Literaturgefluester

2020-05-26

Ein überraschender Besuch

Gleich wieder ein Szenenschmankerl aus meinem „Work on Progress“ „Kein Frühlingserwachen“ mehr, das derzeit aus fünfundzwanzig Szenen, siebenundfünfzig Seiten und 27 084 Worten besteht.

Zwei Szenen, die von Egon Herweg, den als Alzheimer leidenden Gatten, der Heldin Roswitha, der den Lockdown auf seine eigene Art und Weise erlebt, habe ich hier schon vorgestellt.

Jetzt gehts ein wenig weiter nach vor im Text, nämlich zu Szene fünf, wo Roswitha und Egons Tochter Beate, die gerade ihren Abschluß auf der Sigmund Freud Uni gemacht hat, Besuch von ihrer Freundin Esther Jablonksy bekommt. Aber in Zeiten der Ausgangssperre war das ja verboten oder eigentlich auch nicht, wie wir inzwischen wissen.

„Schön, daß du gekommen bist, Esther!“, rief Beate Herweg begeistert und drückte der Freundin, die mit einer schwarzen Reisetasche und einem Blumenstrauß vor der Tür ihrer Dachwohnung stand, einen Kuß auf den Mund. Spontan und aus alter Gewohnheit hatte sie ihre Lebensmenschin, die Rechtsanwältin und Menschenrechtsaktivistin Esther Jablonsky, mit der sie seit zwei Jahren mehr oder weniger heimlich zusammen war, an sich gedrückt. Wich, als sie das bemerkte, erschrocken zurück und fuhr sich mit der Hand über den Mund.

„Entschuldigung, Esther! Wie konnte ich das vergessen! Das darf man jetzt nicht mehr! Haben wir jetzt das Socialdistanciering und das Berührungsverbot! Ich habe dich hoffentlich nicht angesteckt! Ich bin aber, kann ich dir versichern, seit die Bundesregierung diese Verordnung herausgegeben hat, brav zu Hause geblieben und auch mehr oder weniger symptomfrei!“

„Keine Angst!“, antwortete die Freundin, stellte ihre Tasche ab, drückte Beate den Blumenstrauß in die Hand und erwiderte den Kuß.

„Keine Angst, Bealein und herzlichen Glückwunsch, daß deine Abschlußarbeit angenommen wurde, du nun eine richtige Therapeutin bist und voll ins Berufsleben einsteigen könntest, wenn man das in Zeiten, wie diesen, dürfte! Aber keine Angst, Beate! Ich bin nicht so hysterisch, wie es rund herum den Anschein macht und stehe dem Ganzen eher skeptisch gegenüber! Nichtsdestotrotz fühle ich mich in meiner Wohngemeinschaft ein wenig einsam und da du mich, als die gewisenhafte Frau, die du bist, nicht besuchen wirst, habe ich entschloßen meine sieben Sachen zusammengepackt und beschloßen, bevor die totale Ausgangssperre kommt und man, wie in Frankreich oder Spanien, sich nur hundert Meter um seine Wohnung bewegen darf, vorübergehend zu dir zu ziehen und mit dir, wenn du einverstanden bist, eine Zweckgemeinschaft zu gründen! Dann könnten wir, wie es auch der Bundeskanzler vorschlägt, uns beim Einkaufen ablösen! So das Risiko reduzieren und das Homeworking, das mir meine Organisation vorschreibt, kann ich, wenn du nichts dagegen hast, vielleicht auch in deinem Wohnzimmer machen!“

„Nicht die Spur!“, antwortete Beate Herweg ein wenig überrascht und erwiderte Esthers Umarmung etwas zögernd, weil sie nicht so sicher war, sich nicht vielleicht anzustecken oder einen eventuellen Virus zu übertragen. Andererseits gehörten sie beide nicht zur Risikogruppe und wenn sie die nächsten Tage, wie verlangt zu Hause blieben, war die Verbreitungsgefahr gering.

„Gar nicht, ich freue mich im Gegenteil darüber! Denn weißt du, dir kann ich es gestehen, mir ist die Decke in den letzten Tagen sehr auf den Kopf gefallen! Den ganzen Tag allein zu sein, bin ich, fürchte ich, nicht gewohnt! Noch dazu, wo ich meine Abschlußparty absagen mußte und die Sponsionsfeier entfallen ist! ich hätte zwar nicht gewagt, dir das vorzuschlagen, möchte ich dich auch nicht gefährden und es ist, wie ich fürchte, auch nicht ganz legal, weil wir nicht zusammenwohnen!“, sagte sie und brach wieder ab, um Esther Jablonsky fragend anzusehen, die energisch den Kopf schüttelte und ihr noch einen feuchten Schmatz auf den Mund drückte.

„Nicht so ängstlich, Bealein! Eine klitzekleine Gesetzesübertretung ist erlaubt! Wenn du möchtest, nehme ich sie auf meine Kappe, zahle die Strafe und gehe, wenn sich die Vorsichtsmaßnahmen vielleicht doch als übereilt herausstellen sollten, bis in die letzte Instanz vor Gericht und hole die Strafzahlung wieder herein!“, kündigte sie lachend an.

