Von Schopenhauer zum Kino

Heide Schlüpmann begibt sich in „Das innere Bild“ auf die Suche nach einem verlorenen Begriff der Seele

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Eine Filmwissenschaftlerin, die bekennt, „wissenschaftlich“ lasse sich „letztlich nicht vermitteln, was Kino ist“ – das überrascht doch einmal. Heide Schlüpmann, langjährige Herausgeberin der feministischen Zeitschrift „Frauen und Film“, stellt das Statement an den Anfang ihres theoretischen Essays „Das innere Bild“ und setzt gleich noch einen drauf, indem sie ihren „Widerstand gegen die Eingemeindung der Theorie in die Wissenschaft“ und darum auch „der Theorie des Films in die Filmwissenschaft“ bekundet.

Wie nicht schwer zu erraten, geht es der theoretisierenden Filmwissenschaftlerin bei dem titelstiftenden „inneren Bild“ um das Bild, das in den Rezipierenden beim Schauen eines Films evoziert wird. Denn der zugrundeliegenden These zufolge „verwandelt“ der Film „alle möglichen Wirklichkeiten in innere Bilder: diese aber entstehen, werden nicht gemacht. Und entstehen nicht nur mit dem Film sondern und vor allem mit dem Filmsehen“. Zwar sei das „Kino des Celluloidfilms“ zu Ende gegangen, doch habe es einen „Aufbruch aus den Denkmustern, ein Ausscheren aus der Zukunftsfixierung ermöglicht, ohne Rückzug ins Ahistorische ontologischer, essentialistischer oder existenzialistischer Prägung. Allein darum, das Kino in seiner Wirkung auf das Denken zu erinnern und darin fortzusetzen, geht es in diesem Buch“, hebt Schlüpmann hervor.

Der Zusammenhang zwischen Philosophie – um die es im Buch auch ganz wesentlich geht – und dem Kino ist der Autorin zufolge „vom Kino aus zu denken: von ihm als Erben der Philosophie“, denn letztlich seien in diesem Verhältnis „die bewegten Inhalte“ entscheidend.

Die Absicht von Schlüpmanns Buch besteht darin, „die beschränkt und überholt wirkende politische Rede von der Seele aus der Nische der Vergangenheit herauszuholen und in ihrer Tragweite erscheinen zu lassen“. Den Anstoß für ihre „Annäherung an die Darstellung einer Emanzipation des Denkens“ lieferten der Autorin zwar „Schriften der Frauenbewegung“, die um 1900 den „unmöglichen Begriff“ der Seele „vergegenwärtigten“. Doch handelt ihr Essay zunächst und vor allem von der Philosophie, die hier prominent durch den „misogynen Einzelgänger“ Arthur Schopenhauer vertreten ist. Erst zum Ende hin wendet sich Schlüpmann der „feministischen Sexualpolitikerin“ Helene Stöcker und Margarete Susman, der Autorin des Buches „Das Frauenproblem in der gegenwärtigen Welt“, zu.

Der Autorin zufolge denken die beiden Schriftstellerinnen „die Befreiung der Seele vom Mythos“, im Gegensatz zu Schopenhauer, „von innen heraus“. Denn der pessimistische Willensverneiner habe „Seele nur in dem erwarten [können], was ihm von Außen entgegenkommt, wenn der Verblendungszusammenhang zerfällt“.

Insgesamt bietet Schlüpmann eine ausgesprochen eigenwillige Schopenhauerinterpretation. Dabei räumt sie bereitwillig „Unstimmigkeiten“ zwischen ihrer „Vergegenwärtigung Schopenhauers und dem geschriebenen Text“ ein. Auch bewegt sich die Autorin (philosophie-)geschichtlich auf fragwürdigem Terrain, wenn sie konstatiert, in dem Dualismus des Titels seines Hauptwerks „Die Welt als Wille und Vorstellung“ manifestiere sich Schopenhauers „Drang – oder die Überzeugung der Notwendigkeit –, aus der Wirklichkeit herauszutreten, die ihn umgab und die sich ihm abgründig darstellte, nachdem geschichtlich die Euphorie der bürgerlichen Revolution passé war“. Eine merkwürdige These. Denn die vier Bücher des ersten Bandes der „Welt als Wille und Vorstellung“ erschienen 1819, der zweite – „welcher die Ergänzungen der vier Bücher im ersten Band enthält“ wie Schopenhauer im Untertitel formuliert – wurde erstmals 1844 veröffentlicht. Dazwischen lag die von Schlüpmann erwähnte „Euphorie der bürgerlichen Revolution“, die Schopenhauer im Übrigen durchaus nicht teilte.

„Nach der Philosophie Schopenhauers“ sei „konsequent die Entstehung und Einrichtung des Kinos“ erfolgt, so Schlüpmann. Denn „das Kino beginnt gewissermaßen dort, wo Schopenhauers Philosophie aufhört. Während die Frauenbewegung selbstbewußt Seele als Moment der Geschichte der Frauen vortrug, während das Bewußtsein der Abwesenheit von Seele den Denkenden aus der Philosophie trieb, wurde das Kino der Ort der Seele in der modernen Gesellschaft des 20. Jahrhunderts“.

Schlüpmanns Rede bleibt nicht selten dunkel wie ein Kinosaal, durch den jedoch bekanntlich ein heller Schein der Erleuchtung gleist. Die klare und deutliche, um nicht zu sagen griffige Sprache Schopenhauers ist ihr allerdings nicht gegeben.

Titelbild

Heide Schlüpmann: Das innere Bild. Zu einem verlorenen Begriff der Seele.
Stroemfeld Verlag, Frankfurt a. M. 2014.
180 Seiten, 28,00 EUR.
ISBN-13: 9783866001947

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