Nun kommt Teil eins der sogenannten „Neapolitanischen Saga“, Elena Ferrantes Tetralogie über zwei Mädchen, die im ärmlichen Nepael der Neunzehnfünfziger- und sechzigerjahre aufgewachsen sind, die sie, wie ich „Wikipedia“ entnahm, nicht so genannt haben will und sie will auch ihre Identität, die, glaube ich, inzwischen enthüllt oder auch nicht so ganz ist, nicht outen.
Im Sommer 2016, als ich gerade mein zweites Mal Buchpreis gelesen hat, hat der erste Teil der vier Bücher, die die Kindheit und die Jugend der beiden Freundinnen Lina und Lenu beschreiben „Meine geniale Freundin“ in die Buchwelt eingeschlagen und es war neben Han Kangs „Vegetarierin“, die Bestseller der Saison, die man plötzlich lesen sollte.
Die „Vergetarierin“ habe ich gelesen, Elenas Ferrantes Saga ist an mir vorbei gegangen, wahrscheinlich habe ich gedacht, daß ich bei „Wagenbach“ und auch bei Alberto Moravia schon genug über das Italien der der frühen Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts gelesen habe, vielleicht hat es sich auch nicht ergeben. Denn meine Leseliste ist ja lang und das doppelte Buchpreislesen, das es damals zum ersten Mal gab, hat mich voll ausgelastet.
Im Jahr 2017 sind dann die anderen Bände der Lebensgeschichte der zwei Frauen, Elena Ferrante, will es glaube ich, so genannt haben, erschienen und heuer glaube ich auch noch Buch, das sich darauf bezieht.
Ich bin im vorigen Mai mit dem Alfred und der Ruth um den Bodensee geradelt und weil wir sie dazu anläßlich ihres Geburtstags eingeladen haben, hat sie sich veranlaßt gesehen, als wir in Überlingen, glaube ich, in einer Buchhandlung standen, mich gefragt, ob ich das Buch schon gelesen habe und es haben will?
Da kann ich bekanntlichermaßen ja nie „Nein!“, sagen, obwohl ich mich erinnern kann, daß ich zu dem danebenstehebenen „Kraft“ schielte, aber nicht sagte“Eher das!“, aber das habe ich inzwischen auch gelesen, weil es auf der 2017 Buchpreisliste stand und es hat mir gar nicht so gefallen und da ich jetzt bevor die August- Neuerscheinungen und die neue Buchpreisliste erscheinen, die mich wahrscheinlich noch vollkommener von meiner Leseliste abhalten werden, wie es in den letzten Jahren geschah, ein bißchen verzweifeltes Backlistauflesen, wie ich das jetzt nennee und da kam jetzt, nachdem die Geburtstagsbücher gelesen sind, eben Elena Ferrante dran, war es ja ein Geschenk und sollte dementsprechend beachtet werden.
Vorher habe ich noch im Rahmen des „Hotel–Reihe–lesens“, das ich jetzt wahrscheinlich doch nicht vollständig betreiben werde,ich mit Giorgio Bassanis „Mann mit der Goldbrille“ beschäftigt, wo ich genau jenen schwülstig erotischen Ton fand, den die italienischen Romane des vorigen Jahrhunderts bevorzugt haben.
Und genau das ist wahrscheinlich das Verdienst Elena Ferrantes und der Grund, warum alle ihre Saga, als so genial und noch nie dagewesen bezeichnen.
„Was für ein Werk!“, schreibt der „Spiegel“ am Buchrücken „Alle Welt liest Elena Ferrante“, die“ FAZ“ und „Ein epochales literaturgeschichtliches Ereiginis“, die „Zeit“, daß sie damit aufräumt und einen scharfen kantigen Ton in das Neapel um 1958 hineinbringt, wo die Brüder mit ihren Schwestern so umgingen, wie man das heute empört den Türken vorwirft und die Messer und die Fäuste flogen und die Maffia oder die Camorra ihre Geschäfte trieb und sie auf diese Art und Weise, die Sozialkritik sehr scharf zeichnet, ohne meiner Meinung nach etwas wirklich Neues zu erzählen, aber wie soll das auch gehen? War es ja wahrscheinlich so und das Los vieler Frauen, die damals in der italienischen Unterschicht aufgewachsen sind.
Einige neue Facetten sind aber wahrscheinlich schon drinnen und das ist wahrscheinlich auch der Grund, warum alle so begeistert aufschreien. Es ist der Ton, wie sie erzählt und der mir, ich schreibe es gleich, nicht immer gefallen, mich aber durchaus beeindruckt hat.
Da sind also Lina und Lenuccia, die eigentlich Elena heißt, die eine, die Tochter des Schusters, die andere, des Pförtners im Rathaus und sie wachsen in einem ärmlichen Viertel Neapels auf. Erzählt wird das von Elena Jahre später. Denn da ist Lina plötzlich verschwunden, ihr Sohn ruft Elena, die sich inzwischen als Journalistin und Schriftstellerin emanzipiert und die Stadt verlassen hat und fragt sie, ob sie weiß, wo sie ist? Denn sie hat alle ihre Spuren verwischt, sogar ihr Bild aus den Fotos hinausgeschnitten und so beginnt Elena in Band eins, über ihre Kindheit und dieJugend zu erzählen.
