolportageroman zu diesem Thema geschrieben, der, glaube ich, auch verfilmt wurde.

Darin beschreibt er die Utopie, daß Wien ohne Juden bald den Bach hinunterginge, denn was täten die Frauen und die süßen Mäderln ohne die finanzstarken jüdischen Männer und nimmt auf sanft humoristische Art und Weise viel positiver vorweg, was später zur Horrorvision wurde.

1938 recherchierte Flügge lebten in Wien 170 00 Juden, vorwiegend in der „Mazzesinsel“, im zweiten Bezirk, die ärmeren, im neunten die bürgerlichen, wie Sigmund Freud, ergänze ich.

„1945 waren es noch 6000. Im Holocaust kamen mehr als 65 000 Wiener Juden um. Außer Landes gegangen waren etw 130 000.“

Dann geht es zur Geschichte. Im November 1918 wurde ja die erste Republik ausgerufen und die „Kaiserfamilie reiste am 23. März 1919 nach einer Messe mit dem Absingen der Kaiserhymne in die Schweiz.“

Der Adel wurde verboten, die Habsburger enteignet, obwohl sowohl der damalige Kaiser Karl, als auch Otto von Habsburg nie auf ihren Thronanspruch verzichtet haben.

„Bei den Neuwahlen im Februar 1919 durften auch erstmals  Frauen abstimmen.“

Es gab dann kurze Zeit das rote Wien, mit dem kommunalen Wohnbau, den schönen Gemeidebauten, dann kam es zum Austrofaschismus und 1934 und zu  Engelbert Dollfuß, der wie Manfred Flügge schreibt,“gern den starken Mann markierte und Uniform trug, obwohl er von Statur eher klein  war und daher auch „Taschenkanzler“ oder „Minimetternich“ genant wurde.“

Der wurde, die NSDAP wurde ja in Österreich am 19. Juni 1933 wegen terroristischer Aktivitäten verboten, wonach Deutschland die 1000 Mark Sperre erließ, was Österreichs Fremdenverkehr sehr beeinträchtigte, weil die Deutschen nicht mehr auf Urlaub und zu den Festspielen kommen konnten,  im Juli 1934 von den Nazis ermordet. Dann wurde Kurt Schuschnigg Bundeskanzler, der auch sehr autoritär regierte.

Im Kapitel „Roman der Seele“ werden einige Romanautoren genannt, die in den zwanziger und dreißiger Jahren in Wien gewirkt und geschrieben haben. Franz Werfel, von dem ich ja auch einige Bücher gelesen habe, hat sich mit der Frage beschäftigt, wie es nach dem Verfall der Monarchie mit dem kleinen Land weitergehen kann. Das hat meines Wissens nach auch Joseph Roth getan, der aber erst später erwähnt wird, wohl aber Werfels „Veruntreuter Himmel – die Geschichte einer Magd“, den er im Exil geschrieben hat.

Roberts Musils „Mann ohne Eigenschaften“ in dem es um die Parallelaktion, eine gemeinsame Feier Deutschlands und Österreichs geht, ist nie fertig geworden und der Autor mußte, glaube ich, auch emigrieren und ist im Exil gestorben.

Dann sind wir schon bei Sigmund Freund, den Flügge zwei Kapitel widmet, man sieht es ist eigentlich ein Buch, das eher Wien vor als nach 1938 schildert.

Freud hat den größten Teil seines Lebens, bevor er nach London emigrieren mußte, in Wien verbracht und in der Berggasse, die meisten seiner Werke geschrieben. Er lebte dort mit seiner Frau Martha und seiner Tochter Anna, hatte einige Hausangestellte, wie das katholische Dienstmädchen Faula Fichtl, ein Pendant zur Teta Linek, in Werfels Roman, wie Flügge meint

Den „Mann Moses“ hat er auch geschrieben und einige seiner Schüler wie C. G. Jung verloren, der sich nach dem Anschluß antisemitisch über Freud äußerte. Aber der hat seine Werke in sein Exil mitgenommen.

„Hitlers Wien Lüge“, wird anhand einiger Bücher, darunter auch dem von Brigitte Hamann analysiert. Denn der hat sich in „Mein Kampf“ offenbar ganz anders dargestellt, als er und es wirklich war.

