Formvollendet wie Hefeteig
Elizabeth Fremantles Tudor-Roman „Spiel der Königin“ kriegt kein Krönchen
Von Iris Bitzigeio
Der Spruch „Divorced, beheaded, died, divorced, beheaded, survived“ ist ein Abzählreim für das Schicksal der Ehefrauen des Skandal-Königs Henrys VIII von England. Nummer 6, „survived“, ist Katherine Parr, die ihren königlichen Gemahl um anderthalb Jahre überlebte. Von dieser – neben Namen wie Anne Boleyn unscheinbaren – Frau handelt das erste Buch der Londoner Frauenmagazin-Journalistin Elizabeth Fremantle: „Spiel der Königin“, im Original „Queens Gambit“, nach einem Zug im Schach. Laut Verlag Bertelsmann wird Fremantle in England dafür gefeiert, „dass sie wie kaum eine andere die Tudor-Zeit wieder lebendig werden lässt“. Feiern wird man das Buch nicht.
Der hübsch eingebundene Roman lebt von seinem Plot. Der ist durchaus spannend: Katherine Parr ist bereits einunddreißig und zweifache Witwe, als Henry sie nach Katharina von Aragón, Anne Boleyn, Jane Seymour, Anna von Kleve und Catherine Howard zur sechsten Frau nimmt und so zur Königin macht. Parr, die gerade ihren zweiten Mann beerdigt hat, steckt allerdings schon mitten in einer Affäre mit dem adligen Charmeur Thomas Seymour, als Henry sie – gegen ihren Willen, aber er ist der König, was kann man da schon machen – heiratet. Katherine weiß von den kurzen Lebenserwartungen der Königinnen des Tudors und bemüht sich einerseits, eine artige Gemahlin zu sein, andererseits versucht sie, den neuen Glauben – die Reformation – zu stärken, indem sie ihren Mann in theologischen Gesprächen zu überzeugen versucht. Das bringt mächtige katholische Ratsmitglieder gegen sie auf, die Henry gegen sie einzunehmen und sie zu stürzen versuchen. Nachdem sie zweimal in Ungnade gefallen ist, einmal wegen der Religion, ein zweites Mal wegen eines glühenden Blickwechsels mit Seymour – die Affäre wurde allerdings vor ihrer Heirat beendet – und sich beide Male wieder retten konnte, stirbt Henry. Nicht sonderlich in Trauer heiratet Katherine nach unschicklich kurzer Zeit ihren angebeteten Thomas Seymour, der sich aber bald als untreu erweist und mit ihrem Schützling Elizabeth Tudor in flagranti ertappt wird. Katherine Parr stirbt wenig später, als sie ihre und Seymours Tochter Mary zur Welt bringt.
So weit, so voller Potenzial. Wenn das Handlungsgerüst allerdings wie hier seit gut vierhundert Jahren steht und eine Suchanfrage in Wikipedia jedes größere Ereignis schon verrät, ist was erzählt wird weniger wichtig als wie es erzählt wird. Und hier hapert’s dann.
Die Sprache ist leichtgängig bis schlicht, es gibt Abschnitte, die nur aus Hauptsatzketten bestehen, und manches Mal wirkt der Schreibstil naiv, wenn zum Beispiel abgedroschene Bilder verwendet werden, wie die „Bruchstücke ihrer selbst“, die Katherine kaum „zusammenhalten“ kann (S. 100). Es tauchen einige Widersprüche auf, die nur Zeilen voneinander entfernt sind, zum Beispiel gelingt es Katherine nicht, besagte „Bruchstücke ihrer selbst aufzusammeln, Teile fehlen, sie sind zu Staub zerfallen“ und vier Zeilen später klammert sie sich an einen Sims, „als wäre es ihr eine Hilfe, die Bruchstücke ihrer selbst zusammenzuhalten“ (S.100). Hat das mit dem Aufsammeln ja doch noch geklappt, prima. Zweites Manko der Sprache sind verrückte Vergleiche. Ein Ratsmitglied, das unsympathisch oder zumindest ambivalent wirken soll, wird als „bleich wie ein Weizenfeld kurz vor der Ernte“ (S.188) beschrieben. Weizenfelder sind nicht bleich, sondern gelb oder golden, was eine eher ungewöhnliche Gesichtsfarbe wäre, außerdem wird dieses Bild normalerweise für Haare, Fell, Stoffe oder dergleichen verwendet. Der Punkt ist aber, dass die durch „ein Weizenfeld kurz vor der Ernte“ hervorgerufene Assoziation viel zu positiv ist, um damit eine mit großem Argwohn zu betrachtende Figur zu belegen. Deutlicher wird der Kritikpunkt vielleicht noch durch Folgendes: „Alle aus dem Umkreis der Familie Parr sind seit Katherines Vermählung in der Gesellschaft aufgestiegen, als wären sie mit Hefe gefüllt und auf ein warmes Bord zum Gären gelegt worden“ (S.171). Hefeteig geht im Warmen auf oder auch auseinander. Wenn Menschen damit verglichen werden, handelt es sich meistens um schnelle und unvorteilhafte Gewichtszunahme. Die Parrs und Co. werden aber nicht fett, sondern steigen in der Hierarchie des Hofes auf. Es gibt eine Menge, das besser klettert als Hefeteig.