Was sehr angenehm ist, gibt es am Beginn ein ausführlches Personenregister, der Familien, die um die Hauptakteure, in dem Viertel aufwachsen und Lina wird von Elena Ferrante, meiner Meinunung nach etwas zu abgehoben und unrealistisch genial beschrieben.
Wer die geniale Freundin ist, ist überhaupt unklar. Denn Lina hat ja ihren Rayon nie verlassen, während Elena das gelungen ist. Se war aber, schreibt sie, in der Schule genialer, hat sich selbst das Lesen und das Schreiben beigebracht, war auch frech und aufmüpfig und hat sich weder von den Lehrern noch von den Burschen etwas gefallen lassen.
So werden beiden Mädchen nach Ende der Grundschulzeit von der Lehrerin, Maestra Olivero, die zu den Eltern nach Hause geht und für ein Schmiergeld Nachhilfestunden anbietet, für die Aufnahmsprüfung in die Mittelschule vorgeschlagen.
Elenas Eltern machen das widerstrebend, der Schuster Fernando verweigert. Lina schreit „Ich mach die Prüfung trotzdem!“
Sie ist auch die Beste, auf die Schule darf sie aber trotzdem nicht, denn der Schuster schmeißt sie aus dem Fenster, so daß sie ins Spital muß, nachher darf sie zwar auf eine Haushalts oder Büromädchenschule, die sie aber verweigert, sich selbst aus den Büchern der Bibliothek Latein und Griechisch beibringt und Lenu, die damit anfangs Schwierigkeiten hat, unterrichtet, so daß die Lehrer sie bei der Nachprüfung fragen, wer ihr dabei geholfen hat und sich erkundigen, ob die Freundin, die Universität besucht?
Lina arbeitet aber in dieser Zeit in der Schusterwerkstatt und heckt mit ihren Bruder Rino Pläne aus, mit selbstentworfenen Schuhe reich zu werden.
Denn das ist der Traum der beiden Mädchen mit viel Geld aus dem Viertel hinauszukommen. Zuerst wollten sie Bücher schreiben, um das zu schaffen. Dann entwirft Lina Schuhe. Sie stellen in jahrelanger Mühe ein Paar her, als aber Rino sie dem Vater zeigt, beginnt der ihn zu versohlen.
So war es offenbar in dem Italien des Alberto Moravia und der „Wagenbach- Schriftsteller“. Elena gelingt es aber durch nächtelanges Büffeln Klassenbeste zu werden und darf dann auch aufs Gymnasium, was auch mühsam ist, denn die Schulbücher müssen ausgeborgt oder gebraucht erstanden werden und im Sommer darf sie zwar zu Maestra Oliverios Cousine nach Ischia, aber auch nur um ihr im Haushalt zu helfen, kommt aber braungebrann und fast als Mißbrauchsopfer zurück.
Die Mädchen gehen unterdessen mit ihren Brüdern aus, fangen vorsichtig die ersten Freundschaften an und da gibt es die Solara-Brüder, die sowetwas wie die Maffia des Rayons sind, der eine stellt Llina nach, macht ihr schöne Geschenke, wie einen Fernsehapparat, aber sie verlobt sich mit Fünfzehn mit dem Lebensmittelhändler Stefano, der ein paar Jahre älter, als sie ist und außerdem noch der Sohn von Don Achillo, dem „Unhold aus dem Märchen“, wie in der Beschreibung steht, der den Mädchen als Kinder Angst machte, ihnen ihre Puppen klaute und später ermordert wird.
Das wird auch, während sich Elena durch ihre Prüfungen quält, sehr ausführlich beschrieben. Lina hat inzwischen ihr Interesse am Lernen komplett verloren. Läßt sich von ihrem Verlobten ausführen und schöne Geschenke machen. Er verspricht ihr auch ihre Schuhe groß herauszubringen, gibt dem Vater Geld, so daß der drei Gehilfen anheuern kann, die die Schuhe herstellen. Es will in dem Viertel aber niemand so teure handgemachte Schuhe kaufen.
So kommt, was kommen muß, Marcello Solara, der ja Lina heiraten wollte und den sie haßt, erscheint zur Hochzeit in dem Paar von ihr und Rino jahrelang angefertigten schuhen. Stefano hat sie ihm gegeben. Das Paar geht auf Hochzeitsreise und Elena stellt fest, daß es wohl niemals möglich ist, aus dem Viertel herauszukommen oder nur, wenn man sich anstrengt, lernt und dieses verläßt und so endet der erste Teil. In den drei anderen wird dann weitererzählt. Ein bißchen habe ich in „Wikipedia“ nachgelesen, was da passiert. Ich habe ja nur das eine Buch, werde die anderen, wenn ich sie mal in den Schränken oder einer Abverkaufskiste finden sollte, natürlich nehmen oder um einen Euro kaufen. Aber zum Lesen werde ich angesichts meiner Bücherfülle höchstwahrscheinlich nicht kommen und bin, was die Bewertung betrifft, auch ein wenig ratlos, denn so genial und umwerfend finde ich das Buch eigentlich nicht, obwohl es sehr eindringlich und auch auf eine andere Art und Weise vom Neapel der Neunzehnhundertfünfziger und sechzigerjahre, der Unterdrückung der Frauen und den zerstörten Lebensläufen erzählt.