Was wirklich geschah
John S. Cooper inszeniert 9/11 als normales Verschwörungsdrama
Von Walter Delabar
Auch in der Geschwindigkeit gibt es so etwas wie Normalität. In jenen fernen Zeiten des 19. Jahrhunderts schien es durchaus noch nicht ausgemacht, dass Menschen bei Geschwindigkeiten jenseits der einer Postkutsche oder eines Pferdes auf Dauer keine gesundheitlichen Schäden davontragen würden. Das gesamte 20. Jahrhundert - Sie erinnern sich noch an dieses beschauliche Zeitalter? - war es allen klar, dass die Menschen unter der Dauerbeschleunigung, der ihr Leben ausgesetzt war, nicht lange Bestand haben würden.
Aber schließlich haben sich die Menschen irgendwie doch an alles gewöhnt ("Der Mensch ist von Natur aus künstlich" also gewöhnungsfähig, meinten unisono Helmuth Plessner und Günter Anders). Auch mit Dauergerenne in Thrillern hat man sich arrangiert: Die ARD wiederholt derzeit wie jedes Halbjahr (so scheint es zumindest) sämtliche alten James Bond-Filme (vor Pierce Brosnan). Geradezu bemitleidenswert ist es, dabei zuzuschauen, wie der Agent Ihro Majestät sich an Kabeln entlang hangelt oder einen Faustkampf austrägt. Welches Aufraunen im Feuilleton, als James Bond endlich - endlich! - fliegen lernte!
Welche Beschleunigung und Ermächtigung generell im Thriller, etwa in der Bourne-Reihe, in der der Held eigentlich nichts anderes tut, als zu rennen (wie sagt Tom Cruise in "Minority Report": "They all run!"). So auch die Anfangssequenz des letzten James Bond: James Bond rennt, zwar in diesem Fall hinterher, aber immerhin bleibt es nicht beim Rennen. Diverse akrobatische Übungen unter Aufhebung der Schwerkraft und der Verletzbarkeit von menschlichen Körpern kommt hinzu. Wer ist eigentlich Rambo? (Aber warten wirs ab, was sie sich dazu einfallen lassen, ein neuer Film ist ja bereits angekündigt.) Es ist geradezu eine Erdung des Thriller-Genres, wenn in einer der "Bones"-Folgen, die diese Saison in Deutschland liefen, der verfolgte Asien-Liebhaber und Kampfsportler ganz ohne Schwebe- und Sprunghilfen auskommt und ganz normal über Hindernisse hechten und hüpfen muss. Man kann fast ahnen, dass das wehtut (vor allem, wenn Booth ein wenig hinterher lahmt).
Dann gibt es noch ein zweites Phänomen, das für den Thriller allerdings gattungskonstituierend ist (ohne das geht es einfach nicht): die Verschwörung. Das Misstrauen gegenüber Politikern und gegenüber der Regierung gleich welcher Couleur hat im Thriller nicht erst seit Ende des Kalten Krieges immer wieder zu Konstruktionen geführt, in denen die Regierung oder ein Teil davon den Ausnahmezustand herstellen will. Das konnte sich auf innere wie äußere Verhältnisse richten - "Die drei Tage des Kondor" ist ein Beispiel dafür. James Bond sowieso. Und schließlich auch Bourne (der auch nur ein Remake ist). Der Feind der offenen Gesellschaft, die immer auch eine weitgehend gerechte ist, steht meist innen, und nicht selten verbündet er sich mit dem äußeren Feind, dem der "American Way of Life" arg gegen den Strich geht (warum auch immer).
Der rennende Bourne diente anscheinend als Vorbild für John S. Coopers Buch "Das fünfte Flugzeug", denn zu Beginn des Romans wird mal wieder gerannt und geflohen, was die Seiten hergeben. Vor einem unbekannten Feind, der mal eben der Lebensgefährtin des Verfolgten die Kehle durchschneidet, bevor er dann - statt auf den aushäusigen Zielkandidaten zu warten - mal eben zur Kaffeepause geht. Auch ein Killer ist nur ein Mensch. Das gibt unserem Kandidaten die Gelegenheit loszurennen und sich zu entschließen, dass jetzt Schluss mit lustig ist: Das Komplott muss an die Öffentlichkeit, die Wahrheit muss ans Licht, die Verschwörer müssen entlarvt werden.
Nun sind wir an einigermaßen absurde Verschwörungstheorien, die auch noch zu rasanten Verfolgungsjagden führen, gewöhnt. Es ist beruhigend zu wissen, dass auch Verschwörer (oder Romanschreiber, die eine Verschwörung beschreiben) noch an die Macht der Öffentlichkeit glauben und sie zu nutzen versuchen (trotz der beharrlich behaupteten Korruption der Medien). Beides ist in Ordnung, auch wenn jeder Versuch, die cineastischen Spurtkünste real nachzuahmen, im Herzkaspar zu enden droht. Solange das alles Kulisse ist, und nur die Kulisse zählt (lass ihn rennen, egal warum auch immer), kann niemand etwas dagegen haben.
Sobald man aber den Eindruck haben muss, hier meinte einer das, was er da schreibt, wirklich ernst und nehme sich dutzende Seiten, um eine haarsträubende Geschichte durch eine andere haarsträubende Geschichte noch komplizierter und durchgedrehter zu machen - dann muss man sich doch fragen, ob das wirklich gelesen werden soll, ob schlichtweg jemand wirklich das Recht hat, unsereinen so zu langweilen. Denn Cooper klappert hier eigentlich mit einer recht mageren Geschichte, und sein Verschwörungsszenario ist natürlich kein bisschen plausibel: Einer der Beteiligten an einem 9/11-Täuschungsmanöver will auspacken, versucht einem Ex-Edeljournalisten seine Story zu verkaufen, kommt dabei um, es beginnt die Jagd auf den Journalisten und seine Helfershelfer an, die dann alles tun, um die Story unterzubringen und ihr Leben zu retten, und nebenbei wird dann auch noch die Wahrheit von alledem und überhaupt in der Länge und Breite ausgebreitet.
Im Grunde macht Cooper hier nichts anderes als Dan Brown, nur dass man dessen Schmonzetten von vorneherein nicht für voll nehmen kann (eine der miesesten Rollen von Tom Hanks, nebenbei). In dem, was sich Handlung nennt, wird viel gerannt und geschossen und gehakt, der Rest sind ellenlange und furchtbar langweilige Ausführungen über die Wahrheit, die in mäßig gekonnte Dialoge gegossen werden. Wer das mag, ist für den Thriller schon lange verloren und sucht nicht nach Unterhaltung, sondern nach "Wahrheit" - was immer das nun schon wieder sein mag.
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