Kontinente, Kleinbauern, Quanten
Raphael Urweiders Premiere
Von Doris Betzl
Jung ist er. Verspielt. Und prämiert. Raphael Urweider ist 25 Jahre alt, wurde im letzten Jahr mit dem Leonce-und-Lena-Preis der Stadt Darmstadt ausgezeichnet und hat seinen ersten Lyrikband veröffentlicht. "Lichter in Menlo Park" heißt seine Buchpremiere und erscheint in der DuMont Lyrik Reihe, Band 05.
Über neun Kapitel erstrecken sich gelassen-distanzierte Betrachtungen über die Unendlichkeit von kollidierenden Erdteilen, gleißenden Partikeln und streunenden Kälbern. Der Beobachter findet Assoziationsketten, Wortspiele oder detaillierte Schilderungen mit beglückend paradoxen Wortschöpfungen:
"rezitatives gähnen des librettisten in tiefstem soprano
raunt ihm die opernvettel morgens um fünf in sein
verschminktes gesicht das hemd aufs letzte von saurem
premierenschweiß geschwächt er reckt sich halbdunkel
aus zerdrücktem bukett und buffetresten septisches
technikolor die färbung der diva gehauchte promillen"
Frédéric Chopins "24 préludes" inspirieren Urweider zu einem Gedicht in 24 Sätzen, überschrieben mit "Agitato, Lento, Allegro Molto" - und entsprechend formal gestaltet - bis zum "Allegro Appassionato", womit sich der musische und lyrische Kreis schließt. Er lässt Kleinbauern ihre Arbeit verrichten, unbehelligt von Eros, Flötisten oder naturliebenden Priestern. Große Erfinder und Entdecker müssen es sich gefallen lassen, eine allzu menschliche Seite ihres Schaffens angedichtet zu bekommen:
"dreimal dürfen sie raten wie james watt
morgens seinen tea kocht energischer als
andere setzt er wasser dem herd aus das
teekraut schwarz gewählt wie steinkohle
er ist der earl grey der morgenstunden in
seiner nachtischschublade befinden sich
dunkle pläne watt james watt hat rußschwarze
pläne er hat das rauchen aufgegeben my lord"
Raphael Urweiders erster Lyrikband macht Freude. Die Begeisterung für das Spiel mit Sprache spricht aus jeder Gedichtzeile und steckt an. Voller Entdeckungsgier folgt man dem Experimentieren mit möglichen Bedeutungsvarianten eines Begriffs, dem Auffinden neuer Wortschöpfungen, Lautmalereien bis zur Onomatopöie. Ein Zauber wohnt alledem inne - wir gehen auf Entdeckungsreise auf der anderen Seite unseres Alltags. Auf jener, die wir schon lange vermisst haben: wo Fabelwesen auf einem Bein die Mittagshitze verdösen, wo der Buntspecht noch im Telefonhörer sitzt, wo polnische Landhäuser nicht ohne Geist auskommen können.
Diesem frischen Gedichtband möchte man es eigentlich nicht zumuten, im Recyclingpappe-Schieber seiner Nachfolger aus der DuMontreihe zu harren. Marcel Reich-Ranicki meint, das erste Buch gelinge immer. Erst beim zweiten Werk zeige sich wahre Begabung. Liebend gerne wollen wir uns im Weiteren von der Begabung des jungen Dichters überzeugen lassen.