Kulinarische Investigation
Kurt Bracharz’ Krimi „Der zweitbeste Koch“ ist eine unauffällige Preziose, zum Verzehr nebenbei aber gut geeignet
Von Walter Delabar
Der Hang zum Voluminösen ist auch im Krimi ungebrochen, was der Abneigung von Gewohnheitslesern entgegen kommt, sich nicht dauernd an neues Personal und neue Welten gewöhnen zu müssen. Die wenigen Ausnahmen, die nicht auf Teufel komm raus Seiten bolzen, sind schon fast zu bewundern, vor allem ob ihrer Renitenz. Denn wenn der Markt und seine Leser vor allem dicke Bücher wollen, sind dünne Bücher fast schon als Akt marktwirtschaftlicher Verweigerung zu behandeln. Sich mit 150 Seiten zu begnügen, wo 800 sich besser verkaufen, zeigt schon Größe oder auch Einsicht in die Tragfähigkeit eines Plots.
Kurt Bracharz nun hat sich mit „Der zweitbeste Koch“ aufs schmale Buch besonnen und dabei ein knappes, wenn auch unterhaltsames Stück Literatur abgeliefert. Das wird man ehren müssen, auch wenn Bracharz keine Gelegenheit auslässt, auf den wenigen Seiten, die ihm zur Verfügung stehen, den wahren Kulinarier (der bekanntlich von einem sehr fernen Stern stammt) herauszukehren. Ja, die Aliens sind mitten unter uns, und wir ahnen es ebensowenig wie sie selbst.
Aber lassen wir das Meckern, auch wenn es zu den Basistugenden des Kritikers gehört, sei er in Sachen Literatur unterwegs oder in Sachen Sauerbraten (wenn so was profanes überhaupt satisfaktionsfähig ist).
Bracharz siedelt jedenfalls seinen kleinen Krimi im Wiener Feinschmeckermilieu an, das bekanntermaßen recht vielfältig ist, zumindest aus Berliner Sicht. Xaver Ypp, Redakteur einer kulinarischen Zeitschrift namens „Lukull“, kommt einem möglichen Verbrechen auf die Spur: Der Koch eines chinesischen Restaurants, den er als den „zweitbesten Koch der Welt“ bezeichnet, ist spurlos verschwunden. Zwar behauptet sein Chef, der Mann habe sich zu anderen Gefilden und anderen Feinschmeckertempeln aufgemacht. Aber alles in allem hört sich das Ganze wie eine schlechte Ausrede an.
Als dann Ypp, der einen jungen Mann mit einem absoluten Geschmacksgedächtnis möglichst viele Produkte testen lassen soll, um auf diesem Wege so eine Art lebendes Produkttextgerät aufzubauen, auch noch auf dem Nachhauseweg von einer seiner Geschmacks-Sessions beraubt wird, fängt er an sich seine Gedanken zu machen. Aus der Tasche, die ihm die Räuber von der Schulter reißen, wird nämlich weder Geld noch sonst etwas gestohlen. Das einzige, was verschwindet, ist ein Probenbeutel, der ein mysteriöses Fleischstück enthielt, das in der Suppe schwamm, die ihm in eben jenem chinesischen Lokal vorgesetzt wurde.
Da kann man schon mal misstrauisch werden und sich Gedanken über Kannibalismus machen. Denn was vermutet der Herr Ypp: Dass man den Koch ermordet hat und über die Tagessuppe und die Mägen der Gäste entsorgt. Was dann lange Recherchen und Exkursionen über kannibalistische Neigungen und die chinesische Küche nach sich zieht.
Die Vermutungen schießen nicht zuletzt deshalb ins Kraut, weil das chinesische Restaurant, in dem das passiert sein könnte, zu einem größeren Komplex eines chinesischen Freizeitbetriebs gehört, der unter anderem einen doppelten Zoo betreibt (einen öffentlichen und einen inoffiziellen). Das Besonderes dieses Zoos: Alle seine Tier sind essbar, zumindest nach dem Verständnis der chinesischen Küche.
Kein Wunder also, dass das alles verdächtig ist, denn wozu der Aufwand? Wozu das Geheimnis? Wer so etwas verbirgt, verbirgt vielleicht sogar mehr? Etwa den Tod eines Kochs, der unter anderem – vor seiner Wiener Karriere – für eine chinesische und eine serbische Unterweltgröße gekocht hat.
Merkwürdige Zoos, zwielichtige Vergangenheit, plötzliches Verschwinden – wer ein Verbrechen dabei für möglich hält, geht wohl nicht ganz in die Irre. Das umso mehr, als neben den chinesischen auch serbische Gestalten (zwielichtig, was sonst) durch den Roman irren und der ehemalige Gangsterboss des zweitbesten Kochs nach Wien kommt (Ypp interviewt den Menschen, der sich vorgenommen hat, irgendwann einmal alles gegessen zu haben, was kulinarisch essbar ist, was ja wenig Grenzen hat).
Bracharz baut sich also eine dräuende Gemengelage verschiedener Akteure und Vermutungen auf, an deren Ende freilich eine größere Unappetitlichkeit steht, die allerdings verhindert wird. Das Rätsel um den Koch wird dabei gelöst, der Gourmetredakteur darf einmal beinahe Sex haben und bekommt stattdessen Halluzinationen, Bracharz macht seine Leser mit seinem Wissen vertraut und schreibt schöne Sätze wie: „Alles, was ein Mann schöner ist als ein Aff, ist Luxus“.
Wer so etwas in einen Krimi einbaut, der darf sich auch sonst allerhand erlauben.
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