Er war, wie Flügge analysiert, eigentlich gar nicht so antisemitisch eingestellt, hat viel von den Juden, die seine Bilder kauften, seine Mutter behandelten und ihm in den Wohltätigkeitsküchen versorgten, profitert, so daß er erst, weil er es für seine Politik brauchte, dazu mutierte. Er war auch ein großer Wagner Fan, ist viel in die Oper gegangen und hat Karl May geliebt.

In „Winterspiele“ werden die Ereignisse vom Februar 1938 geschildert. Bundeskanzler Schuschnigg fährt nach Berchtesgarden zu Adolf Hitler und wird dort schlecht behandeltn, die illegalen Nazis mehren sich in Wien, Seyß-Inquart wird Innenminister. Schnuschnigg bereitet für den 13. März eine Volksabstimmung vor, die Hitler mißfällt. So kommt es dann zu der berühmten Radiorede „Gott schütze Österreich!“ und es wird in der „Verhängnisvollen Frühlingsnacht“ einmarschiert.

Schuschnigg, der sich nicht auf den Flughafen oder in eine Gesandtschaft, sondern nach Hause bringen läßt, wird dort in „Ehrenschutz“ genommen, kommt später in das berühmte Hotel Metropol und bleibt bis zum Ende des Krieges Schutzhäftling in verschiedenen KZs. Später emigriert er nach Amerika, während in Wien nach dem zwölften März, die Reibpartien beginnen, die sogar von der SS als „Schweinereien“ bezeichnet werden.

Es kommt zu Verhaftungen und Misshandlungen. Egon Fridell stürzt sich aus dem Fenster, der Textdichter von Franz Lehar, der während des Krieges seine Karriere beibehielt, Friedrich Löhner- Beda kommt nach Auschwitz und wird dort ermordet, wie noch viele andere jüdische Künstler, wie Fritz Grünbaum, Peter Hammerschlag umgekommen sind oder ins Ausland, wie Karl Farkas fliehen mußten, wie Manfred Flügge im Kapitel „Wiener Requiem“ genau aufzählt.

Die Verwaltung geiet, wie man auch an der Ausstellung sehen kann, sofort in deutsche Hände, Juden wurden entlassen, die Theater wurden dazu einige Zeit geschlossen, bis sie ihren Spielplan anpassen konnten. Karl Böhm machte Karriere, die Familie Wessely-Hörbiger spielte sich durch die Unterhaltungsfilme und am Burgtheater, Josef Weinheber schrieb hymnische Texte an Hitler, während die anderen emigrieren mußten.

Im Kapitel „Amputierte Lebensläufe“ werden dazu Beispiele auch nicht so Berühmter aufgezählt. Zu den Berühmteren gehörte der Josefstadtdirektor und Autor Hans Lothar von dem ich ja außer dem „Engel mit der Posaune“, Paula Wessely spielte da in dem nach dem Krieg gedrehten Film, die Hauprolle, auch die „Mühle der Gerechtigkeit“ gelesen habe, er emigirierte mit seiner Familie und kam später als Kulturoffizier zurück und hat auch Romane über diese Zeit geschrieben.

Die Schicksale der Nobelpreisträger werden aufgezählt, die haben außer Konrad Lorenz das Land vefrlassen.  Ernst Schrödinger  schien sich ambivalent und das „Ja“ zur Volksabstimmung, empfohlen zu haben. Der Medizinpreisträger Otto Loewi mußte erst sein an der schwedischen Bank deponiertes Nobelpreisgeld den Deutschen übergeben, bevor er ausreisen konnte.

Im Juni reist Sigmund Freud mit seiner Familie, Paula Fichtl und seinen Ärzten, er ist über zweiundachtzig und schwer krank, auf Vermittlung von Marie Bonaparte und Ernest Jones nach London und wird dort triumphal empfangen, während seine Schwestern nach Theresienstadt deportiert wurden und umkamen. Und Wien ging, wie Manfred Flügge auf den letzten Seiten scheibt „nicht ur die Seele verloren. Es fiel auch die letzte Zuflucht der deutschen Geistesfreiheit, ein Gipfel an Kritik,Kreativität, Wissen, Philosophie und Wagemut, dazu eine ganz eigene Art des Humors….Und wenn seither immer wieder die Bäume blühen in den Wiener Gärten und Parks und die sorgenlösenden Walzer ihre Unschuld wiedergefunden haben, so treten im erinnerten März nicht nur frische Zweige hervor, sondern oft genug auch Zweifel und Schatten.“

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