Diabolisch verwirrend!
G. H. H. gibt einen Essay über „Bildnisse des Teufels“ von Daniel Arasse heraus
Von Franz Siepe
Wortgeschichtlich leitet der „Teufel“ sich her vom griechischen „diabolos“: „Entzweier, Verwirrer“; und verwirrend ist das Erscheinungsbild des hier zu besprechenden Büchleins in der Tat. Es beginnt schon mit dem rätselhaften Faktum des sich hinter dem Akronym G. H. H. verbergenden Herausgebers und Übersetzers, über dessen Identität lediglich in Erfahrung zu bringen ist, dass er 2010 „Gedichte in zwei Sprachen“ veröffentlicht hat und für den Hochroth-Verlag als Autor, Herausgeber und Übersetzer tätig ist. Nach allem jedoch, was diese Person hier nun in ihrer „Notiz zu den Texten“ und ihren – vielfach verwirrenden – Kommentaren zum – sehr verwirrenden – Literaturverzeichnis schreibt, steht zu vermuten, dass es sich bei ihr um jemanden handelt, der in einem vertrauten, wenn nicht intimen Verhältnis zu Daniel Arasse (1944-2003) gestanden hat.
Arasse, laut Verlagsinformation „einer der berühmtesten Kunsthistoriker Frankreichs“, hatte 1989 einen Beitrag zu der italienischen Sammelschrift „Diavoli e mostri in scena dal Medio Evo al Rinascimento“ unter dem Titel „Le portrait du diable“ publiziert, welcher Vorlage für das von G. H. H. bei Matthes & Seitz herausgebrachte, an sich optisch wie haptisch gefällige Buch ist. Indes war Arasses Essay zwischenzeitlich (2010) in einer französischen Neuausgabe erschienen, welche den ursprünglich nach akademischen Konventionen komponierten Text popularisierte, indem sie etwa Zitate, die der Autor im Anmerkungsapparat untergebracht hatte, in den Fließtext (re)integrierte. Diesem Prinzip folgt jetzt offenbar G. H. H. und begründet sein Verfahren wie folgt: „Arasse […] schrieb für Leser; nicht nur für ein Fachpublikum, sondern für jeden, der ihm bei seinen neugierigen Erkundungen in die Zwischenwelt folgen wollte, die sich jenseits der Texte in den Bildern auftut. Die Texte, die er für die erste Veröffentlichung in Anmerkungen ausgelagert hat, reichern die Argumentation an, setzen sie fort, bilden keinen Bart aus Algen, der das Vorankommen erschwert, fördern vielmehr den Fortgang der Erzählung und sind für sie immer wesentlich. Das heißt, nirgends wird Wissensmüll abgeladen, der nicht zur Sache gehört. Diese Texte wurden daher hier wieder in ihr Recht gesetzt, also wieder nach oben in den Haupttext geholt, aus dem sie ausgeschnitten wurden.“
Sofern ich G. H. H.s Programm richtig verstehe, wird hier der Originaltext des Autors posthum „korrigiert“. Dies ist gewiss ein heikles Unterfangen, das sich eigentlich nur rechtfertigen ließe, wenn erwiesen wäre, dass die Ursprungsschrift gegen den Willen Arasses oder zumindest zu dessen Unbehagen entstanden war. Das scheint aber nicht der Fall zu sein. Überdies erweckt die nunmehrige Textgestalt nicht unbedingt den Eindruck wohlstrukturierter Homogenität. Ein eingehender Vergleich mit „Le portrait du diable“ von 1989 würde zu verlässlicheren Befunden bezüglich der Qualität der Eingriffe G. H. H.s gelangen; doch ergibt schon ein kurzer Blick, dass unser Buch weniger Abbildungen enthält als die genannte italienische Sammelschrift, was ohne jede Frage kein Vorzug sein kann.
