Keine deutsche Musterkolonie
Peter Sebald liefert eine fundierte Studie über die kaiserliche Kolonialzeit im westafrikanischen Togo
Von Klaus-Jürgen Bremm
Als kleinster afrikanischer Besitz des bescheidenen wilhelminischen Überseeimperiums galt Togo noch lange nach seinem Verlust schon in der Anfangsphase des Ersten Weltkrieges als „Musterkolonie“ des deutschen Reiches. Tatsächlich besagte diese gern gegen „Versailles“ in Stellung gebrachte glorifizierende Legende jedoch nichts anderes, als dass Togo als einzige aller deutschen Kolonien ohne fremde Zuschüsse auskam.
In seiner jetzt beim Christoph Links Verlag erschienenen Studie, eine stark gekürzte Fassung seines noch zu DDR-Zeiten publizierten Referenzwerkes, lässt der ostdeutsche Historiker und Afrikaspezialist Peter Sebald keinen Zweifel daran, dass die Deutschen in den nur drei Dekaden ihrer Herrschaft über das schmale Territorium an der westafrikanischen Goldküste alle typischen Instrumente einer europäischen Kolonialdespotie angewandt hatten. Das Gewaltspektrum reicht von der systematischen Heranziehung der Einheimischen zur Zwangsarbeit über die regelmäßig verhängte Prügelstrafe bis hin zu genozidalen Polizeiaktionen, denen Dutzende von Eingeborenendörfern zum Opfer fielen. Sebald zählt in den Akten etwa 50 offiziell registrierte Feldzüge, mit denen die Deutschen versuchten, ihre Herrschaft über den zunächst besetzten Küstenstreifen hinaus nach Norden auszudehnen, um dabei systematisch die Lebensgrundlagen renitenter Stämme zu unterminieren. Dass es den gleichermaßen sparsamen wie prestigebedürftigen Wilhelminern schließlich gelang, mit nur einer Hundertschaft an weißen Beamten und kaum 600 afrikanischen Söldnern ihre Herrschaft über eine Bevölkerung von fast 1 Mio. Menschen in einem Gebiet von immerhin 87.400 Quadratkilometern zu konsolidieren, nötigt auch Sebald verhaltenen Respekt ab.
In seiner soliden und aus dem überlieferten Aktenmaterial schöpfenden Studie beschreibt der Autor in systematischer Betrachtung sämtliche Aspekte der deutschen Kolonialzeit in Togo von der Herrschaftssicherung über die Ökonomie bis hin zum Aufbau einer bescheidenen Infrastruktur, die nach Sebald gerade durch den Imperativ einer sich selbst tragenden Verwaltung empfindliche Verzögerungen hinnehmen musste. Der Autor versucht diese These mit dem Hinweis auf den verzögerten Eisenbahnbau in Togo zu belegen, liefert jedoch zur Erhärtung keine Daten wie beispielsweise aus den jeweiligen britischen und französischen Nachbarkolonien.
Überhaupt schien die Kolonialherrschaft der imperialen Rivalen des Reiches moderater und vor allem weniger rassistisch. Sebald verwendet diesen Begriff dann auch in den verschiedensten Variationen, spricht etwa im ungeschminkten Zorn vom „reinsten Rassismus“ oder vom „Rassistenregime“, das angeblich sogar ein Vorbild für das südafrikanische Apartheitssystem gewesen sei. Sebalds inflationäre Verwendung dieser modernen politischen Invektive fast auf jeder Seite ohne eine überzeugende Klärung im Kontext der Zeit ist nicht nur ein Anachronismus, sondern insgesamt auch ein störendes Ärgernis bei der Lektüre seiner insgesamt fundierten und gut gegliederten Studie.
Nicht ohne eine gewisse Häme schildert der Autor, der dem von ihm beschriebenen Land durch langjährige Aufenthalte verbunden ist, dann auch den überstürzten Zusammenbruch des deutschen Herrenmenschenregimes unmittelbar nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges. Ohne Not räumte der kommissarische Gouverneur Hans-Georg v. Doehring, ein altgedienter „Afrikaner“, nach dem britischen Ultimatum vom 6. August 1914 die Hauptstadt Lomé, um sich überstürzt auf der Eisenbahn ins Landesinnere zurückzuziehen. Nicht Munitionsmangel, sondern die massenhafte Fahnenflucht der afrikanischen Söldner zwang die Deutschen nur zwei Wochen später zur Kapitulation. Doch diese Tatsache hätte genauso wenig in das Bild der Weimarer Kolonialrevisionisten gepasst wie die jubelnden Bewohner Togos, die jetzt glaubten, die drückende deutsche Kolonialdespotie gegen die der scheinbar milderen und weniger rassistischen Briten und Franzosen eingetauscht zu haben.
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