Bergschi, Talschi, Wasserschi

Pia Janke hat bilanzierende Beiträge zu Werk und Wirkung der wichtigsten Österreichhasserin unserer Zeit gesammelt

Von Jan SüselbeckRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jan Süselbeck

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Viele haben es bis heute nicht verwunden, dass Elfriede Jelinek 2004 den Literaturnobelpreis erhielt. Die Autorin gilt als ‚schwierig‘. Man könne ihre Texte kaum lesen, weil es in ihnen immer nur um abstoßende Dinge gehe, von denen man ‚Bauchschmerzen‘ bekomme. Derartige Bewertungen kann man heutzutage jedenfalls nicht nur von „Bild“-Zeitungslesern mit Schnauzbart und Gamsbarthut, sondern insbesondere auch von jungen Studentinnen hören, die stattdessen lieber historische Kriminalromane aus der Reihe „Die Wanderhure“ lesen.

Die Literaturwissenschaftlerin Alexandra Pontzen spricht im Blick auf jene Vorlust, die solche Bücher gewähren mögen, während sie die ‚anti‘-pornografischen Romane Jelineks durchkreuzen, von einem vermeintlichen „pornographischen Pakt“ der LeserInnen mit dem Text: Jelinek störe die Eigendynamik sexueller Rezeption, in dem die „phallische Anmaßung“ weiblicher Auktorialität in ihren Werken selbstreferentiell als solche kommentiert und ironisiert werde.

Vor nicht allzulanger Zeit war die Ablehnung solcher kritischer und ‚ätzender‘ postmodener Schreibstrategien noch die Domäne männlicher Kritiker. Marcel Reich-Ranicki etwa witzelte 2004 im „Spiegel“ über die Gender-Thematik in Jelineks Werken: „Als 1989 im ‚Literarischen Quartett‘ Jelineks Roman ‚Lust‘ besprochen wurde, sagte meine hochverehrte Kollegin Sigrid Löffler, im Grunde handle das Buch davon, ‚dass männliche Körper expandieren und in andere Körper eindringen, wohingegen weibliche Körper diejenigen sind, in die eingedrungen wird‘. Das war, wird man zugeben, eine so überraschende wie erleuchtende Entdeckung. Und sie gilt für einen großen Teil des Werks der Jelinek. Es denunziert die Sexualität auf simple, doch gelegentlich auch suggestive Weise als etwas höchst Widerliches – für Frauen natürlich.“

Trotz – oder gerade wegen – solcher problematischer Unkenrufe wie denen Reich-Ranickis, dessen Statements zu Jelinek immerhin auch großes Lob kannten und stets auffällig ambivalent ausfielen, war der Nobelpreis für Jelinek eine der besten Entscheidungen, die die Schwedische Akademie in Stockholm jemals getroffen hat. Die Schriftstellerin wurde von den Österreichern bereits zu Lebzeiten Thomas Bernhards und noch vor dem großen Skandal um dessen Stück „Heldenplatz“ im Jahr 1988 auf äußerst selbstentlarvende Weise attackiert.

Als man etwa ihr Stück „Burgtheater“ 1985 in Bonn uraufführte, erregten sich sowohl LeserbriefschreiberInnen als auch notorische Halbprominente wie Karlheinz Böhm oder Fritz Muliar über den angeblich darin zu findenden Rufmord an der NS-Schauspielerin Pauly Wessely, ihrem Mann Attila Hörbiger sowie dessen Bruder Paul Hörbiger. Von den Rollen, die diese SchauspielerInnen in NS-Propagandafilmen wie „Heimkehr“ (1941) übernommen hatten, wollte man wenige Monate vor der Affäre um den 1986 zum österreichischen Bundespräsidenten gewählten Kurt Waldheim, der ebenfalls eine vertuschte NS-Vergangenheit hatte, nichts wissen.

Man protestierte stattdessen gegen das „unappetitliche Machwerk“, beschimpfte Jelinek wegen ihrer KPÖ-Mitgliedschaft als „deklarierte Kommunistin“ und stellte sogar die rhetorische Frage, ob die Autorin zur „Mörderin“ werden könne, falls der seinerzeit 90-jährige Attila Hörbiger an einem Herzversagen sterbe. Legendär sind die Attacken der „Kronen-Zeitung“ und von Jörg Haiders Freiheitlicher Partei Österreichs (FPÖ): Auf einem Wahlplakat der FPÖ im Jahr 1995 stand in Anspielung auf eine Reihe kritischer Köpfe der Zeit zu lesen: „‚Lieben Sie Scholten, Jelinek, Häupl, Peymann, Pasterk…oder Kunst und Kultur?‘ Freiheit der Kunst statt sozialistischer Staatskünstler“.

