Luzide Einsichten zum überbordenden Filmkosmos Almodóvars

Ein Band der Reihe "Film-Konzepte" zu Pedro Almodóvar beleuchtet sein Werk eingehend. Dennoch beziehen sich die Beiträge nur am Rande auf die politische Dimension seines Werks

Von Luitgard KochRSS-Newsfeed neuer Artikel von Luitgard Koch

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Seit Luis Buñuel prägte kein anderer spanischer Regisseur das Weltkino derart wie Pedro Almodóvar. Vom Außenseiter, Rebell und Bilderstürmer avancierte der Avantgardist zum international angesehenen Regiestar und Oscarpreisträger. Kaum ein zweiter europäischer Filmemacher lotet die menschliche Gefühlswelt mit solcher Finesse, Originalität, Konsequenz und Rückhaltlosigkeit filmisch aus wie er. Außerdem zählt der 54jährige zu den Regisseuren, die im Laufe der Jahre immer besser werden. Nicht zuletzt deshalb erwarten Kritiker und Publikum seinen neuen, aufwändigsten Film "Gelöste Umarmungen" mit Spannung.

Grund genug also, um dem gefeierten Regiestar und ehemaligen Mitstreiter der Movida madrileña aus der Post-Franco-Zeit ein Filmkonzept-Heft zu widmen. Dass dabei eine differenzierte Analyse nicht notwendig ein breites Publikum anspricht, soll kein Argument gegen sie sein. Doch selbst dem ambitionierten Kinogänger, den der Verlag mit seiner Reihe erreichen will, könnten die streckenweise kopflastigen Passagen die Schaulust entzaubern. Bei allem filmtheoretischen Wissen, den der Band seinen Lesern eröffnet, wünscht man sich mitunter, dass weniger Sätze auftauchen, die sich in rhetorischem Rauschen erschöpfen.

Gleichwohl bietet der Band Interessantes für Cineasten: Die Beschreibung der Verweise und Reminiszenzen in Almodóvars Filmen, wie etwa in "Alles über meine Mutter". Zwei Theaterstücke, zwei Filme und zwei Hollywoodstars entdeckt der Berliner Filmwissenschaftler Hermann Kappelhoff in dem vielschichtigen Plot. Solche Einblicke bereichern. In Almodóvars jüngstem Film "Volver" das Motiv des Windes, der die Waldbrände entfacht, als Reminiszenz an "La Habanera" zu analysieren, klingt ebenfalls stimmig. War doch Regisseur Douglas Sirk nicht nur Rainer Werner Fassbinders großes Vorbild, insbesondere bei "Angst essen Seele auf". Auch Almodóvar erwies den Melodramen von Douglas Sirk, seine Reverenz. Das Melodram, die großen Gefühle liebten alle drei. Doch zu behaupten, das sei auch eine sentimentale Reminiszenz an den Faschismus, wirkt nicht unbedingt überzeugend.

Eine politische Einordnung, wie sie die Konzeption ankündigt, findet indes generell nur zaghaft und versteckt statt. Davon vermitteln die sechs Beiträge des Bands eher wenig. Diese Erwartung erfüllt keiner ganz. Dagegen wird der Komplex sexueller Abhängigkeit und des Missbrauchs, der besonders in seinem jüngsten Film "Volver" nicht zu übersehen ist, von Anja Streiter äußerst aufschlussreich behandelt. Sie weist fundiert darauf hin, dass Almodóvar sexuellen Missbrauch nicht als komisches Sujet oder als vom Tabu befreite Sexualität inszeniert, sondern durchaus das zerstörerische Echo in der Psyche seiner Opfer aufgreift. Ihre Feststellung, dass weder Homo- und Transsexualität, noch die Travestie in seinen Filmen eine Verheißung darstellen, zählt ebenfalls zu den Aussagen, die den Band lesenswert machen. Gleichzeitig macht sie klar, dass der Vorwurf, der generell als schwuler Filmemacher eingeordnete Almodóvar distanziere sich mehr und mehr von männlicher und weiblicher Homosexualität, nicht greift.

Einen besonders orginellen Deutungsansatz liefert der Beitrag von Hye-Jeung Chung über Almodóvars Putzfrauen zur Hausarbeit als reinigendes Ritual. Die Doktorandin der Filmwissenschaft analysiert sie verblüffenderweise als Muster und Ausdruck dafür, dass die Protagonistinnen sich aus den patriarchalen Fesseln lösen und ihr Leben neu ordnen.

Und so vereint der Band nicht wenige imponierende Passagen, wie jene über das "Karnevalskino" und seine karnevalistischen Inszenierungen, die Daniel Illger treffend beschreibt. Die Verbindung zum einerseits rigiden Katholizismus mit seinen barocken Ritualen als Deutungsmuster und Hintergrund des Filmkosmos Almodóvars könnte hier durchaus ebenfalls als wesentlicher Punkt angesprochen werden.

"Ich hoffe, dass ich eines Tages nicht mehr in Mode bin", wünschte sich der exzentrische Regie-Zauberer Almodóvar einmal, "sondern ein Klassiker sein werde". Diese Hoffnung scheint sich zu erfüllen. Um diesen leidenschaftlichen Werdegang nachvollziehen zu können, ist der von Thomas Koebner und Fabienne Liptay herausgegebene Band auf jeden Fall ein unentbehrlicher Beitrag zur kompetenten Analyse des filmästhetischen Konzepts seines wuchtigen Œuvres, das in der Tradition großer europäischer Autorenfilmer wie Jean-Luc Godard, Federico Fellini und François Truffaut steht.


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Hermann Kappelhoff / Daniel Illger (Hg.): Pedro Almodovar. Film-Konzepte Heft 9.
edition text & kritik, München 2008.
120 Seiten, 17,00 EUR.
ISBN-13: 9783883779218

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