Dies sind sprachliche Feinheiten, über die man, wenn der Rest einwandfrei ist, mit einem belustigten Grinsen hinwegsehen kann. Allerdings überzeugt auch die Figurenzeichnung – die ja nun mal der interessante Punkt bei diesem historischen Thema ist – nicht. Ein Leitsatz, der Autoren immer wieder empfohlen wird, lautet „show don’t tell“. Statt also einfach zu behaupten, Katherine Parr sei schlagfertig, wäre es besser, eine Situation zu schaffen, in der sie sich unleugbar schlagfertig verhält. Das passiert aber leider selten. So wird Katherine als reife und kluge Frau beschrieben, und als überaus unangenehm berührt, als sie merkt, dass der König Interesse an ihr hat. Wie Nebenfiguren bemerken, ist es gerade ihr erwachsenes Verhalten, das Henry anzieht, und der König schafft verschiedene Situationen, in denen sie sich beweisen kann; er versteckt zum Beispiel lebende Frösche in einer Pastete. Als alle anderen Hofdamen, auch die jungen Bewerberinnen, kreischend die Flucht ergreifen, nimmt Katherine einen Frosch in die Hand und trägt ihn hinaus. Gut für die Lesersympathien, aber kein cleverer Schachzug, wenn man den König nicht heiraten will. Es gibt eine Menge Gelegenheiten, in denen Katherine den König vergraulen könnte, auch ohne ihn vor den Kopf zu stoßen, aber sie tut es nicht, im Gegenteil, obwohl sie mit den ihr zugeschriebenen Fähigkeiten doch verstehen müsste, was da vor sich geht und wie sie der Situation entkommen kann. Fremantle kann die historischen Fakten, nach denen Henry sie heiratet, nicht ändern; aber man bekommt das Gefühl (das von der Autorin wahrscheinlich nicht beabsichtigt war), dass die Heirat Katherine nicht so zuwider ist, wie die ganze Zeit behauptet wird, denn sie tut nichts, um sie abzuwenden. Es wäre ja auch völlig in Ordnung gewesen, eine berechnende und machtinteressierte Protagonistin zu erschaffen. Auch wenn Parr damit an Anne Boleyn erinnert hätte – die schöne, machtlose, duldsame Frau, die von den Nächten mit dem lächerlich dicken und stinkenden König blaue Flecken davonträgt, ist weder neu noch überzeugend. Die Figur der Katherine ist sympathisch, aber man bekommt kein richtiges Gefühl für sie. Die Nebenfiguren, aus deren Perspektive geschrieben wird, vergöttern sie fast ausnahmslos, aber das ist mehr irritierend als nachvollziehbar.
Ähnlich zu viel behauptet und zu wenig beschrieben wird in einer Ratsversammlung, die Katherine stellvertretend für ihren verreisten Gemahl abhält und in der sie sich als Frau durchsetzen muss. Sie gewinnt die Zustimmung und allmählich auch das Vertrauen des Rates, aber der Leser wird viel zu wenig in die Problematiken, über die dort debattiert wird, eingeführt, um beurteilen zu können, ob Katherines Entscheidungen tatsächlich klug sind. Dabei wäre das erstens sehr spannend und zweitens wichtig, um zu verstehen, wodurch sie sich den Respekt des Rates verdient hat. Die theologischen Gespräche und damit der ganze Religionskonflikt um alten und neuen Glauben kommen genauso zu kurz. Katherine und verschiedene Nebenfiguren denken viel über Gott nach und zweifeln an ihm, aber was sie denken, warum sie zweifeln, wird kaum ausgeführt. Einmal treffen sie eine Reformationspredigerin, wofür Katherine als Ketzerin aufs Schafott gehen könnte, aber was die Frau bei dem Treffen von sich gibt, ist so gut wie nichtssagend, ihr Vortrag dauert keine Seite. Dieser Gesamteindruck, es sei nicht ausführlich oder szenisch genug, entsteht auch durch die vielen Zeitraffungen. Wenn man etwa 6 Jahre in ein Buch packen möchte, ist das natürlich nötig, und Jahreszahlen und Ortsangaben vor den einzelnen Erzählabschnitten ermöglichen Orientierung, aber man bekommt das Gefühl, etwas sei ausgelassen worden.
Man hat nach der Lektüre also einen groben Überblick, wer sich mit wem gezankt hat, welche Kleider in Mode waren, wie der Haushalt geregelt wurde und wer alles gestorben ist, aber das Lebensgefühl und die komplexen Streitfragen, die so viele Schicksale bestimmt haben, erschließen sich einem nicht wirklich. Bei all dem Unglück, das die Protagonistin mitmacht – nach drei Ehen ist ihre einzige Liebeshochzeit die unglücklichste von allen, und sie stirbt, gerade als sich ihr Kinderwunsch erfüllt hat – berühren auch die dramatischen Szenen nicht besonders. Das Buch ist leicht lesbar, Handlung und Spannung sind in Ordnung, aber ein anspruchsvoller und kritischer Leser sollte sein Geld lieber für etwas Anderes ausgeben.
Ein Beitrag aus der Komparatistik-Redaktion der Universität Mainz