Eine der selbstironischen Reaktionen Jelineks auf diese Hetze kann man in dem Essay „Ein Volk. Ein Fest“ auf ihrer berühmten Website nachlesen: „Ich halte mich für fein, mache meine Ich-Übungen, um nicht ein weiteres Mal Staatskünstlerin genannt zu werden, und halte mich raus. Denn immer wenn ich mich nicht rausgehalten habe, bin ich reingezogen worden und sogar auf Plakaten gelandet. Welche Ehre! Sie wollten nicht mich, die Plakatkleber, sie wollten mehr als einer jemals schaffen kann, sie wollten Kunst und Kultur! Ohne Fäkalien! Lieber unverdaut! Jetzt werden wir sie bekommen, ihre Kunst und ihre Kultur, und zwar weil wir sie bereits haben, es ist die liebe Volkskultur, und bitte beachten Sie das alles, wenn Sie nach Kärnten fahren, denn spätestens beim Bachmann-Wettbewerb werden Sie es wissen müssen: Kunst und Kultur sind Bergschi, Talschi, Wasserschi und fünftausend urige Gasthäuser als Sammellager für die Tränen der Sportversehrten.“

Kaum eine Schriftstellerin ist so schnell und umtriebig wie Jelinek, wenn es darum geht, verlogenes Mediengerede, dumme Sportler und Alpinisten, Kriegspropaganda, Sexismus und Rassismus sowie die Verleugnung des Nationalsozialismus in Deutschland und Österreich literarisch ‚zur Sprache‘ zu bringen. Der spezifische Umgang mit der Sprache der Täter, der Geschichtsklitterer und Kriegspropagandisten ist eines der Charakteristika von Jelineks Kunst, wie man nun auch im „Jelinek Handbuch“ nachlesen kann, das die österreichische Jelinek-Forscherin Pia Janke im Verlag J. B. Metzler herausgegeben hat. Jankes Team aus dem Kreis der „Forschungsplattform Elfriede Jelinek“ an der Universität Wien hat sich in den letzten Jahren durch eine Reihe verdienstvoller Publikationen über die Autorin hervorgetan (siehe etwa diese oder auch jene Rezension bei literaturkritik.de). Jankes Handbuch erscheine als „grundlegende Einführung in Jelineks Schaffen und Wirkung“ zu einem günstigen Zeitpunkt, freut sich die Herausgeberin in ihrer Einleitung. Mehr als „acht Jahre nach der Verleihung des Literaturnobelpreises ist es möglich, auch diese Phase des verstärkten Interesses an der Autorin zu reflektieren, Änderungen und Kontinuitäten in der Auseinandersetzung zu analysieren und das Werk in verschiedenen gesellschaftlichen und ästhetischen Zusammenhängen zu untersuchen“.

Aufgrund von Jelineks großer Produktivität sei die Arbeit an diesem Band aus der bekannten Metzler-Reihe der Personen-Handbücher allerdings aufwändig gewesen: „Allein in den zweieinhalb Jahren der Erarbeitung dieses Handbuchs sind mehrere größere Theaterstücke und Essays entstanden, und es war mit einiger Anstrengung verbunden, sie alle noch laufend in das Handbuch einzubeziehen.“ Den ‚letzten Stand‘ in Sachen Jelinek wird Jankes Pubklikation also trotz aller Mühen des eilfertigen AutorInnen-Kollektivs wohl schon sehr bald nicht mehr wiedergeben können. Doch lässt sich dies kaum verhindern, wenn sich LiteraturwissenschaftlerInnen mit AutorInnen der Gegenwartsliteratur beschäftigen, und als „erste umfassende, alle Werkbereiche einbeziehende Gesamtdarstellung von Österreichs einziger Literaturnobelpreisträgerin“, als die Janke ihren Band vorstellt, wird er sicher auch so für viele Jahre ein Standardwerk bleiben.

Eine ausführliche Besprechung der einzelnen Essays, Artikel und Abrisse der Forschungs- beziehungsweise Rezeptionsgeschichte, die das „Jelinek Handbuch“ bietet, kann hier nicht geleistet werden. Nur soviel: Es liegt in der Natur der Sache, dass auch diese Beiträge selbst einmal ein Studienobjekt der Wissenschaftshistoriografie sein werden, als beredte Zeugnisse gewisser Schwerpunktsetzungen, spezifischer methodischer Zugriffe, wissenschaftlicher Schreibweisen und Deutungsansätze. In diesem akribischen, dicht und kondensiert geschriebenen Buch sind jedenfalls die derzeit wichtigsten Jelinek-ForscherInnen vertreten – und wenn nicht, so werden sie ausführlich zitiert. Schon allein deshalb ist das Gemeinschaftswerk in Zukunft unverzichtbar.

Titelbild

Pia Janke (Hg.): Jelinek Handbuch.
J. B. Metzler Verlag, Stuttgart 2013.
432 Seiten, 69,95 EUR.
ISBN-13: 9783476023674

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