Afrikabilder in Europa

Ein von Manuel Menrath herausgegebener Sammelband präsentiert ein Panorama kulturwissenschaftlicher Forschungsfelder

Von Sascha Ulrich-MichenfelderRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sascha Ulrich-Michenfelder

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Denken wir an den Kontinent Afrika, so drängen sich zunächst einmal zwei Assoziationsketten auf: einerseits die Naturlandschaft (beispielsweise die Dünen der Sahara, die endlosen Steppen mit Gnu-Herden und der überaus artenreiche tropische Regenwald) und andererseits humanitäre Krisen (Hungerkatastrophen, Massenarmut, Bürgerkriege), welche die Bevölkerung erschüttern. Beide Assoziationsketten werden durch massenmediale Diskurse forciert und vermitteln uns das Bild eines homogenen Kontinents, der allenfalls bei Vegetation und Tierreich Diversität erahnen lässt. Doch woher kommt die Ignoranz der kulturellen Vielfalt? Sind die Medien in Bezug auf Europa stets darauf bedacht, möglichst differenziert zu berichten, so werden die Staaten Afrikas zumeist in einem negativen Sinne zu „Schwarzafrika“, „zum Inbegriff des Negativen“, wie Marita Haller-Dirr in ihrem Aufsatz einleitend konstatiert.

Manuel Menrath sowie die an dem Sammelband „Afrika im Blick. Afrikabilder im deutschsprachigen Europa 1870-1970“ beteiligten Autoren sehen die eindimensionalen Zuschreibungen im Kontext einer kolonialen Vergangenheit, deren Auswirkungen bis heute spürbar sind. Ausgehend von verschiedenen Fallbeispielen ist es Ziel der Autoren, den Blick auf diese Vergangenheit zu schärfen. In den Beiträgen werden Fotobücher, Spiel- und Dokumentarfilme, Inszenierungspraktiken bei Menschenschauen, Romane, Missionsberichte, Kinderbücher sowie historische Quellen aufgearbeitet und miteinander in Bezug gesetzt. Wie die Anzahl der verschiedenen Analysegrundlagen verdeutlicht, eröffnet sich bei der Lektüre des Bandes ein Panorama kulturwissenschaftlicher Forschungsfelder, die umfassende Blicke auf die Afrikabilder der Zeit vermitteln.

Bereits im Jahr 2011 entstanden zahlreiche Publikationen, die sich mit der Dekonstruktion und der Reflexion europäischer Afrikabilder beschäftigen, wie beispielsweise die Aufsatzsammlung „AfrikaSpiegelBilder. Reflexionen europäischer Afrikabilder in Wissenschaft, Schule und Alltag“. Diese ist zwar ähnlich angelegt wie der Band Menraths, besitzt jedoch keine derart umfassende theoretische Fundierung. Dem gegenüber fehlt im vorliegenden Band die didaktische Perspektivierung, die wichtig wäre, um nachfolgende Schülergenerationen für eine Reflexion der Afrikabilder zu sensibilisieren..

Der 330 Seiten umfassende Band enthält überarbeitete Beiträge, die im Rahmen einer Ringvorlesung an der Universität Luzern vorgestellt wurden. Um die Thematik aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten, haben sich Historiker, Filmwissenschaftler, Ethnologen, Germanisten sowie Kultur- und Sozialwissenschaftler beteiligt. Wie eine Betrachtung des Inhaltsverzeichnisses erkennen lässt, werden hierdurch verschiedene Afrikabilder bzw. -vorstellungen aufgearbeitet. Gerahmt wird diese Beitragsfülle nicht nur durch die gemeinsame Thematik, sondern insbesondere durch den gewählten Zeitraum (1870 bis 1970), für den ein außerordentlicher Beitragsreichtum dokumentiert ist. Darüber hinaus bemühen sich die Autoren um eine Variation des untersuchten Ortes. Neben ehemals deutschen Kolonien werden vor allem die ehemals französischen Territorien zum Schauplatz der kulturwissenschaftlichen Auseinandersetzung. Leider sind die Beiträge weder thematisch noch chronologisch oder regional gruppiert, was strukturell den Blick auf das Gesamtbild etwas verschwimmen lässt.

Die einzelnen Beiträge zeichnen sich durch eine präzise Fragestellung aus. Lobenswert ist die in höchstem Maße quellenkritische Arbeit, die nicht zuletzt in nachvollziehbare Analyseschritte und in einleuchtende Ergebnisse mündet. Illustrationen aus verschiedenen Archiven sowie nützliche Literaturverweise werden in die Untersuchungen einbezogen und ergänzen die Beiträge sinnvoll. Zwischen den Aufsätzen lassen sich keine sprachlichen Diskrepanzen erkennen, was den Eindruck eines umfassenden Sammelbandes bestärkt, der sehr reflektiert mit der kolonialen Vergangenheit umgeht. Insgesamt fehlt jedoch als Pendent zur interessanten Einleitung ein abrundendes Nachwort, in dem ein Ausblick auf den Forschungsgegenstand gegeben wird.

Auch wenn der Band einen sehr guten Beitrag zu den postcolonial studies liefert, so bleibt doch der Blick auf unser Europa verborgen. Vor diesem Hintergrund sollte sich die Forschung dringlich um die Aufarbeitung afrikanischer Europabilder bemühen oder dekonstruieren, welche Europavorstellungen sich hinter den negativen Zuschreibungen verbergen. Ein Vergleich beider Sichtweisen dürfte darüber hinaus aufschlussreich sein. Vorbildlich ist es Menraths Sammelband gelungen, zumindest eine Sichtweise offenzulegen. Dass der Forschungsgegenstand hochaktuell ist, zeigen Vorträge, die sich um die didaktische Rekonstruktion europäischer Afrikabilder bemühen und sie in den Kontext des Globalen Lernens setzen. Für die theoretische Fundierung von Konzepten für den Unterricht ist dieser Sammelband sehr zu empfehlen.

Titelbild

Manuel Menrath (Hg.): Afrika im Blick. Afrikabilder im deutschsprachigen Europa, 1870 - 1970.
Chronos Verlag, Zürich 2012.
330 Seiten, 39,50 EUR.
ISBN-13: 9783034011372

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