Als rezeptionserschwerend wirkt sich aus, dass G. H. H.s Übersetzung nicht immer zu gefallen vermag. Lassen wir dahingestellt, ob „le portrait“ zwingend, wie G. H. H. postuliert, mit „Bildnis“ wiederzugeben ist. Auch die – nicht einmal konsequent durchgehaltene – Übertragung von „monstre“ und „monstrueux“ nach „Ungeheuer“ respektive „ungeheuer“ ist mitunter eher störend als verständnisförderlich: Ist der „wunderlich-ungeheure Charakter der überlieferten Teufelsgestalten“ tatsächlich besser als der „wunderlich-monsterhafte/monströse“? Historische Eigennamen erscheinen in fremder Form. So figuriert Dionysius der Kartäuser als „Dionysius von Chartreux“. Der Limbus (die „Vorhölle“) steht italienisch als „Limbo“ da, und die Acedia („Herzensträgheit“) begegnet – ebenfalls italienisch – als „accidia“ und ist mitnichten unmittelbar dasselbe wie Melancholie. Kurz und gut: Mich kann die herausgeberische und übersetzerische Leistung G. H. H.s nicht befriedigen. Doch worum geht es eigentlich Daniel Arasse?
Im Hauptsächlichen demonstriert der Essay, wie der Teufel in Bildern der Renaissance mehr und mehr „menschliche“ Züge annimmt. War er im Mittelalter eine didaktisch und mnemotechnisch konzipierte Figur und, aus unterschiedlichen Bildtraditionen (der antike Faun) „zusammengesetzt“, in ihrer exotischen Monstrosität leicht zu identifizieren, so zeigt ihn nun Luca Signorellis Freskenmalerei in der Kathedrale von Orvieto als zwar weiterhin schreckliches, aber doch primär anthropomorphes Un-Wesen: „[D]er Zyklus von Orvieto ist einer der Orte, wo der Übergang von der ‚Bildnisgestalt‘ des herkömmlichen Teufels zur Menschengestalt als ‚Teufelsbildnis‘ am deutlichsten zu Tage tritt; die Teufelsgestalt vertritt hier nicht mehr die Verneinung der göttlichen Ordnung, das ‚fleischgewordene Chaos‘; ihr Bild überliefert nicht mehr den Mythos vom Engel, der aufbegehrt hat; das Teuflische hat nunmehr die gleiche Ausdehnung wie das Menschliche; es ist eine Dimension des Menschlichen selbst.“
Ausschlaggebend für diese Metamorphose war ein Bedingungsgefüge aus inner- und außerästhetischen Momenten. Innerästhetisch verhielt es sich so, dass das mittelalterliche Teufelsbild im Zuge des Voranschreitens der Renaissancekunst zusehends marginalisiert, das heißt an die Bildränder gerückt wurde: als „Groteskendekor“. Außerästhetisch gab der humanistische Diskurs Impulse: Der alte Teufel verlor seine religionsverbürgte Statur, während das Humanum in seiner anthropologisch-metaphysischen Doppelgesichtigkeit erkannt wurde. Der Mensch, so Pico della Mirandola, hat die Anlage, sich zum Göttlichen hin zu veredeln, aber auch die, zum Diabolischen hin zu verkommen.
Das Diabolische mutierte also zu einer „menschlichen“ Eigenschaft; und so konnten diabolische Physiognomien teuflisch böse Personen kennzeichnen. In der Foto-Sammlung entstellter und verbrecherischer Individuen Cesare Lombrosos vom Ende des 19. Jahrhunderts findet sich, so Arasse, noch eine Spur dieser Diabolisierung von Menschen oder vice versa Humanisierung des Diabolischen.
Wie manches am und im besprochenen Band ist rätselhaft, warum und wieso G. H. H. Georges Batailles Essay „Masken“ dem Text Arasses beifügt. Noch rätselhafter ist es allerdings, wenn G. H. H. diese Entscheidung damit begründet, Arasse, der die Wendung „fleischgewordene[s] Chaos“ (siehe oben) von Bataille bezog, habe das mit einem von „Unsachlichkeit“ getragenen Verweis quittiert. Anstelle des Versuchs, auch diese Verwirrung zu entwirren, sei hier zum Ende ein Zitat aus Batailles „Masken“ gegeben: „Was sich im Einvernehmen der offenen Gesichter mitteilt, das ist die beruhigende Standfestigkeit der Ordnung, die auf gerodetem Boden zwischen den Menschen eingesetzt wurde. Wenn das Gesicht sich aber verschließt und sich mit einer Maske verdeckt, gibt es keine Standfestigkeit und keinen Boden mehr.“
Was, wenn wir „G. H. H.“ als eine Maske verstünden?
![]() | ||
|
||
![]() |