„Man muß, Bealein, das ist, wenn du es wissen willst, meine Meinung nicht so übergehorsam sein und kann dem bösen Onkel Innenminister, der eine kontrollieren will, vielleicht ganz gesetzeskonform eines auswischen, denn wir stehen uns, auch wenn das noch nicht so offiziell bekannt sein sollte, schon länger nahe und, daß ich nicht bei dir gemeldet bin-? Wer soll das kontrollieren? Wer will das überwachen und uns vernadern? Man muß da nicht so ängstlich sein und die anderen durch seine Fragen nicht erst auf Ideen bringen, die sie vorher gar nicht hatten! Ich bin also da! Deine Freundin ist vorübergehend, um eine Zweckgemeinschaft zu gründen, bei dir eingezogen und nun laß uns deinen Abschluß feiern! Machen wir eine kleine Corona-Party und sind dabei so leise, daß es die bösen Nachbarn, nicht merken und nicht die Polizei holen können! Wenn die aber trotzdem kommt, kann ich dir versichern, daß ich meine ganzen juristischen Kenntnisse einsetzen werde, um dich und mich zu verteidigen und da das alles ein Schnellschuß, sehr widersprüchig und, wie ich höre, auch noch nicht so hundertprozentig ausjustiziert ist, habe ich da keine Sorge! Denn ich bin, wie du siehst, nicht so ängstlich und war schon in der Schule, zum Leidwesen meiner Mutter, ein ungehorsames Mädchen!“, behauptete sie noch einmal lachend, bevor sie sich nach ihrer Reisetasche bückte.

„Stell die Blumen ins Wasser und schau in der Speisekammer nach, ob du eine Flasche Wein zu Hause hast? Ein bißchen Weißbrot, Schinken und Oliven? Ansonsten bin ich bereit, das alles schnell zu besorgen, damit es eine schöne Feier wird und dein Schlafzimmer kenne ich bereits!“, behauptete sie und lachte anzüglich auf, was Beate, wie sie fürchtete, rot werden ließ.

„Habe ich es doch schon mit dir benützt! Bin dir also, wenn du es so willst, schon so nahe gekommen, daß ein eventueller Virus keine Chancen hat!“

„So ist es!“, antwortete Beate gehorsam, bevor sie sich in die kleine Küche begab, um die Blumen zu versorgen.

„Rotwein und Bier habe ich zu Hause! Baguette und ein bißchen Käse ist auch vorhanden, so daß du dich nicht bemühen mußt und vielen Dank für alles! Du weißt, ich freue mich sehr!“, sagte sie, während sie die Blumen auf den Küchentisch stellte und der Freundin in das Schlafzimmer folgte, die ihre Tasche auszupacken begann.

„Und jetzt erzähl mir, wie du deine Quarantänetage verbracht hast?“, wollte sie dann wissen. Beate Herweg zuckte mit den Achseln.

„Vor dem Fernseher größtenteils! Ich fürchte, daß ich, wie paralisiert davor gesessen bin und mich nicht einmal das Abschlußzeugnis aufheitern konnte! Dann habe ich meine Eltern, die zur Risikogruppe zählen, angerufen und ihnen angeboten, ihre Einkäufe für sie zu besorgen! Sie haben aber ohnehin eine Betreuerin. Eine junge Slowakin aus Kosice, da der Papa seit drei Jahren Alzheimer hat!“, sagte sie mit gedämpfter Stimme.

„Die Mama hat mir erzählt, daß sie jetzt eine Ausstellung über das „Rote Wien“, die im Juni eröffnet werden soll, im Homeoffice mit ihrem Assistenten vorbereitet!“

„Mit ihrem Assistenten, cool!“, wiederholte Esther, nahm einen schwarzen Hosenanzug aus der Tasche, um ihn forsch und ungeniert in den Kleiderschrank zu hängen.

„Ich hoffe, er ist ein schöner junger Mann und wenn du Pech hast, bahnt sich zwischen den Beiden etwas an!“, sagte Esther und brach ab, als sie Beates entsetzten Gesichtsausdruck bemerkte, die „Glaubst du wirklich?“, hervor stieß.

„Vergiß es! Du weißt, ich bin eine vorlaute Person mit einer unerlaubten Vorstellungskraft, die mir schon so manche Schwierigkeiten eingebracht hat! Ich nehme alles zurück und entschuldige mich, wenn du willst, auch förmlich, obwohl die Vorstellung schon etwas Faszinierendes hat und Phantasie ist in diesen Zeiten, wie ich hörte, erlaubt! Aber schau nicht so entsetzt, Bea-Mädel und glaub nicht alles! Das Mütterlein wird in der Quarantäne mit ihrem Assistenten nicht zusammen sein, sondern mit ihm höchstens über Skype oder Zoom kommunizieren und wird, wie du mir erzähltest, ohnehin von ihrer Hausbetreuerin bewacht, wenn die nicht vielleicht die Gunst der Stunde nützt und mit ihrem Schützling zu Techtelmechteln beginnt! Aber ich bin schon still, Beate und stoppe meine böse Zunge! Dein Vater war Universitätsprofessor nicht wahr, bevor ihm das Schicksal diese Krankheit brachte?“

„So ist es!“, antwortete Bea und setzte energisch „Du hast wirklich eine böse Zunge und wir sollten das Thema wechseln! Komm in die Küche! Ich hole den Wein aus dem Regal und schaue nach, ob es noch ein Glas Oliven oder Artischoken gibt? Und du kannst dich entscheiden, ob du in der Küche oder auf der Dachterrasse feiern willst?“, hinzu.

„Auf der Terrasse Bea, wenn du dich das traust und dich vor den bösen Nachbarn mit den Feldstechern, die uns der Polizei melden könnten, nicht fürchtest!“, antwortete Esther Jablonsky gemütlich, schob ihre Reisetasche in eine Ecke und kam noch einmal auf Beate zu, um ihr einen Kuß auf die Wange zu drücken.“

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