Schreiende Bockwurst

Wiglaf Droste über das Elend der Welt

Von Daniel KrauseRSS-Newsfeed neuer Artikel von Daniel Krause

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die These, es fehle der deutschen Literatur an Satiren von Rang, der Humor komme gemessen an England, Russland und Frankreich zu kurz, ist nicht darum schon falsch, weil sie oft – bis zum Überdruss – wiederholt wird. Zuletzt hat Heinz Schlaffers „Kurze Geschichte der deutschen Literatur“ (2002) die Rede von deren theologisch geprägtem Ernst auf höchstem sprachlichem und intellektuellem Niveau neu zur Geltung gebracht. Was aber zeitgenössische deutsche Autoren betrifft, kann von übertriebener Seriosität keine Rede sein: Die deutsche Gegenwartsliteratur ist reich an komischen Talenten. Thomas Kapielski, Helge Schneider, Heinz Strunk und zuvörderst der früh verstorbene Heino Jaeger entlarven Sprach- und Charaktermasken mit überbordender Wortfantasie und satirischer Schärfe. Die Sprache selbst wird zum Sprechen gebracht, der Wahn der Wort- und Wirklichkeitsverdrehung feiert fröhliche Urständ’: In ihren besten Momenten brauchen solche Autoren keinen Vergleich mit den großen Humoristen und Vortragskünstlern der Vergangenheit zu scheuen. So wurde Max Goldt – zu Recht – mit dem Kleist-Preis ausgezeichnet. Und Eckhard Henscheid kann sich rühmen, die Brücke zu schlagen von der gloriosen Vergangenheit der ‚Neuen Frankfurter Schule‘ und dem TITANIC-Kreis in die unübersichtliche, reichere Gegenwart.

Und Wiglaf Droste? Unter Deutschlands Satirikern ersten Ranges ist Droste der Unpopulärste. Kein anderer wirft so oft die Frage auf: Ist das erlaubt? Ist es statthaft? Vor allem: Darf man lachen? Wo Helge Schneider geistige Beweglichkeit und Einbildungskraft fordert, Heinz Strunk, um der höheren satirischen Wahrheit die Ehre zu geben, den guten Geschmack suspendiert, zwingt Droste jeden der Leser, aus eigener Verantwortung die Frage zu stellen, ob Humor sich über moralische – nicht nur: eingebildete – Grenzen hinwegsetzen darf. Das hat zu rechtlichen Verwicklungen und öffentlichen Angriffen gegen den Autor geführt. Dass sich die ‚ganz große‘ Anerkennung samt weithin ausstrahlenden Ruhms nach über zwanzig Jahren literarischen Wirkens nicht eingestellt hat, mag unter anderem dieser besonderen Rücksichtslosigkeit, dem Gift in Drostes Worten, geschuldet sein: Sie überfordert bloße Sonntagshumoristen. Drostes bekanntestes Wort „11. September – Die Geburtsstunde der bemannten, fliegenden Architekturkritik“ ist symptomatisch in puncto Regelverletzung. Es scheint, sein Hass ist echt – und seine Pointen sind unwiderleglich brillant. Mehr ist billigerweise nicht zu verlangen.

„Am Nebentisch belauscht“ versammelt ein Dutzend drei- bis zehnminütiger Prosaskizzen. Sie stellen sich – nach Maßstäben Drostes – vergleichsweise harmlos dar: Er nimmt sich der Imker und Gastgeber an, der Zugschaffner und gleich zu Beginn der Spezies ‚Biker‘ – sie heißen „Kampfmaschinen auf Kampfmaschinen“, „Bockwürste im zarten Saitling“ –, aber auch, wie so oft, der Frauen, Christen oder der Menschheit im Ganzen.

Es handelt sich um Tonaufnahmen: Droste liest Droste, und dieser Umstand ist wesentlich, denn vom Autor selbst gelesen sind solche satirischen Miniaturen das Doppelte wert. Drostes Gespür für Timing, Phrasierung und Intonation sind auch in diesen Lesungen unüberhörbar. ‚Gestochen scharf‘ würde Drostes Artikulation nur unzureichend beschreiben. Wenn nötig, ruft er die Mundart der ostwestfälischen Heimat auf, aber sein Hochdeutsch ist makellos. Drostes Verbindung von Musikalität, Hochsprachlichkeit und Wortwahl wie Syntax trägt – in ihrem (Miss-)Verhältnis zum alltagsbanalen Gegenstand seines Spotts – sehr wesentlich zur satirischen Wirksamkeit dieser Miniaturen bei. „Alle lachen. Manche schreien“, sagte Alfred Kerr über Karl Valentin. Auf Droste trifft es kaum weniger zu.

Titelbild

Wiglaf Droste: Am Nebentisch belauscht. CD.
Verlag Antje Kunstmann, München 2009.
14,90 EUR.
ISBN-13: 9783888975899

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