Vielleicht der falsche Autor für das Buch
Hans van Ess beantwortet die "101 wichtigsten Fragen" über China
Von Georg Patzer
Sind das wirklich die 101 wichtigsten Fragen? Na, man sollte nicht klagen, wenn das eine oder andere immer noch nicht beantwortet ist. Das kann ein nur knapp 160-seitiges Buch nun einmal nicht. Aber man staunt doch, was es alles kann und was es alles beantwortet.
Zum Beispiel die Frage nach der Falun-Gong-Sekte: Wann und warum sie entstand und warum die chinesische Regierung sie so unnachsichtig verfolgt? Der Begründer Li Hongzhi war ein erfolgreicher Heilpraktiker, lehrte Qi Gong und begann Anhänger um sich zu scharen sowie eine Lehre aus Buddhismus und Taoismus zu lehren, behauptete, Wunder zu vollbringen und seine Feinde per Gedanken- beziehungsweise Qi-Kraft zu vernichten. Seinen Geburtstag legte Li auf den 13. Mai, den Geburtstag Buddhas, das Zeichen im Namen "Hong" weckte Assoziationen an alte chinesische Geheimgesellschaften, unter anderem an eine, die Sun Yat-sen half, die Qing-Dynastie zu stürzen.
Verboten wurde die Falun-Gong-Bewegung, als sie zum zehnten Jahrestag des Massakers auf dem Platz des himmlischen Friedens Protestaktionen initiieren wollte. Zu dieser Zeit hatte die chinesische Führung außenpolitische Probleme mit den USA und Taiwan - da konnte sie eine Sekte, die innenpolitisch agitierte und das System zu destabilisieren drohte, nicht gebrauchen. Zudem die KP Falun-Gong als verlängerten Arm des CIA empfand. Nach dem 11. September 2001 wurde die Sekte sogar als terroristische Vereinigung eingestuft.
In dem Jahr, in dem die Olympischen Spiele in Peking stattfinden werden, ist das Interesse an chinesischer Kultur und Politik erneut gestiegen. Der Beck Verlag bringt eine ganze Reihe von Büchern heraus, die sich mit China beschäftigen. Das Kleinste ist wohl die Einführung von Hans van Ess, die "101 wichtigsten Fragen" verspricht es zu beantworten. Und wirklich - es wird vieles angerissen und sogar umfassender beantwortet.
Die Frage, ob China immer noch sozialistisch ist, warum die chinesische Mauer gebaut wurde, ob Marco Polo in China war sowie einige der wichtigsten Stationen der chinesisch-westlichen Geschichte, die Boxeraufstände, die Opiumkriege, die Begeisterung für Mao Zedong - Van Ess streift auch die Gegenwart, das Massaker, das politische System, die Menschenrechte, Tibet und Taiwan. Oder die Wirtschaft: Warum China so erfolgreich ist, wofür die Chinesen sparen oder ob die Chinesen "geborene Fälscher" sind? Sprache und Schrift wird ebenso behandelt wie Religion und Philosophie, Kultur und Gesellschaft, und die Fragen, seit wann man mit Stäbchen isst und was Feng-Shui ist.
Natürlich kann manches nur angerissen werden, so hätte man sich beispielsweise wenigstens die nackten Lebensdaten von Li Hongzhi gewünscht (oder auch von Marco Polo oder Lu Xun). Gravierender wirkt, dass van Ess auf dem linken Auge ein wenig blind zu sein scheint. So "vergisst" er zu erwähnen, dass die "Kulturrevolution" Hunderttausende oder sogar Millionen von Todesopfern gefordert hat beziehungsweise erwähnt es in einem Nebensatz, und dass sehr viele unschätzbare, uralte Kulturgegenstände wie Tempel und Bücher einfach so zerstört wurden, weil sie als Symbol für "das Alte" galten.
In seinem Kapitel über die "Begeisterung für Mao Zedong" kritisiert er Jung Changs und John Hallidays Mao-Biografie mit den Worten, sie "legen damit eine erschreckende Missachtung der nachvollziehbaren Gründe für seine Popularität an den Tag" (ein schrecklicher Nominalstil, der an den Verlautbarungsstil der KP erinnert), weil sie ihn "als menschenschlachtendes Ungeheuer" darstellten. Was das eine mit dem anderen, was die unbezweifelbaren Fakten mit der Popularität zu tun haben sollen, warum das eine mit dem anderen verbunden werden muss, bleibt einem durchaus verborgen. Auch in seinem Tibet-Artikel ist er bemerkenswert chinafreundlich, als wenn er vor allem Rücksicht auf die Chinesen nehmen müsste. Vielleicht hat er ja auch Angst, dass er in China nicht mehr erwünscht ist. Aber dann ist er der falsche Autor für ein ehrliches Buch.
In all diesen politischen Bereichen muss man van Ess' kleines Buch also mit Vorsicht genießen. Ansonsten aber gilt, dass er viele Fakten bereithält und Zusammenhänge herstellt, die man sich sonst mühsam zusammensuchen müsste.