Imitation of life

Antal Szerbs Erzählungen über Bücher, Frauen, Männer und das Sagenhafte

Von Klaus BonnRSS-Newsfeed neuer Artikel von Klaus Bonn

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wer glaubt, der Deutsche Taschenbuch Verlag habe nach der Publikation von vier Romanen Szerbs nun mit der Vorlage einer Auswahl seiner Erzählungen bloß auf verstreutes Material von minderem Rang zurückgegriffen, der irrt. Das Eigentümliche an diesen Erzählungen, die in zwei Rubriken aufgeteilt sind, ist ihr propädeutischer Charakter; man könnte sie als Etüden lesen, die in ihrer Selbstständigkeit Vorstudien zur Abfassung der Romane bereitstellen. Das zeitgenössisch moderne Ambiente mit seinen kleinen Absonderlichkeiten und Wundern ist der ersten Abteilung vorbehalten, das Sagenhafte, Magische und Schicksalsmächtige aus vergangener Zeit der zweiten.

Dabei dürfte der erste Teil mit seinen oft skurrilen Figuren dem Leser auf Anhieb eher zusprechen als die entrückten historischen Erzählungen um König Artus oder Pico della Mirandola. Gerade diese letzteren, allesamt in den zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts entstanden, rücken einen gesamtgesellschaftlichen Zustand, in dem die Menschen befangen sind, näher vor Augen als dies die modernen tun, die mehr einer Komplexität des Individuellen, insbesondere dem Kampf der Geschlechter zugewandt sind. Die kürzeste Erzählung, in der ein riesenhafter Drache alles Leben auf der Erde zunichte macht und der König zuletzt "mit strammen Schritten in den offenen Schlund des Ungeheuers" marschiert, lässt sich als Parabel zum heraufdämmernden Vernichtungskrieg des deutschen Faschismus deuten, ein Paradigma jeglicher Schreckensherrschaft und Diktatur.

Nicht von ungefähr trägt eine der Geschichten den Titel "Der Tyrann".

Jeder der Texte in beiden Abteilungen wartet mit Figuren auf, die sich und anderen etwas vormachen. Sie sind dem ergeben, was der Filmemacher Douglas Sirk einmal in einem seiner Melodramen "Imitation of Life" genannt hat. Vorab gebärden sich Männer als Imitatoren, die sich vor Frauen in Szene setzen, und manchmal ist es ein ganzes Volk, das, einer kollektiven Paralysierung verfallen, nur noch so tut, als lebe es noch.

Szerbs Erzählweise entbehrt indes nicht des Witzes, wenigstens im ersten Teil, wenn etwa der intellektuelle Tamás, der sich auf "die üblichen Spiele der Liebe" vorbereitet, einmal von sich gibt: "Ich dachte mir, vielleicht kommt die Extase ja noch, wenn ich so täte, als sei sie da." Nicht minder lustig scheint es, dass der "Wortmensch" János in Paris die Verfolgung einer berühmten amerikanischen Dame aufnimmt und ihm dabei allerlei hollywood-trächtige Filmszenen durch den Kopf gehen. "Ich rette sie aus den Klauen der Aufständischen, ich seile mich mit ihr in den Armen von der in Flammen stehenden Spitze eines Wolkenkratzers ab, o geliebtes Amerika, Metro-Goldwyn und First National!" Am Ende darf er in ihrem Hotelzimmer gar sexuell mit ihr, einer gestandenen Lesbe, verkehren - unter der Voraussetzung, dass er dabei nicht an sie denke, denn sie selber denke auch nicht an ihn. Und János genießt diesen Beischlaf, weil er sich, "nur als Projektion", Nell Gwynn aus der Zeit Karls II vorstellt, über die er viel gelesen und geforscht hat.

Wenn gebildete Männer ihren Spaß haben wollen, und das wollen sie im ersten Teil der Erzählungen immer, dann neigen sie zu selbstironischen Bemerkungen und nicht selten abfälligen Äußerungen gegenüber dem anderen Geschlecht, die sie gleichsam als Schlussfolgerungen empirischer Feldstudien zum Besten geben. So glaubt Tamás zu wissen: "Es gibt Frauen, die zu umarmen einem das Gefühl vermittelt, eine Blume in der Hand zu halten, andere sind wie eine sofort explodierende Masse, wieder andere brennen, manche erinnern an ein Butterbrot mit Schinken und die meisten an überhaupt nichts." Dass diese Männer in Liebesangelegenheiten so viel Schabernack treiben und Strategien aushecken, liegt nach Szerbs Auskünften, an den Büchern, mit denen sie einen großen Teil ihres Lebens Umgang haben. Die Bücher figurieren als Segen und gleichermaßen als Fluch für die männliche Seele; sie öffnen die Pforte zu Spielformen jener Imitation des Lebens. Der Schriftsteller Tyrconnel bekennt, dass er "die wahre Liebe eigentlich nur aus Büchern kenne." Bezeichnend ist auch, wenn der junge Tamás seine Bekannte Ilonka in die Bibliothèque Nationale mit den Worten einweist: "Sie in die Welt der Bücher, in mein Reich, einzuführen ist fast so schön, wie eine Jungfrau in die Geheimnisse der Liebe einzuweihen."

Die Bibliophilie, die sich zuweilen zur Manie auswächst, gilt im übrigen nicht allein für den Typus des modernen Intellektuellen. In der Legende von Ajándok und ihrem Bräutigam ist dieser der Schwarzen Magie verschrieben. Er führt ein Buch mit sich, das untrennbar mit der Destination seines Lebens verknüpft ist, ein Signum der Unentrinnbarkeit. Und der Tyrann, der sich um alles in der Welt von jeglicher emotionalen Bindung fern halten möchte, ist mit der "hoffnungslosen Sehnsucht des Lesenden" geschlagen, die in ihrer Ausschließlichkeit ihm zuletzt den Garaus macht.

Die einzig wahrhaft Liebenden sind ausgerechnet die sagenhaften Papiergestalten Parzival und Lancelot. Der eine, als Auserwählter, weiß nichts von seiner Liebe, der andere, dem ein vergnügliches Lotterleben zuwider ist bei hehrer Ergebenheit zu seiner Königin, leidet unermesslich an seiner Liebe, die niemals in Erfüllung geht. Die Figuren der Erzählungen Szerbs, selbst wenn sie zuletzt von Ungeheuern aufgefressen werden oder sich selbst zu Grunde richten, sind allesamt Überraschte, vom Leben Gestellte. Für die Überlebenden gilt, dass, so lange sie leben, niemand weiß, was noch passieren kann. Wenn denn in den Geschichten eine Lehre steckt, dann ist es vereinfacht diese: nie den Tag vor dem Abend zu loben, ihn aber auch nicht gleich nach dem Morgengrauen abzuschreiben.


Titelbild

Antal Szerb: In der Bibliothek. Erzählungen.
Übersetzt aus dem Ungarischen von Timea Tankó.
Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2006.
275 Seiten, 14,00 EUR.
ISBN-10: 342324562X
ISBN-13: 9783423245623

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