Von Klosterfrauen und Sexarbeiterinnen
Ein Ausstellungskatalog über "Weibs-Bilder. Frauenträume und Lebensentwürfe"
Von Marita Metz-Becker
Die unter dem Patronat der Schweizerischen UNESCO-Kommission erarbeitete Wander-Ausstellung "Weibs-Bilder. Frauenträume und Lebensentwürfe" wurde vom 25. April bis 26. Oktober 2008 in Halbturn in Österreich gezeigt. Die Ausstellung wird vom 23. April bis zum 1. November 2009 im Frauenmuseum Hittisau (Voralberg) gezeigt. Der fast 300 Seiten starke, reich bebilderte Begleitband zur Ausstellung erfreut durch solide ethnologische und kulturhistorische Beiträge, über denen die Erkenntnis Simone de Beauvoirs steht, dass man "nicht als Frau geboren", sondern dazu gemacht wird.
Das Buch zeigt zwölf Frauenrollen, die ohne Wertung nebeneinander stehen - von der Tochter-, Mutter-, Gattin- und Dienerinnenrolle bis zu der der Verführerin, der Mächtigen, der Weisen oder der Hüterin des Feuers. Insgesamt werden dabei 150 Frauen porträtiert, wobei viele Facetten der einzelnen Frauenleben prototypisch aufgezeigt werden. Die zwölf Rollenbilder - so die Idee der Ausstellungsmacher - sollen zur Diskussion anregen und das geschichtlich und gesellschaftlich Gewordene vor Augen führen: Die raschen Veränderungen und Neuinterpretationen von Frauenrollen, aber auch das Fremde, das Abschätzende und Verstörende. Dass die Auseinandersetzung mit diesen sehr heterogenen Frauenbildern die eigene Standortbestimmung erleichtern könnte, ist ein weiteres pädagogisches Ziel der Ausstellung. Frauen soll deutlich werden, dass sie trotz gesellschaftlicher Beschränkungen eine freie Wahl treffen können oder können sollten, wobei sie sich nicht auf eine Rolle festzulegen brauchen, sondern frei wählen können, mehrere gleichzeitig oder auch nacheinander auszufüllen.
Die zwölf Kapitel sind dann auch nach eben jenen Rollenbildern benannt. Im Kapitel "Dienerin" finden sich Themen wie "Klosterfrauen der Ost-Schweiz", aber auch "Sexarbeiterinnen" oder ein Beitrag über Anna Göldin, der letzten Hexe Europas. Im Tochter-Kapitel wird etwa auch die Magersucht thematisiert, im Mutter-Thema die Frage gestellt, ob das Weitergeben von Leben der einzige Lebenssinn der Frau ist. Unter der "Hüterin des Feuers" findet sich ein Beitrag über mexikanische Frauen als Maiszubereiterinnen im wechselseitigen Abhängigkeitsverhältnis zu den Mais anbauenden Männern, und im Kapitel "Die Weise" wird "Wissen, Macht und Weisheit im Frauenbund der Mende in Sierra Leone" thematisiert.
Die Abbildungen zu den einzelnen Beiträgen sind schön, meist in Farbe, viele großformatig und von eindringlicher Aussagekraft. Szenen aus dem Leben des Gottes Shiva, Abbildungen der Göttin Dorga Devi oder der Kämpferin Jeanne d'Arc stehen neben Porträts von Ulrike Meinhof oder Clara Zetkin. Eine Darstellung der Judith mit dem Haupt des Holofernes aus dem 16. Jahrhundert findet sich neben modernen und postmodernen Abbildungen bedeutender Frauenfiguren, mittelalterliche Mutter-Gottes-Statuen neben Votivbildern unbekannter Bauernmaler des 18. Jahrhunderts, Postkarten und Filmplakate von "Mata Hari" und "Lolita" neben Kupferstichen von Albrecht Dürer und Radierungen nach Raffael aus dem 17. Jahrhundert.
So heterogen die Beiträge, so heterogen sind auch die Illustrationen, was dem Katalog jedoch keinen Abbruch tut, sondern ihn, ganz im Gegenteil, zu einem spannenden Lese- und Bilderbuch werden lässt, das man ungern aus der Hand legt. Der Titel des Bandes ist Programm: "Weibs-Bilder. Frauenträume und Lebensentwürfe" - wer hier logische Stringenz und Systematik erwartet, sieht sich enttäuscht. Träume und Entwürfe lassen sich nicht festzurren, sie sind frei, spielerisch, unfertig, provozierend und irritierend, aber auch faszinierend.
Die zwölf vorgestellten Frauenrollen sind in keiner Weise hierarchisch gedacht, sondern stehen in ihrer Wertigkeit nebeneinander. Jede Frauenrolle hat ihre Geschichte, und die Wahl zwischen den einzelnen Rollen kann die moderne Frau im wesentlichen selbst treffen. Der Katalog möchte jedenfalls dazu ermutigen, in den dargestellten Frauen Vorbilder zu entdecken, seien sie aus Europa, Amerika, Afrika oder Indien, und Kraft zu ziehen aus ihrem Mut und ihrer Stärke als mächtige Herrscherinnen und Göttinnen, engagierte Forscherinnen und Politikerinnen, weise Frauen und unbekannte Mütter.
Die Vorstellung der Ausstellungsmacher, dass Frauen heute frei seien in ihrer Rollengestaltung und die Wahl hätten, sofern sie sie "mit offenen Augen" träfen, ist allerdings frappierend. Eine europäische Intellektuelle wird in der Mais kochenden Indianerin schwerlich ein Vorbild entdecken können, zu heterogen sind die Kontexte sowohl in ethnologischer als auch historischer Perspektive. Allenfalls lassen sich Archetypen erkennen, die die diversen Rollenbilder kontrastieren, nicht aber Vorbilder zur lebenspraktischen Nachahmung. Überhaupt ist der Anspruch der Autoren allzu pädagogisch-aufklärerisch und lässt anthropologisch-philosophische Grundsatzfragen weitgehend offen. Insofern wird der Leser eher verwirrt als an die Hand genommen, dies ist zwar nicht verwerflich, entspricht aber nicht den eigens formulierten Intentionen.
Ein frecher Ausstellungskatalog, mit vielen Texten, Bildern, Beispielen und provozierenden Thesen, ein Panoptikum, das viele Denkanstöße gibt oder auch Anregungen zum Weiterträumen. Antworten auf die vielen Fragen dürfen indes nicht erwartet werden. Überhaupt verstehen sich Buch und Ausstellung als ein 'Anfang' - und so wünscht der Katalog seinen Leserinnen im Nachwort, "dass die 'Weibs-Bilder' zu Geschlechterträumen inspirieren, die neue individuelle und kollektive Lebensräume hervorrufen, in denen die gleichwertige Anerkennung der Geschlechter und der Respekt die höchste Priorität haben".
Anmerkung der Redaktion: Die verwendeten Fotos sind dem besprochenen Band entnommen.